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Katrin Staffler: Unser Anspruch muss sein: „Gemeinsam. Europa wieder stark machen“

Redebeitrag zur Deutschen Ratspräsidentschaft

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor 13 Jahren, also 2007, hat Deutschland das letzte Mal die Ratspräsidentschaft innegehabt. Am 1. Januar haben wir damals die Präsidentschaft übernommen. Übrigens ist gleichzeitig in Deutschland die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent erhöht worden. Irgendwie scheinen diese beiden Themen schicksalhaft miteinander verbunden zu sein. Bulgarien und Rumänien sind Mitglieder der Europäischen Union geworden; Slowenien hat den Euro eingeführt. Während des halben Jahres unserer Präsidentschaft hat sich die EU verbindlich verpflichtet, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 im Vergleich zu 1990 um ein Fünftel zu verringern.

Anlässlich des 50. Jahrestags der Römischen Verträge haben die Regierungschefs damals eine gemeinsame Erklärung zur Europäischen Union unterzeichnet. Kurz vor Ende des halben Jahres unserer Präsidentschaft hat der Europäische Rat dann die Grundzüge des EU-Grundlagenvertrags beschlossen.

Ich glaube, man kann mit Fug und Recht sagen: Das war damals eine sehr erfolgreiche Präsidentschaft. Damals haben deswegen auch Stimmen aus Brüssel die Diszipliniertheit, das Verhandlungsgeschick und das Engagement der Deutschen gelobt.

Gestern haben wir die Ratspräsidentschaft wieder übernommen. Mehr denn je müssen wir uns wieder auf genau diese Eigenschaften, für die wir schon damals gelobt worden sind, besinnen. Denn machen wir uns nichts vor: Es kommen nicht ganz einfache Zeiten auf uns zu.

Anders aber als die Verfasser des Antrags, den wir heute beraten, bin ich felsenfest davon überzeugt, dass wir aus der aktuellen Krise sehr wohl gestärkt hervorgehen können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Das muss doch auch unser Anspruch sein, ganz nach dem Motto, das wir uns ja richtigerweise gegeben haben: „Gemeinsam. Europa wieder stark machen.“

Wenn man sich diesen Antrag so anschaut, den die Kolleginnen und Kollegen zu unserer Rechten vorgelegt haben – ich sage es Ihnen ganz ehrlich: ich tue das nicht besonders gerne –, wenn man liest, was da so zusammengeschrieben worden ist, dann wird einem echt schwindelig.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Weil es gut ist!)

Da kann man nur noch den Kopf schütteln. Am liebsten hätte ich nach der ersten Seite schon wieder aufgehört, zu lesen. Ich meine, es kann doch bitte nicht Ihr Ernst sein, was Sie uns hier heute vorlegen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ihr Antrag hat mit der Ratspräsidentschaft überhaupt nichts zu tun, wenn man mal von einem kleinen Absatz auf der letzten Seite absieht.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und der Überschrift! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und der Überschrift! Genau!)

Das ist ja glatt eine Themaverfehlung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie machen sich einfach nur Luft und holen zum Rundumschlag gegen die Europäische Union aus. Sie schreiben zum Beispiel, dass die Coronapandemie gezeigt habe, wie wenig die Europäische Union in der Lage sei, die Probleme der Bürger Europas zu lösen.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Ich weiß ja nicht, ob Sie in den letzten Wochen und Monaten die Nachrichten verfolgt haben. Ich muss ganz ehrlich sagen: Mich hat es teilweise wirklich gerührt, mit welcher Solidarität wir einander geholfen haben

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Na ja!)

und wie gut – zugegebenermaßen nach anfänglichen Schwierigkeiten – die Europäische Union auf die Krise reagiert hat.

(Beifall des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU] – Norbert Kleinwächter [AfD]: Das war nicht die Europäische Union, Frau Staffler!)

Wir müssen doch nach vorne schauen, lieber Herr Kleinwächter. Wir müssen die Krise bewältigen. Wir müssen Europa fit für die Zeit nach der Krise machen, statt darüber zu heulen, was in der Vergangenheit vielleicht schiefgelaufen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

 

Katrin Staffler (CDU/CSU):

Nein. – Es liegen wichtige Aufgaben vor uns. Ich bin froh, dass wir jetzt unseren Teil dazu beitragen können, dass wir diese Aufgaben auch lösen. Die Verhandlungen zum Post-Brexit, zum mehrjährigen Finanzrahmen: Das sind die Themen, die ganz oben auf unserer Agenda stehen. Ich glaube, gerade beim MFR geht es ganz entscheidend darum, ob es uns gelingen wird, dass wir die richtigen Schwerpunkte für ein innovatives, für ein krisenfestes, für ein nachhaltiges Europa setzen.

Die Verhandlungen zum Post-Brexit sind in der Tat schwierig. Aber haben Sie schon mal eine Scheidung gesehen, die einfach war? Da braucht es Verhandlungsgeschick, da braucht es Vertrauen, da muss man zu einer guten Einigung kommen. Mitnichten ist es eine „Bestrafung“, um andere Mitgliedstaaten abzuschrecken, wie Sie schreiben. Das genaue Gegenteil ist doch der Fall, und das wissen Sie auch. Natürlich liegt uns extrem viel daran, dass wir auch künftig hervorragende Beziehungen zum Vereinigten Königreich haben. Das ist ja auch in unserem ureigensten Interesse.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das waren jetzt nur zwei Aufgaben, die natürlich einen sehr großen Teil unserer Ratspräsidentschaft einnehmen werden. Ich glaube, wenn man sich das Programm der Bundesregierung anschaut, dann zeigt das, dass wir einen sehr viel ambitionierteren Plan verfolgen.

Zu unseren Prioritäten gehört zum Beispiel auch die Stärkung der europäischen Werte- und Rechtsgemeinschaft. Die Krise hat im Bereich der Rechtsstaatlichkeit ja durchaus eine Reihe von Schwachstellen offengelegt: von der Belastung der Justizsysteme bis hin zur unterschiedlich gelagerten Wirksamkeit von institutioneller Kontrolle und Gegenkontrolle usw. Diesen Punkten müssen wir natürlich entschieden entgegentreten. Deswegen werden wir uns dafür einsetzen, dass wir eine Rechtsstaatsverknüpfung mit dem mehrjährigen Finanzrahmen hinbekommen und einen neuen Rechtsstaatsdialog im Rat anstreben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Johannes Schraps [SPD])

Auch mit Blick auf die anderen großen Transformationsprozesse Klimawandel, Digitalisierung, Veränderungen in der Arbeitswelt müssen und werden wir die Europäische Union stark machen. Ja, die Herausforderungen für die Europäische Union sind zahlreich. Deswegen müssen wir unsere Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen, und wir müssen die Themen in den Blick nehmen, die die Menschen umtreiben.

Mehr denn je müssen wir aus unserer Ratspräsidentschaft jetzt eine Zukunftspräsidentschaft machen. Wenn ich das Programm der Bundesregierung lese, bin ich, ehrlich gesagt, zuversichtlich, dass uns das gelingen wird. Deswegen freue ich mich auf spannende sechs Monate.

Für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD, habe ich hier ein Taschentuch für Ihre Krokodilstränen dabei, die Sie immer wieder über angebliche Fehler aus der Vergangenheit weinen. Damit können Sie die mal trocknen.

(Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])

Wir werden in der Zwischenzeit gemeinsam für eine gute Zukunft anpacken, und darauf freue ich mich.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)