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Roderich Kiesewetter: Wir müssen verhindern, dass um Syrien herum alles weiter zusammenbricht

Rede zur aktuellen Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! – Jetzt geht das Pult immer weiter herunter, wahrscheinlich damit sich das Blickfeld erweitert, und genau das brauchen wir für Europa.

(Heiterkeit)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Ende zweier sehr spannender und zugleich sehr ernsthafter Debatten zu diesem ernüchternden Thema: Europa/europäische Eigenverantwortung und unsere unmittelbare Nachbarschaft, der Nahe und der Mittlere Osten. Wie wollen wir Millionen von Syrern überzeugen, in ihr Heimatland zurückzukehren, wie wollen wir Hunderttausende Syrer, die mit ihren Familien in Deutschland sind, überzeugen, in ihre Heimat zurückzukehren, wenn wir Europäer es zulassen, dass Assad stabilisiert wird, und wenn wir mit europäischen Steuergeldern das, was er zerstört hat, zu seiner Festigung wieder aufbauen? Darauf haben wir keine Antwort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, aus der heutigen Debatte wird klar: Wenn wir Europa glaubwürdig, selbstbewusst und handlungsfähig machen wollen, müssen wir aus der Zuschauerrolle heraus und genau das ansprechen, was viele Kolleginnen und Kollegen hier heute Vormittag sehr deutlich aufgezeigt haben: Wie bekommen wir europäische Handlungsfähigkeit?

Heute findet eine Sitzung des Weltsicherheitsrats statt, und Russland verhindert dort einen Waffenstillstand, weil Russland sagt, die Rebellen seien für das weitere Sterben verantwortlich. Daneben aber arbeitet Schweden gemeinsam mit Kuwait daran, auf der nächsten Sitzung des Weltsicherheitsrats eine 30-tägige Waffenruhe durchzusetzen.

Seien wir selbstbewusst! Was ist denn Europa? Die Europäische Union ist eine der wenigen Regionen in dieser Welt, die noch für eine regelbasierte internationale Ordnung stehen, und dafür müssen wir Strahlkraft entwickeln. Das bedeutet: Wir müssen – so wie Kuwait – Partner überzeugen, dass sie unser Ansinnen für eine friedliche Lösung, für eine Unterstützung de Misturas intensiv begleiten. Regelbasierte Ordnung ist aufwendig, verträgt keinen Populismus, verträgt auch nicht, dass wir uns aus der Region zurückziehen; vielmehr brauchen wir – ich glaube, das ist in Teilen deutlich geworden – eine abgestimmte europäische Strategie, wie wir sie bereits im Libanon und in Jordanien haben. Diese Länder, die jeweils so viele Flüchtlinge aufgenommen haben, wie einem Viertel ihrer Bevölkerung entspricht – über 1 Million jeweils –, stabilisieren wir: Grenzsicherung, Wiederaufbau, gesunde Ernährung, Bildung in den Flüchtlingslagern. Im Übrigen: Das wäre so, als wenn die Bundesrepublik Deutschland 20 Millionen Flüchtlinge aus dem Umfeld der EU aufgenommen hätte. Ich sage das, um einfach einmal zu verdeutlichen, welch eine Dimension das hat, welch eine Leistung dort vor Ort erbracht wird. Deshalb gilt es, den Libanon und Jordanien zu stützen.

Ein ganz konkretes Beispiel für europäische Unterstützung ist der Irak. Wir müssen verhindern, dass um Syrien herum alles weiter zusammenbricht. Der aus meiner Sicht völkerrechtswidrige Angriff der Türkei ist heute hier genug angesprochen worden. Mir geht es konstruktiv darum, dass wir auf der einen Seite den Irak zusammenhalten, den Irak als Gesamtstaat erhalten, auf der anderen Seite die Kurden in Nordkurdistan ermutigen, alles zu tun, um ihre Autonomie zu erhalten. Das muss unsere Aufgabe sein.

Hier haben wir zwei Ansätze: erstens die Eindämmung des IS, die zunehmend gelingt – wir werden das auch mit einem entsprechenden Mandat fortsetzen –, und zweitens die Befähigung des Gesamtstaates; „wieder Vertrauen in staatliche Strukturen schaffen“, „Aussöhnung“, „Wiederaufbau“, „Bildung“ heißen die Stichworte.

Wenn wir das alles zusammenbinden, bedeutet das für uns als Parlament aber auch, dass wir mit Blick auf die Haushaltsausstattung für unsere Entwicklungshilfe und unsere Sicherheitspolitik alles tun müssen, dass wir den Anforderungen der Parlamentsarmee und einer verantwortlichen Sicherheitspolitik gerecht werden. Das geht nur, wenn wir bereit sind, mehr Verantwortung nicht nur zu predigen, sondern unsere Entwicklungszusammenarbeit finanziell auch besser auszustatten und unsere Bundeswehr zu befähigen, dauerhaft in dieser Region tätig zu sein. Das erreichen wir mit PESCO-Projekten, indem wir zum Beispiel auf europäischer Ebene für Hubschrauber, aber auch für Entwicklungszusammenarbeit, Ausbildung und Bildung sorgen und gemeinsam europäisch finanzieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Sinne können wir glaubwürdige europäische Nachbarschaftspolitik, Entwicklungszusammenarbeit und europäische Interessenvertretung leisten. Dafür werbe ich. Dafür steht die Union.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)