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Friedrich Merz
(Quelle: Tobias Koch)

"Wir brauchen eine positive Vorstellung von der Zukunft"

Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Welche Herausforderungen damit verbunden sind, worin Lösungen bestehen könnten, welche Einstellungen es dafür braucht – darüber ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, Friedrich Merz. 

 

Herr Merz, wenn Sie auf die immensen Aufgaben schauen, die vor uns liegen in Sachen Umwelt und Klimaschutz, Wirtschaft und Energie, werden Sie dann manchmal mutlos? 

Merz:  Absolut nicht. Wenn wir es klug angehen und auf technische Innovationen setzen, dann kann durch Klimaschutz für Deutschland sogar ein Wettbewerbsvorteil entstehen. Wieso sollte Deutschland nicht zum Exportweltmeister in Sachen Klimaschutz werden? Ich halte das für sehr gut möglich. Wir haben viele kluge Köpfe und Tüftlerinnen und Tüftler im Land. Wichtig ist: Wir müssen alle diese Aufgaben als Einheit verstehen, ganzheitlich vorgehen und die Menschen dabei mitnehmen. Den Kopf in den Sand zu stecken oder sich auf der Straße festzukleben, hat noch niemanden weitergebracht. Wer die Klimadebatte nur mit unrealistischen Katastrophenszenarien führt, kann ja nur schwermütig werden. Wir möchten stattdessen eine positive Vorstellung von der Zukunft entwerfen, wir wollen Dinge besser machen, gestalten. Deshalb müssen wir den Klimawandel und alles, was damit an Herausforderungen verbunden ist, als Chance sehen. Ich bin fest überzeugt: Die Probleme sind lösbar. Das Ziel ist klar, über den Weg dorthin müssen wir gerade mit der jetzigen Bundesregierung aber intensiv ringen. 

Wie sind die Probleme denn lösbar? Wie zum Beispiel können wir die CO2-Emissionen auf netto Null zurückfahren? 

Merz:  Es wird nicht leicht, wenn wir so weitermachen wie bisher – wenn wir beispielsweise im Zuge der Energiekrise wieder Kohlekraftwerke ans Netz nehmen, anstatt die emissionsfreien Kernkraftwerke, die wir noch haben, vorübergehend länger laufen zu lassen. Am Zieldatum 2045 stellen wir dann möglicherweise fest, dass wir gar nicht so viele Wälder und Moore haben, wie wir bräuchten, um das restliche Kohlendioxid, das am Ende immer noch ausgestoßen wird, aufzunehmen. Warum versuchen wir es nicht mit einem technologischen Ansatz, dem der Kreislaufwirtschaft? Die Stichworte heißen: CCS und CCU. Damit gemeint ist die unterirdische Speicherung oder die Wiederverwertung von Kohlendioxid in fester Form. Abgeschiedenes CO2 ist in verpresster Form nämlich ein werthaltiger Grundstoff, den die Industrie nutzen kann. Wir müssen aufhören, diesen Stoff zu dämonisieren. Wenn wir die Energiewende auf diese Weise angehen, können wir 2045 vielleicht sogar der Atmosphäre mehr CO2 entziehen, als wir freisetzen. Auch die Künstliche Intelligenz kann voraussichtlich einen gewaltigen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten. „Smart Grid“ klingt wie Raumschiff Enterprise, ist aber logisch: Ein intelligentes, perfekt gesteuertes Stromnetz würde uns helfen, den Energieverbrauch deutlich zu drosseln. So funktioniert Smart Grid. Kurzum: Wir müssen einen 360-Grad-Blick einnehmen und alles anschauen, was möglich ist. Wenn wir mit Scheuklappen durch die Gegend laufen, wird das nichts. 

Technologie soll es also richten. Und Verbote brauchen wir nicht, um das Ziel zu erreichen? 

