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Alexander Dobrindt: Wir wollen ein Europa, das sozial miteinander umgeht

Rede zur Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat und zum ASEM-Gipfel

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Göring-Eckardt, Sie beschreiben die großen Herausforderungen, die wir in Europa gemeinsam angehen müssen, die wir ja auch gemeinsam angehen wollen. Es sind die zentralen Herausforderungen angesichts der Frage, ob wir in Europa auch in Zukunft in Sicherheit leben können. Aber die Gemeinsamkeit, die Sie betonten, kommt im Europa-Wahlprogramm der Grünen überhaupt nicht zum Ausdruck. In Ihrem Wahlprogramm weisen Sie darauf hin, dass es eine Reihe von Ländern in Europa gibt, mit denen Sie überhaupt nicht mehr zusammenarbeiten wollen. Ob das Österreich, Rumänien, Polen, Ungarn, Italien ist, Sie weisen darauf hin, dass sich diese Länder nicht zur europäischen Idee bekennen. Es ist doch grundfalsch, alle um uns herum ausgrenzen zu wollen und dann von einer Gemeinsamkeit in Europa zu reden. Dieser Weg funktioniert nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU – Florian Hahn [CDU/CSU]: Typisch Grün!)

Wir müssen schon akzeptieren, dass es in Europa auch die Unterschiedlichkeit gibt. Wir wollen natürlich die Einheit in Vielfalt, aber es geht um die echte Einheit in Vielfalt.

Frau Weidel, wenn Sie hier stehen und von Europa reden, dann nehme ich Ihnen das nicht ab. Sie reden von einer „roten Karte für Europa“. Sie reden eigentlich von einem rückwärtsgewandten Europabild. Sie reden von der Vergangenheit der Abschottung. Sie reden von Nationalismus. Ich glaube, dass bei Ihnen eher das beheimatet ist, was Ihr Parteikollege Herr Höcke über Europa sagt.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: EU!)

Er nennt es „den Weg des kollektiven Wahnsinns“. Meine Damen und Herren, beim besten Willen: Wer die EU, wer Europa,

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das sind zwei verschiedene Dinge!)

wer den Gedanken eines friedlichen Zusammenlebens in Europa als „den Weg des kollektiven Wahnsinns“ beschreibt, der hat den Wahnsinn zu Beginn des 20. Jahrhunderts nie verstanden und keine Schlüsse daraus gezogen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Wir stellen fest, dass wir in Europa sehr unterschiedliche Gedanken haben, wenn es darum geht, wie man es gemeinsam positiv gestalten kann. Wir wollen ein Europa, das solidarisch ist, ein Europa, das sozial miteinander umgeht. Aber wenn man, Frau Wagenknecht, Europa per se als „unsozial“ bezeichnet,

(Zuruf von der LINKEN: Das ist so!)

dann muss man auch sehen, dass es Ihre linkspopulistischen Freunde in Italien sind, die unsere Solidarität maßlos strapazieren.

(Niema Movassat [DIE LINKE]: Das sind doch nicht unsere Freunde! Das sind Ihre Freunde in der Regierung!)

Nicht Europa ist unsozial, sondern Ihre linken Freunde sind es, die weiter Schulden machen und damit die Solidarität in Europa infrage stellen. Das ist doch die Wahrheit über Ihren Kurs.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist eine gute Nachricht – wie es die Frau Bundeskanzlerin gesagt hat –, wenn wir vom Weltwirtschaftsforum hören, Deutschland sei Innovationsführer in der EU. Wir sind globaler Innovationschampion. Das ist ein starkes Prädikat. Deswegen ist es richtig, dass wir darüber reden und diese Rolle weiter ausbauen. Innovation ist der zentrale Wohlstandsfaktor für Europa.

Aber wir wissen, dass wir auch Schwächen haben und bei denen wir deutlich besser werden müssen. Bei der Weltkonferenz zur künstlichen Intelligenz vor wenigen Wochen in Schanghai war aus Europa nur ein einziges Unternehmen vertreten, und bei einer dort verkündeten internationalen Forschungsallianz ist keine europäische Universität dabei. Das ist ein Warnschuss für den Innovationsstandort Deutschland, für den Innovationsstandort Europa. Gerade wir als Innovationsführer auf der Welt dürfen nicht in einer digitalen Schlüsseltechnologie wie der künstlichen Intelligenz zurückfallen; deswegen wollen wir die Innovationsführerschaft auch da erreichen. Dazu brauchen wir auch europäische Beschlüsse. Wir brauchen eine europäische Initiative zur künstlichen Intelligenz; bei deren Umsetzung wollen wir helfen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Diesen Herausforderungen müssen wir uns notwendigerweise stellen; denn wir wollen ein Europa, das sich nicht pauschal in diese vermeintlichen Gegensätze „immer mehr“ oder „immer weniger“ Europa gliedern lässt. Wir wollen ein sicheres Europa. Wir wollen ein Europa, das den Bürgern Ängste nimmt und Chancen gibt. Vertrauen, Stabilität, Sicherheit, darum geht es.

