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Bettina Margarethe Wiesmann: "Seelische Stärke ist die Grundlage für alles"

Hilfeplan für die physische und psychische Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von dem Redebeitrag der wesentlichen antragstellenden Fraktion hätte ich mir schon ein wenig mehr an Begründung für die vorgebrachten Vorschläge erwartet. Ich kann Ihnen versichern, wir setzen uns mit allen Vorschlägen auseinander, und wir haben auch eine Menge eigener Vorschläge, mit denen wir uns ständig befassen, und die wir auch umsetzen.

Die Pandemie prägt unsere Gegenwart, aber Corona darf nicht zum Ende unserer Zukunft werden; darin sind wir uns einig. Deshalb ist es sehr gut, dass heute zur besten Zeit hier auch Kinder und Jugendlich im Fokus der Debatte stehen.

Liebe Kollegen der Opposition – der FDP und der anderen –, Sie werfen in Ihren Anträgen wirklich wichtige Fragen auf, nämlich physische und psychische Gesundheit, Chancenaufholprogramm, Bildungskrise etc.; denn es geht um die Entwicklungs- und Bildungschancen unserer Kinder und mittelbar um den Lebens- und Arbeitsalltag von gut 7,5 Millionen Familien – das sind 25 Millionen Menschen, ein Drittel unserer Bevölkerung. Es geht um unsere Zukunft, denn die Kinder sind unsere Zukunft.

Meine Damen und Herren, die Zahlen des RKI zeigen aber auch, dass die Pandemie jetzt auch die Jugend erfasst. In der vergangenen Woche haben sich über 18 000 Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren infiziert, dagegen nur 16 000 Menschen, die älter als 60 Jahre alt sind. Mit anderen Worten: Die Älteren sind jetzt vergleichsweise sicher, die Jugend zunehmend nicht. Bei Kindern unter zehn Jahren liegt der Inzidenzwert von 112 bereits über dem der zweiten Welle. Wir können sie nicht impfen; denn es gibt noch kein zugelassenes Vakzin – auch wenn wir uns hier auf den Kopf stellen.

Zugleich – das wissen wir alle – führt das reduzierte Leben zu Hause mit Distanzunterricht und fast ohne echte Sozialkontakte und Freizeitbeschäftigung nachweislich zu psychischen und auch physischen Beeinträchtigungen. Gestern wurde die JuCo-Studie der Unis in Hildesheim und Frankfurt veröffentlicht, die den Ernst der Lage, den wir Familien- und Bildungspolitiker hier schon länger sehen, bestätigt. Kinder und Jugendliche müssen mit Kindern und Jugendlichen zusammenkommen. Der wichtigste Ort dafür ist die Schule. Deshalb hat das Offenhalten von Schulen und auch Kitas Priorität, und auch ich plädiere hier heute dafür, endlich den benötigten Kraftakt anzugehen, nicht nur zu sagen: „Man müsste mal“ oder: „Modellversuch“, sondern nach den Osterferien alle Jahrgänge testbasiert in die Schule zu lassen und dem Virus die Stirn zu bieten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wie geht das? Jeden Morgen – jeden Morgen! – wird jeder Schüler vor Ort unter Aufsicht von Pädagogen mit einem Selbsttest getestet. Bei negativem Testergebnis: normaler Schulunterricht unter Einhaltung von Abstand, Händewaschen, Maskenpflicht, Luftreinigung. Bei positivem Testergebnis: Ab zum PCR-Test und nach Hause in Quarantäne bis zum Ergebnis. Ähnlich bei Kitas: Hier wird mehr Mithilfe der Eltern zu Hause erforderlich sein. So wird einige Wochen verfahren. Und wenn es dann kaum hohe Inzidenzen gibt – es gibt ja eine interessante Studie dazu; in Österreich wurde das ja auch ausgewertet; da gab es gar nicht so hohe Inzidenzen –, dann kann man die Engmaschigkeit der Tests reduzieren. Es darf aber eben nicht umgekehrt sein – erst mal ein, dann vielleicht zwei Tests pro Woche –; nein, Schulen und Kitas müssen sofort gesichert werden wie Hogwarts vor den Todessern. Und da wir keine Schutzzauber haben, tun wir es mit dem, was wir haben, nämlich mit Selbsttests.

Das kostet pro Woche etwas über 40 Millionen Tests. Wenn man die Kitas dazunimmt, sind es 60 Millionen Tests. Die Länder haben mit Unterstützung des Bundes, der seine Aufgabe nämlich wahrnimmt an dieser Stelle, 170 Millionen Tests geordert. Da kann man noch etwas drauflegen. Das Angebot wird hier fast stündlich von der Bundesregierung wiederholt. Unterstützung wird angeboten; man muss sie nur wahrnehmen. Das ist tatsächlich eine Aufgabe, die die Länder jetzt erfüllen müssen.

Tägliche Tests erhellen das Dunkelfeld „Schule und Kita“ und entlasten Lehrkräfte, Kinder, Eltern und Arbeitgeber. Das ist die erste und die wichtigste Perspektive für Kinder und Jugendliche und natürlich für die Familien. Schule läuft wieder weitgehend normal bis hin auch zu Sport, musischen, künstlerischen und sonstigen Aktivitäten, die eben außerhalb in dieser Lage noch nicht wieder möglich sind. Das ist ein echter Weg und eine tolle Chance.

