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Andreas Jung: Wir müssen jetzt vorsichtig und konsequent bleiben

Rede in der Generaldebatte Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt zum Einzelplan 04

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Verlauf dieser Debatte ist über die Frage diskutiert worden: Sind wir überhaupt noch in der Krise? Haben wir überhaupt eine Notsituation, die diese Folgen für den Bundeshaushalt notwendig macht? Ich finde, wenn man der Realität ins Auge blickt, dann kann doch überhaupt kein Zweifel daran sein: Wir sind bisher gut durchgekommen; aber wir sind noch lange nicht über den Berg.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das stimmt!)

Natürlich ist es so, dass wir, wenn wir die jetzige Situation mit der im März vergleichen, feststellen: Zum Glück haben Kitas wieder auf, haben Schulen auf, haben Geschäfte auf, haben Gaststätten auf, sind auch die Grenzen wieder offen, haben wir wieder reguläre Sitzungswochen im Deutschen Bundestag. Das alles bringt uns manchmal dazu, so etwas wie Normalität zu riechen, zu glauben, es könnte schon jetzt wieder normal sein. Aber wenn man sich die Zahlen anguckt, wenn man sich die Entwicklung anschaut, wenn man sich die Sorgen ansieht, die den Herbst betreffen, wenn man sich um uns herum in Europa umschaut und erst recht, wenn man die Zahl der Toten weltweit sieht, dann kann kein Zweifel daran sein: Wir müssen weiter vorsichtig bleiben. Wir müssen weiter konsequent handeln. Wir dürfen nicht nachlässig werden, weil es um Menschenleben geht.

Herr Dr. Gauland, ich war, um das so offen und deutlich zu sagen, peinlich berührt, als Sie die Coronatoten gegen andere Tote aufgerechnet haben. Ich finde das unwürdig,

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

weil es um Gesundheit geht, um die Menschen, die unter uns leben, um uns alle.

Aber es geht auch – und damit zur Haushaltsdebatte – um Finanzen. Wenn wir uns vorstellen, die Fallzahlen gingen wieder nach oben und wir müssten das öffentliche Leben wieder herunterfahren, sodass die Einnahmen noch mehr einbrechen würden und die Ausgaben noch höher wären, dann wären wir irgendwann an einem Punkt, an dem wir sagen müssten: Das können wir uns finanziell nicht mehr leisten. – Wir haben stark reagiert und reagieren weiterhin stark, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Auch deshalb müssen wir jetzt vorsichtig und konsequent bleiben.

Der Bundesfinanzminister hat gestern zum Bundeshaushalt gesprochen, auch zur schwarzen Null. Was er dazu mit Blick in die Vergangenheit gesagt hat, ist richtig. Er hat gesagt: Wir haben seit 2014 ausgeglichene Haushalte, und das solide Wirtschaften in der Vergangenheit macht jetzt diese starke Reaktion möglich. – Das ist vielleicht ein bisschen technisch ausgedrückt, ist aber leicht zu übersetzen: Ohne die schwarze Null gestern heute kein Wumms und keine Bazooka.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Was ist denn eigentlich „Wumms“?)

Der Schlüssel für die starke Reaktion heute liegt im soliden Wirtschaften gestern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es besteht auch kein Zweifel: Wir hatten die schwarze Null vor Corona, und ohne Corona hätten wir sie auch jetzt. Aber es sind zwei Dinge zusammengekommen: Die Einnahmen sind weggebrochen, und wir haben hohe Ausgaben – Ausgaben für Arbeitnehmer, Ausgaben für die Wirtschaft, Ausgaben für die Kommunen, Ausgaben für die Konjunktur; auch in die Zukunft investieren wir. Das beides führt dazu, dass wir jetzt noch einmal die Ausnahmeregelung bei der Schuldenbremse in Anspruch nehmen müssen. Das zeigt im Übrigen, dass die Schuldenbremse die Flexibilität mit sich bringt, die notwendig ist, um auf Krisensituationen angemessen zu reagieren. Aber genauso müssen wir sagen: Eine Ausnahme muss eine Ausnahme bleiben, und sobald wir aus dieser Krise heraus sind, müssen wir zurück zur Schuldenbremse. Das muss im Jahr 2022 geschehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb will ich an die Adresse der Grünen und erst recht an die der Linken sagen: Wenn man sagt: „Wir machen jetzt eine Ausnahme, und wenn es danach wieder besser läuft, dann machen wir genauso weiter wie jetzt“, dann kann das doch nicht der richtige Pfad in die Zukunft sein.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat ja auch keiner von uns gesagt! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: „Weiter wie jetzt“ auf keinen Fall! Wir brauchen eine bessere Regierung!)

Das hat im Übrigen auch nichts mit Nachhaltigkeit zu tun. Sie sprechen jetzt von einer Reform der Schuldenbremse, die wir in großem Konsens verabschiedet haben, weil wir gesagt haben: Wir brauchen in der Verfassung einen Hebel, eine Bremse, um zu verhindern, dass auch in guten Zeiten immer mehr Schulden gemacht werden. – Da wollen Sie jetzt ran. Sie nennen es „Reform der Schuldenbremse“, in Wahrheit wollen Sie sie abschaffen.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Falsch! Das wissen Sie auch, dass das nicht stimmt!)

Sie wollen nicht bremsen, sondern wollen beim Schuldenmachen mit Bleifuß Gas geben. Das ist kein Weg, der nachhaltig ist. Bei der finanziellen Nachhaltigkeit haben Sie eine Schieflage.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist mit uns nicht zu machen. Für uns gilt hier: Finger weg vom Grundgesetz! Für uns sind solides Wirtschaften und solide Finanzen eine Säule der Nachhaltigkeit neben den Säulen „Umwelt“ und „Soziales“.

