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Thomas Erndl

Thomas Erndl: "Die Einigkeit und Einheit der Allianz muss erhalten bleiben"

Rede zum Atomabkommen mit dem Iran und INF-Vertrag

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, in Ihrem Antrag schreiben Sie erstens, dass die Aufkündigung des INF-Vertrags durch die USA – ich zitiere – „friedensgefährdend und sicherheitspolitisch kontraproduktiv“ sei.

Einerseits möchte ich Sie kurz daran erinnern, dass es Russland ist, das den INF-Vertrag mit dem Bau des bodengestützten Raketensystems SSC‑8 verletzt – nicht die USA. Russland hat bereits im Dezember 2017 die Entwicklung öffentlich eingeräumt. Andererseits haben die USA seit über fünf Jahren versucht, in verschiedenen Formaten mit Russland ins Gespräch zu kommen. Bis Ende 2018 beliefen sich die Gesprächskontakte auf 30 Treffen. Jedoch hat Russland eine Kooperation abgelehnt und sich einer Lösung bis heute verweigert. Nicht allein die USA, sondern alle NATO-Mitgliedstaaten haben die russische Vertragsverletzung festgestellt. Friedensgefährdend und sicherheitspolitisch kontraproduktiv handelt Russland – nicht die USA.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, in Ihrem Antrag fordern Sie zweitens die Bundesregierung auf, mit einer – ich zitiere – „aktiven Vermittlungspolitik zu beginnen“. Ich kann nicht alle Treffen der Bundesregierung mit unseren europäischen Partnern und den USA sowie Russland aufführen. Aber bereits seit 2018 sucht die Bundesregierung aktiv nach Möglichkeiten, den INF-Vertrag zu erhalten. Hier so zu tun, als ob keine Vermittlungs- und Lösungsversuche stattgefunden haben, ist fern jeder Realität. Daher kann Ihr Antrag nur abgelehnt werden.

Wir wollen natürlich den INF-Vertrag unter allen Umständen erhalten. Denn er ist für die Sicherheitsarchitektur in Europa von grundsätzlicher Bedeutung. Er verbietet den USA und Russland den Besitz von landgestützten ballistischen Raketen und Marschflugkörpern mit Reichweiten von 500 bis 5 500 Kilometern. Mit der SSC‑8 erhält die russische Bedrohung jedoch eine neue militärische Qualität. Warum? Weil das Raketensystem landgestützt, mobil, schwer zu identifizieren und schnell einsetzbar ist. Bei einer Reichweite von bis zu 2 500 Kilometern kann es nahezu jedes Ziel in Europa treffen.

Dennoch dürfen wir nicht die Augen verschließen: Erstens verbietet der INF-Vertrag nicht luft- und seegestützte Marschflugkörper, die schon seit Jahren eine Reichweite und Präzision erreichen, die den landgestützten Varianten ähnlich sind. Zweitens dominiert heute der Einsatz solcher Marschflugkörper. Drittens haben seit den 1990er-Jahren mehrere asiatische und arabische Staaten landgestützte ballistische Kurz- und Mittelstreckenraketen getestet.

Daraus folgt aber nicht, der INF-Vertrag sei überholt und habe keine Relevanz mehr für die Sicherheit Europas. Im Gegenteil, vielmehr müssen wir bis zum Auslaufen der Frist am 2. August gemeinsam mit unseren NATO-Verbündeten versuchen, den INF-Vertrag zu erhalten. Gelingt es nicht, Russland wieder dazu zu verpflichten, zur Vertragstreue zurückkehren, dann sollte multilateral versucht werden, ein neues Abkommen abzuschließen, das weitere Staaten wie China und das ebenso weitere Rüstungsgattungen wie see- und luftgestützte Mittelstreckenraketen miteinbezieht.

Neben der unmittelbaren Bedrohung, die von den neuen russischen Raketensystemen ausgeht, wirft die Auseinandersetzung einen dunklen Schatten auf andere Rüstungskontrollverträge. Durch die beidseitige Aufkündigung des Vertrags könnten weitere Rüstungskontrollverträge wie zum Beispiel New Start oder der KSE-Vertrag infrage gestellt werden. Wir brauchen auch hier eine enge Abstimmung innerhalb der NATO und müssen auf amerikanischer und russischer Seite diejenigen Kräfte unterstützen, die die Verträge erhalten wollen.

Klar ist aber auch, dass die NATO eine Antwort darauf finden muss, wie das Verteidigungsbündnis auf die Aufkündigung des INF-Vertrags reagiert, unabhängig davon, ob noch eine Einigung erzielt wird. Für mich ergibt sich vor allem ein politisches Ziel: Die Einigkeit und Einheit der Allianz muss erhalten bleiben. Das ist eine Herausforderung, aber ich bin optimistisch, dass die NATO diese Geschlossenheit angesichts des neuen russischen Bedrohungspotenzials zeigen wird.