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Roderich Kiesewetter: "Das Verhalten der Türkei ist als völkerrechtswidrig zu bewerten"

Aktuelle Stunde - Haltung der Bundesregierung zum Einmarsch der Türkei in die nordsyrische Region Afrin unter Einsatz von Panzer

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin, bevor ich mit meiner Rede beginne, möchte ich Sie bitten, während meiner Redezeit zu prüfen, ob es diesem Hohen Hause angemessen ist, dass einige Abgeordnete der Linken, mindestens zehn, sich mit den Keffiyeh uniformiert haben. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit zwölf Tagen läuft die „Operation Olivenzweig“. Die Türkei beabsichtigt damit, dauerhaft eine türkische Präsenz im Norden von Syrien zu etablieren, um damit gegen – vorgebliche – kurdische Terroristen vorzugehen. In dieser Gemengelage leidet zuallererst die Wahrheit. Es gibt hier keine einfachen Wahrheiten und – um Konrad Adenauer zu bemühen – erst recht keine reine oder lautere Wahrheit.

Ich versuche, aus der Gemengelage zwei, drei Aspekte herauszugreifen:

Zuallererst zum türkischen Vorgehen. Das türkische Vorgehen ist in keiner Weise angemessen. Weder liegt ein Angriff vor – die türkische Republik wurde nicht angegriffen –, noch steht ein Angriff unmittelbar bevor.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Also völkerrechtswidrig! – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Bruch des Völkerrechts!)

Somit ist das Verhalten der Türkei als völkerrechtswidrig zu bewerten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der AfD und der FDP)

Deshalb hat die Bundesregierung völlig richtig gehandelt, sofort, auch entgegen letzten Absprachen, die Unterstützung der Türkei mit deutschen Rüstungsgütern auszusetzen;

(Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Das stimmt doch nicht!)

das gilt auch für die Nachrüstung bestimmter Panzer. Hier können wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion unsere Bundesregierung nur unterstützen. Richtig gehandelt!

(Beifall bei der CDU/CSU – Tobias Pflüger [DIE LINKE]: „Richtig“ hieße, alle Waffen zu stoppen, nicht nur kurz mal auszusetzen!)

Zweitens möchte ich hier auch die NATO als Wertegemeinschaft ansprechen. Wenn die Türkei weiter vorgeht, wird sie in der Provinz Rojava auf US-Truppen treffen. Wenn sie bis Manbidsch vorrückt, trifft sie auf etliche US-Soldaten. Das gilt es zu verhindern.

Wir müssen schauen: Wer profitiert von dieser Lage? Die Türkei bricht offensichtlich das Völkerrecht, und es droht eine Konfrontation zwischen zwei NATO-Staaten. Der lachende Dritte,

(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das würde Russland sein!)

das sind hier zwei. Erstens wird Assad stabilisiert, und zweitens ist es Russland gelungen, einen Keil zwischen NATO-Staaten zu treiben.

(Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Die Türkei ist einmarschiert! – Zurufe von der AfD: Och!)

Hinzu kommt, dass die Türkei sich schleichend – schleichend! – im NATO-Bündnis isoliert. Ich möchte das damit belegen, dass die Türkei ein russisches Luftverteidigungssystem eingeführt hat, das das bisherige der NATO ersetzt. Damit ist die türkische Luftverteidigung nicht mehr mit der NATO-Luftverteidigung kompatibel.

Ferner gilt es zu beachten, dass es innerhalb der Türkei sehr viel Gefolgschaft für Erdogan gibt. Er lenkt von innenpolitischen Problemen ab und versucht, Gefolg­schaft für dieses offensichtlich völkerrechtswidrige Vorgehen zu gewinnen.

Wir müssen deshalb als Bundesrepublik Deutschland in der EU darauf drängen, dass dieses Vorgehen in zwei Bereichen thematisiert wird: erstens im NATO-Rat – das ist schwierig genug, weil die Tagesordnung einstimmig zu verabschieden ist – und zweitens im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Ich möchte einen Schritt weitergehen. Russland hat in dieser Woche bei den Friedensverhandlungen von Sotschi sehr klar erkannt, dass es, indem die Kurden, die größte Ethnie im Nahen und Mittleren Osten, ausgeschlossen sind, an einer Friedenslösung vorbei arbeitet und durch die Stabilisierung von Assad natürlich nicht erreichen wird, dass sich Hunderttausende syrischer Kurden, die wegen Assad und seiner Bombardierungen das Land verlassen haben, zur Rückkehr in ihr Heimatland bewegen lassen.

Deshalb kommt es darauf an – da sehe ich den Hebel –, dass wir – das ist mein dritter Aspekt – an einer europäischen Strategie arbeiten, die Russland zeigt: Wenn wir diplomatisch in Genf miteinander verhandeln, unter Einbeziehung aller Gruppierungen, einschließlich der Kurden und der Regionalmächte, dann müssen die Sonderverhandlungen in Astana und Sotschi in den Genfer Prozess integriert werden. Kurzfristig sollten wir das auch im NATO-Rat thematisieren. In einem weiteren Schritt müssen wir daran arbeiten, dass wir in diesem Friedensprozess ein UN-Mandat erhalten, um langfristig die Existenz der Kurden in Syrien zu gewährleisten und einen Friedensprozess in Syrien mit europäischer Beteiligung hinzubekommen, und schließlich sollten wir – das ist unsere Stärke – klarmachen: Der Wiederaufbau von Syrien ist aus der Region heraus nicht zu leisten. Westliche Mittel können nur fließen, wenn eine Lösung für Assad gefunden wird und ein inklusiver Friedensprozess geleistet wird.

Lassen Sie uns also in diese Richtung arbeiten! Erstens ist es gut, wie die Bundesregierung gehandelt hat.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Die hat doch nicht gehandelt!)

Zweitens. Wir müssen es auch im NATO-Rat und in den Vereinten Nationen thematisieren. Drittens. Wir brauchen eine europäische Strategie, deren Grundzüge ich aufgezeigt habe. Da hilft nicht Symbolpolitik, sondern klares Verhandeln.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Seit wann ist Schweigen Handeln? – Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Waffen zurückziehen! Das ist keine Symbolpolitik!)