Gleiche Anerkennung für alle Holocaust-Opfer
- Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz
- Bundestag widmet Gedenkstunde verfolgten sexuellen Minderheiten
- Rozette Kats und Klaus Schirdewahn berichten von Diskriminierung und Unrecht
Am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz hat der Bundestag der Opfer nationalsozialistischer Verbrechen gedacht. Im Mittelpunkt der diesjährigen Gedenkstunde stand eine Opfergruppe, die lange um Anerkennung kämpfen musste: Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität verfolgt wurden. Als Zeitzeugin des Holocausts sprach Rozette Kats zu den Abgeordneten. Sie hatte als jüdisches Kind unter falscher Identität überlebt und engagiert sich heute in der Gedenkkultur.
Am 27. Januar 1945 befreiten Alliierte das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Allein dort starben während der NS-Zeit mehr als eine Million Männer, Frauen & Kinder. #WeRemember#HolocaustRemembranceDay#NieWiederpic.twitter.com/h9bzOoLC6k
— CDU/CSU (@cducsubt) January 27, 2023
„Jeder Mensch, der damals verfolgt wurde, verdient achtungsvolles Erinnern“, sagte die 80-jährige Kats in ihrer Rede. „Und jeder Mensch, der heute verfolgt wird, hat Anspruch auf unsere Anerkennung und unseren Schutz.“ Die Eltern von Rozette Kats hatten ihre Tochter einem niederländischen Paar anvertraut. Kurz danach wurden sie in das Konzentrationslager Auschwitz abtransportiert, wo sie wenig später umgebracht wurden. Das Mädchen überlebte unter dem Schutz der Adoptiveltern, die ihr den Decknamen Rita gaben.
"Ich wünsche mir für unsere Kinder, für alle Kinder dieser Welt, dass jede Form von Diskriminierung - aber im Extremen auch Kriege, wo auch immer in der Welt - nicht als normal empfunden werden müssen, sondern als schreckliche Abweichungen, die es zu überwinden gilt." #WeRememberpic.twitter.com/dQU2F8hTVb
— CDU/CSU (@cducsubt) January 27, 2023
„Doppelleben macht krank“
„Ich führte ein Doppelleben und dieses Doppelleben machte mich krank“, sagte die Zeitzeugin. Generell litten Menschen physisch und psychisch, wenn sie sich verstecken und verleugnen müssten. Das gelte beispielsweise auch für homosexuelle oder queere Menschen, die noch Jahrzehnte in der Bundesrepublik Deutschland strafrechtlich verfolgt und gesellschaftlich diskriminiert wurden. „Wenn bestimmte Opfergruppen als weniger wertvoll als andere angesehen werden, bedeutet das, dass die nationalsozialistische Ideologie weiterlebt“, betonte Kats.
Signal in die Gesellschaft
Von seinem erzwungenen Doppelleben in der Nachkriegszeit berichtete der Homosexuelle Klaus Schirdewahn. Er war 1964 gemäß dem im Nationalsozialismus verschärften Paragrafen 175 verhaftet worden. Dieser Paragraf, der homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, wurde erst 1994 aufgehoben. Zu lange habe es gedauert, bis die Würde der Homosexuellen etwas gezählt habe, beklagte Schirdewahn. „Die Gedenkstunde ist ein Zeichen der Anerkennung und ein Signal in die Gesellschaft hinein.“
Erinnern an vergessene Schicksale
An die Schicksale zweier vergessener Opfer des Nationalsozialismus erinnerten die Schauspieler Maren Kroymann und Jannik Schümann. Schümann berichtete über Karl Gorath, der während der NS-Zeit wegen seiner Homosexualität zunächst im Zuchthaus und später im KZ landete. 1946 verurteilte ihn derselbe Richter, der ihn bereits 1938 bestraft hatte, erneut wegen seiner sexuellen Orientierung. Als Vorbestrafter fand Gorath im Nachkriegsdeutschland nur schwer Arbeit und verarmte. Er starb 2003 im Alter von 91 Jahren in Bremerhaven.
Kroymann erzählte in bewegenden Worten von der lesbischen Jüdin Mary Pünjer, die im Alter von 38 Jahren in der sogenannten Heilanstalt Bernburg an der Saale von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Weil lesbisch zu sein kein Straftatbestand war, wurde ihr vorgeworfen, „asozial“ zu sein – ein Sammelbegriff für alles, was nicht der nationalsozialistischen Norm entsprach.