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Detlef Seif: Die Europäische Union und Großbritannien sollen auch zukünftig eng und freundschaftlich verbunden sein

Rede zur Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat und zum ASEM-Gipfel

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Kollege Hebner hat vorhin die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom vergangenen Montag zitiert. Er hat richtig zitiert. Dort wurde tatsächlich behauptet, dass die EU von Großbritannien Zugeständnisse verlange, sich selbst aber keinen Zentimeter bewege. Ich sage Ihnen: Das glatte Gegenteil ist richtig.

(Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

EU-Verhandlungsführer Michel Barnier hat das Verhandlungsziel fest im Blick: Die Europäische Union und Großbritannien sollen auch zukünftig eng und freundschaftlich verbunden sein. Aber das, meine Damen und Herren, darf nicht auf Kosten der Europäischen Union erfolgen. Der Bestand der Europäischen Union muss sichergestellt sein. Es darf auch nicht zulasten des europäischen Binnenmarkts gehen.

Der Europäische Rat hat in seinen Verhandlungsleitlinien von vornherein festgelegt, welchen Aufbau die Verhandlungen haben müssen und welche roten Linien nicht überschritten werden dürfen. Das war auch bitter nötig. Der frühere Brexit-Minister und Verhandlungsführer David Davis benahm sich in den ersten Verhandlungsrunden regelrecht wie auf einem Basar. Er hat gesagt: Die Regeln über die zukünftigen Verpflichtungen finanzieller und sonstiger Art vertagen wir mal, bis das Austrittsabkommen vorliegt. – Erst die stringente und zielführende Verhandlungsführung der Europäischen Union stellte sicher, dass relativ zügig Einigkeit über die Bürgerrechte, die finanziellen und sonstigen Verpflichtungen sowie eine Übergangsphase bis Ende 2020 erzielt wurde.

Rund 90 Prozent der Punkte sind jetzt im Prinzip geregelt. Aber, meine Damen und Herren, nichts ist vereinbart, bevor nicht alles vereinbart ist.

(Martin Hebner [AfD]: Richtig!)

Und es gibt zwei Knackpunkte:

Soweit Großbritannien den Zugang zum Binnenmarkt für Waren anstrebt, kann das nur funktionieren, wenn sämtliche Standards der Europäischen Union angewandt werden, die nicht nur das Endprodukt als solches betreffen, sondern auch alle Herstellungs- und Lieferprozesse; denn mit diesen verbunden sind Standards der Arbeitswelt und Umweltstandards. Das wollen Sie von der AfD wahrscheinlich nicht verstehen, wenn Sie behaupten, wir wollten Großbritannien bestrafen. Es geht darum, dass die Unternehmen in den anderen Mitgliedsländern, in Deutschland nicht benachteiligt werden. Wir wollen Großbritannien gleichstellen. Aber es kann doch nicht sein, dass die bessere Bedingungen haben als wir.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Christian Petry [SPD])

Die Grenze zwischen Irland und Nordirland – ein ganz wichtiger Punkt. Die Situation vor Ort ist wirklich fragil. Es kann in der Tat der Konflikt wieder aufleben. Das muss um jeden Preis verhindert werden. Großbritannien strebt aber an, aus der Zollunion und auch aus dem Binnenmarkt auszutreten. Letztlich ließe sich, wenn man das so eins zu eins umsetzte, eine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland nicht vermeiden.

Die Europäische Union hat gesagt: Wir müssen hier eine Notfallregelung schaffen, die das ausschließt. – Die Europäische Union war sogar bereit, im Rahmen einer Notfalllösung vorzusehen, dass die Zollunion auf ganz Großbritannien ausgedehnt wird. Aber das ist nicht möglich über ein Austrittsabkommen, sondern nur im Rahmen einer politischen Erklärung, und die hat Großbritannien abgelehnt. Das ist der Streitpunkt. Da geht es nicht um Bestrafen und Schlechterstellen. Schauen Sie sich mal die umfangreichen Verhandlungen an. Sie werden Michel Barnier und dem Verhandlungsteam nicht einmal im Ansatz gerecht, wenn Sie behaupten, hier seien sachfremde Erwägungen vorhanden, die eine Rolle spielten.

Sollte das Austrittsabkommen vorliegen, besteht natürlich das Problem, dass man eine Mehrheit im britischen Unterhaus finden muss. Zurzeit gibt es für keine denkbare Variante eine Mehrheit. Aber sollte das Abkommen vorliegen, dann haben die Abgeordneten zu entscheiden: entweder für ein geordnetes Verfahren oder für ein völlig ungeregeltes Verfahren. Der Ausgang ist total offen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass hier eine Eigendynamik einsetzt.

Nach Gesprächen, die ich vor zwei Wochen mit David Lidington – das ist der Vertreter der Premierministerin – und einem Brexit-Sonderberater von Theresa May geführt habe, bin ich äußerst zuversichtlich, dass man dort kompromissbereit ist und seinerseits auch alles tun wird, um eine Regelung zu finden. Beide Seiten müssen bereit sein, an die Grenzen des Machbaren zu gehen, um große Nachteile für Großbritannien und die EU zu vermeiden. Sonst könnte sich der Brexit tatsächlich zu einem Drama in mehreren Akten entwickeln.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)