Aber wie geht es weiter, wenn schulisches Leben und der Alltag sich Schritt für Schritt normalisieren? Hier muss die Parole lauten: „Durchstarten helfen“; das ist der zweite Teil meiner Ausführungen. Dabei gilt: Seelische Stärke ist die Grundlage für alles. Wenn wir die Kinder erst wieder in Schule und Kita haben, dann können wir auch Lerndefizite bewältigen. Das sagen uns auch Schulleiter, mit denen wir sprechen.

Was ist jetzt die Vorstellung der Union für das Durchstartprogramm?

Erstens. Schulen auf, Unterricht auf Normalmaß und den gelernten Nutzen aus dem digitalen Unterricht bitte schön integrieren.

Zweitens. Mit Kindern und Jugendlichen sprechen, um ihre Erfahrungen und Prioritäten dem Durchstart zugrunde zu legen. Ein Kinder- und Jugendgipfel im Kanzleramt, den wir hier schon im letzten Jahr vorgeschlagen haben, wäre das Forum der Wahl.

Drittens. Mit Familienhilfe, Kinder- und Jugendhilfe passende Begegnungs- und Hilfeformate für die veränderten und noch nicht gleich vollständig normalisierten Lebensbedingungen der Kinder entwickeln.

Viertens. Langfristige Beteiligungsformate für Kinder und Jugendliche etablieren, zum Beispiel Jugendparlamente – das fördert diese Bundesregierung schon – und Hackathons; auch das findet schon statt. Denn das Kindeswohl ist ein primär heranzuziehendes Kriterium für Kinder und Jugendliche betreffende Entscheidungen, und dafür braucht es immer ihre Beteiligung.

Fünftens. Die erlernten Fähigkeiten unter der Pandemie sind auch Chancen. Sie müssen für künftiges Lernen, für künftiges Arbeiten herangezogen werden. Deshalb müssen wir dies auswerten, und wir müssen Kinder und Jugendliche auch dabei einbeziehen. Sie sind die Anwendungsprofis; sie werden gebraucht.

Sechstens. Natürlich auch Lernstandserhebungen durchführen und eine zielgenaue, schulische Nachsorgestrategie entwickeln, von Ferienakademien – die gab es schon letztes Jahr; man kann daraus sicher lernen, wie es noch besser geht – über Patenschaftsmodelle bis zu systematischer Nachhilfe auch unter Heranziehung privater Anbieter.

Siebtens. Außerschulische Bildung – das ist uns als Union immer ganz besonders wichtig; hoffentlich nicht nur uns –, zum Beispiel Sport- und Kulturangebote intensivieren. Da besteht nun wirklich Nachholbedarf. Da ist einfach vieles versäumt worden, weil es nicht stattfinden konnte. Man muss ausloten, was man davon nachholen kann. „So viel wie möglich“ muss die Devise sein, zum Beispiel beim internationalen Jugendaustausch, zum Beispiel auch bei regionalen Freizeitveranstaltungen kleinerer Anbieter.

Achtens. Freiwilligendienste stärken; das kommt auch in einem der Anträge vor. Ja, die vielen Initiativen und Hilfsangebote haben das Ehrenamt und vor allem die spontane Hilfe stark anwachsen lassen. Das ist ein guter Effekt der Pandemie. Hier sollten sowohl Programme gestärkt als auch längerfristige Einsatzmöglichkeiten für Freiwillige geschaffen werden, natürlich auch, weil sich die Jugendlichen besonders dafür interessieren. Die Anmeldezahlen sind so hoch wie nie. Das wäre eine Anerkennung, aber zugleich Hilfe für uns alle.

Neuntens. Psychosoziale Hilfe überdenken. Haben wir die Sorgen und Nöte von Jugendlichen richtig erkannt? Wie kann Einzelnen so geholfen werden, dass auch sie seelisch gestärkt aus der Pandemie herauskommen? Ich will nur mal die Initiative „krisenchat.de“ nennen, mit der wir uns intensiv beschäftigen, weil sie ein bisher nicht vorhandenes, unkonventionelles, sehr niedrigschwelliges Hilfsangebot tatsächlich unterbreitet.

Entscheidend ist – letzter Gedanke –: Nicht die Bundesregierung hat hier die Allein- oder Hauptverantwortung – das kann ich Ihnen nicht ersparen, auch wenn sie das jetzt nicht hören wollten –, sondern es hat jeder an seinem Platz Verantwortung: Jugend- und Kultusminister, Landräte, kommunale Verantwortliche und noch viele mehr. Was aber fehlt bisher – und das beklage ich –, ist die Priorität. Schauen wir nach vorne, sehen wir: Wir können es uns nicht leisten, Kinder und Jugendliche als Nebensache zu betrachten. Sie sind uns anvertraut, und sie sind Garanten unserer Zukunft. Das gilt übrigens unverzüglich. Wenn es ihnen gut geht, geht es uns im Wesentlichen gut.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollegin Wiesmann, Sie sprechen auf Kosten Ihrer Kolleginnen und Kollegen weiter.

 

Bettina Margarethe Wiesmann (CDU/CSU):

Verantwortungsbewusst handeln heißt: Jeder an seinen Platz. Jeder muss Verantwortung übernehmen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)