Merz: Wenn wir die Energiewende stemmen wollen, dann schaffen wir das kaum mit Verboten und Vorschriften. Damit bringen wir nur die Menschen gegen uns auf, die nicht permanent bevormundet werden wollen. Was wir allerdings brauchen, ist ein großer Ordnungsrahmen. Diesen Ordnungsrahmen haben wir sogar schon. Er nennt sich Soziale Marktwirtschaft und funktioniert hervorragend seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland vor fast 75 Jahren. In der Sozialen Marktwirtschaft werden unternehmerische Interessen mit politischen und gesellschaftlichen Erfordernissen zusammengebracht. In der Sozialen Marktwirtschaft geben wir Unternehmen, Forschern oder Ingenieuren die Freiheit, sich Lösungen auszudenken. Und das Beste: Sie können damit sogar Geld verdienen. Der „Öko-Sozialismus“ hingegen, wie er von links gefordert wird, beruht auf Verboten und Vorschriften. Mit diesem Konzept würden noch mehr Unternehmen unser Land verlassen und Produktionsstätten im Ausland bauen. Jobs würden verlorengehen, Steuereinnahmen schrumpfen und unser Wohlstand enorm sinken. Deutschland muss aber für Investoren attraktiv bleiben. Denn die Industrie wandert dorthin, wo sie günstigere finanzielle Bedingungen, weniger Bürokratie und mehr unternehmerischen Freiraum vorfindet. Dem Klima wäre mit der Abwanderung überhaupt nicht gedient. Aber unsere Volkswirtschaft, die Arbeitnehmer, der Mittelstand – alle würden leiden.

Mit welchen Instrumenten kann die Marktwirtschaft denn die Dekarbonisierung steuern? 

Merz: Ein gutes Beispiel für ein funktionierendes marktwirtschaftliches Instrument ist der Emissionshandel. Der sieht vor, dass die Lizenzen für den CO2-Ausstoß in der Menge begrenzt werden und einen Preis bekommen. Kurz gesagt: Werden die Verschmutzungsrechte knapper, steigt dieser Preis. Die Nutzer schauen sich dann aus eigenem Interesse nach günstigeren und klimafreundlichen Alternativen zu fossilen Energien um. Das können bei der Energieversorgung Wind, Sonne, Wasserkraft, Holz, Biomasse, Erdwärme (Geothermie) oder Wasserstoff sein. Im Moment gibt es den Emissionshandel EU-weit schon für die energieintensive Industrie, Energieanlagen und den innereuropäischen Flugverkehr. Bis 2027 wird der Emissionshandel auf die Bereiche Gebäude und Verkehr ausgedehnt. Die unionsgeführte Bundesregierung hatte diesen Emissionshandel für Gebäude und Verkehr übrigens schon 2021 in Deutschland eingeführt. Wir waren da Vorreiter bis zu dem Zeitpunkt, als die Ampel den Mechanismus außer Kraft gesetzt hat. 

Wenn der Preis für Energie aufgrund des Emissionshandels immer weiter steigt, was ist dann mit denjenigen, die sich das nicht leisten können? Wie kann man die Menschen denn mitnehmen? 

Merz: Wenn wir die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen wollen, müssen wir natürlich behutsam vorgehen. Auch Menschen auf dem Land, wo der Bus nur zweimal am Tag kommt, müssen sich Mobilität leisten können. Denken Sie nur an die, die zur Arbeit in die Stadt pendeln! Ebenso wenig dürfen Haus- oder Wohnungseigentümer überfordert werden, die den Kredit für ihre Immobilie mühsam abzahlen. Sie müssen genauso die Chance haben, sich eine klimafreundliche Heizung anzuschaffen oder ihr Haus zu dämmen, um weniger Energie zu verbrauchen. Diesen Menschen müssen wir aus dem Aufkommen des Emissionshandels eine finanzielle Förderung anbieten. Für sie muss sich klimafreundliches Verhalten lohnen.

Aus: Printausgabe Fraktion Direkt | Juli 2023

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