Wir wissen, dass wir das nicht alleine schaffen können. Wohlstandschancen in Europa zu ermöglichen, geht – denken wir an die Digitalisierung – nur mit einem gemeinsamen Binnenmarkt. Wenn wir auf der Weltbühne auf Augenhöhe mitspielen wollen, dann geht das nur, wenn wir mehr in die gemeinsame Verteidigung investieren und auch gemeinsame Streitkräfte aufbauen. Wenn wir den Terrorismus bekämpfen wollen, dann müssen wir im Bereich Sicherheit zusammenarbeiten.

Meine Damen und Herren, wir können übrigens auch die Frage der illegalen Einwanderung nur dann lösen, wenn wir uns gemeinsam um den Schutz der Außengrenzen kümmern.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Haben Sie noch nicht gemerkt, dass Sie mit diesem Thema nicht gepunktet haben?)

Da ist der Ausbau und Aufbau und die Stärkung von Frontex ein ganz wesentlicher Punkt; aber man muss Frontex dann auch an der richtigen Stelle und an den richtigen Elementen stärken. Wer kritisiert, dass Ungarn nicht nach mehr Frontex schreit, der verkennt, dass gerade Ungarn das Land ist, das seine Außengrenzen im Sinne Europas schützt. Wir müssen Frontex nicht da stärken, wo es funktioniert, sondern in den Regionen, wo es nicht funktioniert.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dazu gehört, dass wir uns in den Verhandlungen zum Brexit sehr klar darüber werden, was die Alternativen zu einer Verständigung mit den Engländern sind. Einfach zu akzeptieren, dass es vielleicht einen harten Brexit gibt – mit all seinen Folgen –, ist uns deutlich zu wenig. Deswegen gilt es, jetzt auch dafür zu sorgen, dass diejenigen, die in den Verhandlungen aktiv sind, eine hohe Bereitschaft zur Einigung haben. Wir haben kein Interesse daran, dass es zu einer Bestrafung Englands kommt. Wir haben kein Interesse daran, dass England sich weiter von Europa entfernt. Wir haben ein Interesse daran, dass am Ende dieser Verhandlungen eine Partnerschaft Doppelplus steht: eine Partnerschaft, die enger ist als mit allen anderen Ländern außerhalb der Europäischen Union. Wir haben ein Interesse daran, dass wir offene Grenzen am Ärmelkanal und sichere Grenzen am Mittelmeer haben, und nicht andersherum, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dass Großbritannien die EU verlässt, ist Fakt; aber wir sollten alle daran arbeiten, dass Großbritannien auch emotional ein enger Teil Europas bleibt. Es ist deswegen aus meiner Sicht nicht hilfreich, wenn in den Einladungen zum Europäischen Rat deutlich darauf hingewiesen wird, dass ein harter Brexit wahrscheinlicher ist denn je. Allein diese Formulierung, diese Art der Situationsbeschreibung, ist schon nicht hilfreich. Die größte Gefahr für die Stabilität Europas ist doch nicht nur die Entscheidung der Briten. Die größte Gefahr ist doch der falsche Umgang mit dieser Entscheidung von beiden Seiten. Deswegen müssen wir daran arbeiten, dass wir uns nicht weiter voneinander entfernen, sondern so eng wie möglich zusammenbleiben; dem müssen die Verhandlungen jetzt gelten und nichts anderem.

Wir haben einen Binnenmarkt. Großbritannien ist nach wie vor einer unserer engsten Partner. Wir haben eine Sicherheitsstruktur in Europa, bei der wir auf die Engländer nicht verzichten wollen. Wir haben eine europäische Verteidigungspolitik, die im Aufbau ist und die, glaube ich, dringend auch auf die Unterstützung Englands angewiesen ist.

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Und wir haben eine britische Jugend, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die offensichtlich ganz anders denkt als diejenigen, die zur Abstimmung gegangen sind.

Jetzt kann man dies als Vorwurf an diejenigen, die eben nicht daran teilgenommen haben, formulieren, oder man kann sagen: Man hat Verantwortung gerade für die Jugend in Europa und dafür, dass sie nicht durch falsche Entscheidungen aus der Vergangenheit langfristig in Mitleidenschaft gezogen wird. Deswegen muss auch ein Signal an die jungen Menschen in Europa von dieser Zusammenkunft ausgehen. Wir haben ein Interesse daran, dass die Jugend in Europa engstens zusammenbleibt – in Partnerschaft, in Einigkeit, in Gemeinschaft – und nicht durch wirtschaftliche Interessen auseinandergetrieben wird, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

In diesem Sinne erwarten wir uns kluge Beiträge vom kommenden EU-Gipfel. Wir wissen, wie außerordentlich schwierig die Verhandlungen sind. Aber wir wünschen Ihnen, liebe Frau Bundeskanzlerin, ausdrücklich Erfolg, damit wir gemeinsam dafür sorgen können, dass die Zukunft Europas in einem gemeinsamen Europa liegt und nicht in einem Europa, das die Unterschiede betont.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)