Für uns ist aber genauso wichtig, dass wir investieren. Lassen Sie uns doch darüber sprechen, warum manche Investitionen nicht so schnell gehen, wie es nötig ist. Da müssen wir auch über die Dauer von Planungsverfahren sprechen. Da gilt unser Angebot, dass wir durch ein Ineinandergreifen aller staatlichen Ebenen alles dafür tun, damit die Mittel schneller da ankommen, wo wir investieren müssen. Das ist notwendig. Darüber müssen wir sprechen, und das werden wir tun.

Im Übrigen, Herr Lindner, weil Sie sich um die Mittel für Bildung und Forschung gesorgt haben, habe ich für Sie die gute Nachricht,

(Otto Fricke [FDP]: Jetzt komm nicht mit dem 60er!)

dass im nächsten Jahr die Mittel für Bildung und Forschung nicht sinken werden. Sie werden steigen, weil auch im EKF als Teil des Einzelplans 60, den Sie angesprochen haben, Mittel enthalten sind für KI, für Wasserstoff, für Quantencomputer.

(Otto Fricke [FDP]: Ja, ja! Aber im Etat!)

Sie können sicher sein – gucken Sie sich das am Ende des Jahres an –: Es wird mehr investiert in Bildung und Forschung. Das ist gut.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Lindner [FDP]: Von 5,1 auf 4,8 Prozent!)

Lassen Sie uns darüber reden, wie wir gemeinsam mehr Zukunftsinvestitionen auf den Weg bringen, aber auch darüber, wie wir aus der Krise kommen. Da sind wir im Übrigen anderer Meinung als der Finanzminister. Wir glauben nicht, dass Steuererhöhungen der richtige Weg sind, um aus der Krise zu kommen. Es ist doch geradezu paradox angesichts der Situation, in der wir feststellen, dass unser Erfolg ganz maßgeblich vom Mittelstand in Deutschland abhängt, weil er unser Rückgrat ist, nach der Krise zu sagen: Die, die wir gestützt haben, deckeln wir jetzt.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Es geht ja um die Millionäre und Milliardäre!)

Das kann nicht richtig sein, und das werden wir als Union so auch nicht mitmachen. Wir müssen mit unserer Wirtschaft aus dieser Krise kommen.

Ich finde, über diese Fragen sollten wir ein bisschen mehr reden als über die Bonner Lokalpolitik. Die können Sie an anderer Stelle diskutieren; da sind Sie auch näher dran. Ich habe gesehen, die FDP hatte da auch einen Kandidaten; er hat 3,5 Prozent der Stimmen bekommen. Insofern haben wohl unsere beiden Parteien noch Anlass zur Analyse.

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Otto Fricke [FDP]: Hä?)

Zur Nachhaltigkeit. Der Klimaschutz ist angesprochen worden. Ich will sagen, dass die Bundeskanzlerin unsere Unterstützung hat bei dem Weg, den sie beschrieben hat, für mehr Klimaschutz in Europa; denn das ist der Weg zu mehr Klimaschutz international. Das ist eine globale Frage. Frau Weidel, Herr Dr. Gauland, schauen Sie sich doch den Zustand des deutschen Waldes an, der unter den Klimaveränderungen leidet. Das kann man doch nicht ignorieren.

(Ulli Nissen [SPD]: Das tun sie aber! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Die können das! – Dr. Alice Weidel [AfD]: Trotzdem holzen Sie den Wald für Windräder ab!)

Andere trifft es schon jetzt noch härter. Deshalb müssen wir da etwas tun. Wir tun es über den deutschen Haushalt mit Investitionen in Klimaschutz, wir tun es über das europäische Paket mit Investitionen in Klimaschutz; denn wir müssen jetzt sehen, dass alle in Europa mit ins Boot kommen, dass wir gemeinsam Klimaneutralität erreichen, dass wir marktwirtschaftliche Instrumente wie den Emissionshandel stärken. Wir müssen auch gemeinsam die Voraussetzungen schaffen, um zum Beispiel mit einer Wasserstoffstrategie die enormen Mengen an erneuerbaren Energien, die wir dann brauchen, zu erzeugen, und zwar in Deutschland, in Europa, aber auch im Rahmen von Partnerschaften mit Nordafrika. Da brauchen wir so etwas wie South Stream, eine Grüne Wasserstoffleitung durch das Mittelmeer, im Rahmen einer Partnerschaft mit den dortigen Ländern zum Nutzen aller.

(Beifall des Abg. Michael Theurer [FDP])

Da müssen wir ran. Das ist der Weg, den wir wollen und den wir brauchen. Klimaschutz und Wirtschaft zusammenbringen, da gibt es keinen Widerspruch; beides gehört zur Nachhaltigkeit mit dazu.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Michael Theurer [FDP])

Damit bin ich bei Europa. Es ist heute über das deutsche Steuergeld gesprochen worden. Ja, da geht es um deutsches Steuergeld, aber – das will ich schon deutlich sagen – es geht eben auch um die deutsche Volkswirtschaft. Die können Sie doch nicht von den Partnern in Europa loslösen. Wenn wir das tun würden, was Sie wollen, nämlich die Grenzen hochziehen und die Brücken abbauen, dann wären wir betroffen, weil wir für unsere Produkte starke Partner in Europa brauchen. Ein starkes Deutschland gibt es nur mit einem starken Europa.

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Wir zahlen die Exporte selbst über Target2!)

Das ist unser Weg, und deshalb haben wir ein starkes Programm hier im Land entwickelt. Aber auch die Gemeinsamkeit, die Solidarität, das gemeinsame Wachstum in Europa sind wichtig für ein starkes Deutschland und ein starkes Europa.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)