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Thomas Erndl: Klar ist: Beide Parteien müssen sofort zu einem Waffenstillstand zurückkehren

Redebeitrag in der aktuellen Stunde zur Friedenslösung für Bergkarabach

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Enklave Bergkarabach ist hochkomplex – das wurde hier schon ausführlich angesprochen –, eine Mischung aus ethnischem Konflikt, dessen Wurzeln bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen, und territorialem Konflikt, bei dem zwei unterschiedliche Narrative aufeinanderprallen: Zum einen beruft sich Aserbaidschan auf das Prinzip der territorialen Integrität, und zum anderen begründet Armenien seine Ansprüche mit dem Recht auf nationale Selbstbestimmung. Aufgrund der Komplexität gibt es kein Schwarz-Weiß, keine einfachen Lösungen.

Aber klar ist: Beide Parteien müssen sofort zu einem Waffenstillstand zurückkehren. Völlig inakzeptabel sind der Beschuss der Zivilbevölkerung, der Angriff auf Krankenhäuser und der Einsatz von Streumunition. Diese Kriegsverbrechen müssen wir aufs Schärfste verurteilen, und die Kriegsverbrecher müssen zur Rechenschaft gezogen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])

Ebenso wenig brauchen wir aufhetzende Sprache des türkischen Präsidenten. Als NATO-Mitglied muss die Türkei Verantwortung übernehmen.

Klar ist aber auch: Man muss die eingebrannten Narrative überwinden. Die Menschen, die in Frieden und in Sicherheit leben möchten, müssen in den Mittelpunkt gerückt werden. Es braucht Vermittlung, Dialog, Mediation. Ich finde es wahnsinnig bedrückend, dass nach Armeniens Regierungswechsel zu Paschinjan im Jahr 2018 sich die kurzzeitig sichtbare Entspannung ins Gegenteil verkehrt hat und letztendlich eine Spirale in Gang gekommen ist, an deren Ende nun furchtbare Gewalt steht.

Da beide Länder in den vergangenen Jahren militärisch massiv aufgerüstet haben, ist weiterhin Schlimmstes zu befürchten. Daher muss es oberstes Ziel sein, eine weitere Eskalation und eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, und dazu braucht es eben diesen Waffenstillstand. Wenn die dritte vereinbarte Waffenruhe innerhalb von zwei Wochen nicht hält, dann ist dies ein beunruhigendes Signal. Wir brauchen einen Stopp von Waffenlieferungen an beide Länder, und davon müssen wir nicht nur Russland, das beide Staaten beliefert, überzeugen, sondern vor allem die Türkei; denn durch die einseitige militärische Unterstützung Aserbaidschans schürt die Türkei existenzielle Ängste bei der armenischen Bevölkerung, und vor dem Hintergrund des grausamen Völkermords – das ist bereits angesprochen worden – an den Armeniern vor über 100 Jahren müssen wir das sehr ernst nehmen.

Es ist inakzeptabel, dass Aserbaidschan scheinbar ermutigt ist, eine kompromisslose Haltung einzunehmen, und den Krieg bis zu einem vermeintlichen Sieg fortsetzen möchte. Das können wir nicht zulassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Eine mögliche Rolle unseres Landes und der Europäischen Union sowie das, was kurzfristig möglich ist, wurden in dieser Debatte besprochen. Wir brauchen aber einen Weg in die Zukunft und eine Überzeugung in den beiden Gesellschaften, dass friedliches Zusammenleben nur geht, wenn man die Vergangenheit in den Köpfen überwindet. Denn klar ist, dass Dialog und Mediation immer die besseren Instrumente sind, und das können wir langfristig – mein Vorredner hat es auch angesprochen – nur durch Wirken in die Zivilgesellschaften hinein erreichen.

Dabei müssen wir auch die jeweilige Diaspora beider Seiten in Europa und in den USA erreichen, die hier auch ihre Rolle spielen und ihren Beitrag zur Situation, wie sie jetzt ist, geleistet haben. So schwierig und mühselig das ist, aber wir sollten da auch mit unseren Stiftungen in der Region unseren Beitrag leisten, auch wenn das in Aserbaidschan momentan nicht funktioniert. Aber trotzdem sind wir in der Region mit den politischen Stiftungen präsent sowie mit den beiden Goethe-Zentren, die 2017 gegründet wurden. In Armenien und Aserbaidschan können wir vielleicht einen kleinen Beitrag leisten, sodass Dialogbereitschaft in der Frage des friedlichen Zusammenlebens in den Köpfen Platz findet.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)