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Ralph Brinkhaus | Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
(Quelle: Ralph Brinkhaus, Unionsfraktionschef | Foto: Thomas Imo)

Ralph Brinkhaus und Christian von Stetten im Doppelinterview mit Business Insider

Managt die Bundesregierung die deutsche Wirtschaft gut durch die Krise? CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender Ralph Brinkhaus (CDU) und der Chef des Wirtschaftsflügels der Union, Christian von Stetten, beantworten diese und weitere Fragen im Doppelinterview mit Business Insider:

Business Insider: Herr von Stetten, in einem Brief an Herrn Brinkhaus haben Sie eine „Belastungs- und Bevormundungsorgie für Unternehmen“ beklagt. Wirklich zu spüren bekamen die Krise doch vor allem Arbeitnehmer im Homeoffice, die Selbstständigen und die Kinder, die nicht zur Schule konnten. Verschiebt sich hier nicht komplett die Perspektive?

Christian von Stetten: Im Frühjahr wurde im Koalitionsausschuss ein Belastungsmoratorium für Unternehmen beschlossen. Firmen sollten so geschont werden. Jetzt sehen wir aber neue Entscheidungen zwischen den Ministerpräsidenten und der Kanzlerin, teils auch von den Bundesministern, die das Gegenteil besagen. Deswegen mussten wir mit diesem Brief ein Zeichen setzen und unserem Fraktionsvorsitzenden für die anstehenden Verhandlungen den Rücken stärken.

BI: Trotzdem nochmal gefragt: Die Bundesregierung hat ein unglaublich großes Hilfspaket geschnürt, dass sich vor allem an die Firmen gerichtet hat. Hat man nicht eines der zentralen Probleme, die Belastung vieler Arbeitnehmer und Freiberufler, vernachlässigt?

von Stetten: Viele Menschen sind mit den Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung zufrieden, weil sie so schnell reagiert hat. Aber: Eine Krise sollte man auch nutzen, um das Land fit für die Zukunft zu machen. Die Unternehmen der Autoindustrie wussten schon vor der Krise, dass sie zu viele Mitarbeiter haben. Deswegen ist auch die generelle Verlängerung des Kurzarbeitergeldes bis Ende 2021 schwer zu vermitteln. Man hätte sich auf die Branchen konzentrieren sollen, welche unter staatlichen Restriktionen leiden und diesen besondere Hilfe zuweisen müssen. Wir hätten uns auch nach der Sommerpause ein Feuerwerk an Innovationen und Bürokratieabbau von der Bundesregierung erhofft. Stattdessen wurde nur das Kurzarbeitergeld verlängert und eine Arbeitsgruppe zum Bürokratieabbau eingesetzt.

Ralph Brinkhaus: Die Arbeitsgruppe tagt bereits.

von Stetten: Lieber Herr Fraktionsvorsitzender, die Arbeitsgruppe hätte es nicht gebraucht. In meinen 18 Jahren im Parlament war ich an sechs Arbeitsgruppen zum Thema Bürokratieabbau beteiligt, viel zu wenig aber wurde umgesetzt. Auch der Wirtschaftsminister hat Vorschläge gemacht. Ich traue mir zu, innerhalb einer Woche ein umfassendes Bürokratieabbaugesetz zu schreiben. Wir müssen jetzt einfach mal die Sachen umsetzen.

Brinkhaus: Es gab alleine drei Bürokratieabbaugesetze in diesem Zeitraum. Zudem haben wir fortlaufend an vielen kleinen Stellschrauben gedreht – und den Aufbau neuer Bürokratie, wo möglich, verhindert. Natürlich gibt es hier Luft nach oben, natürlich kann es immer noch mehr sein. Aber wir sind eben in einer Koalition. Alles was wir gerne möchten, da müssen wir einen Zweiten für finden.

BI: Wo Sie schon den Koalitionspartner ansprechen: Die SPD will das Recht auf Homeoffice, die CDU ein Bürokratieabbaugesetz. Kann man sich da nicht einig werden?

Brinkhaus: Ein Homeoffice-Gesetz bedeutet zusätzliche bürokratische Hürden. Das ist das Gegenteil, von dem was wir wollen. Ein Rechtsanspruch hört sich erstmal gut an, macht aber großen Aufwand. Das lehnen wir ab. In dieser angespannten Situation müssen wir die Unternehmen entlasten, nicht belasten. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind erwachsen genug, sich untereinander zu einigen. Das muss der Staat nicht machen, das hat die vergangenen sechs Monate in der Pandemie auch so geklappt.

BI: Aber auch in der Union gibt es Stimmen, denen ein simples „Nein“ zum Recht auf Homeoffice zu wenig ist.

Brinkhaus: Wir haben dafür andere Punkte gesetzt: Innovationsförderung, mehr Geld für Quantencomputer und Wasserstofftechnologie, für Künstliche Intelligenz. Das alles sind wichtige Maßnahmen, um den Standort Deutschland langfristig zukunftssicher zu machen.

BI: Das heißt, in dieser Legislaturperiode wird das Recht auf Homeoffice nicht mehr kommen?

Brinkhaus: Nein, wir finden Homeoffice gut, aber wir sind der Auffassung, dass das am besten Arbeitgeber und Arbeitnehmer untereinander regeln. Das klappt nach meiner Wahrnehmung bisher auch sehr gut. Das Herausklettern aus dem Tal wird für unsere Unternehmen schwer genug werden, da legen wir ihnen nicht auch noch zusätzliche Steine in den Rucksack.

BI: Der Eindruck, den die Politik bei ihrem Krisenmanagement vermittelt, ist folgender: Wir müssen nur noch durchhalten, bis der Impfstoff kommt, dann wird alles wie es vor der Krise war. Doch die Anfang oder Mitte Zwanzigjährigen auf Jobsuche spüren die Konsequenzen schon jetzt. Wächst also trotz der vielen Hilfsmaßnahmen hier eine „Generation Corona“ heran?

Brinkhaus: Die derzeitige Situation stellt jeden von uns vor besondere Aufgaben. Schauen Sie nur mal, was in Familien bei der Kinderbetreuung und im Homeschooling geleistet wurde. Wir helfen der jungen Generation am besten, wenn wir jetzt die richtigen Weichen stellen und den Standort Deutschland zukunftssicher machen. Das heißt, wir müssen in Technologie und Innovation investieren, uns im Wettbewerb mit China neu positionieren und bei der digitalen Bildung aufholen.

BI: Aber ein junger Mensch, der aktuell eine Arbeit sucht und wegen der Krise nichts findet, wird sich kaum damit trösten, dass die jetzt gemachten Investitionen sich in 15 Jahren möglicherweise auszahlen.

Brinkhaus: Eines möchte ich klipp und klar feststellen: Wir lassen die jungen Leute nicht im Stich. Mit dem Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ bekommen kleine und mittlere Betriebe in diesem Ausbildungsjahr eine Prämie von 2000 Euro pro neuem Lehrling, wenn sie die Zahl ihrer Azubis konstant halten, und 3000 Euro, wenn sie sie erhöhen. Dieses Programm hat sich so gut bewährt, dass die Bundesbildungsministerin es um ein halbes Jahr bis Ende 2021 verlängern will. Vielleicht kann nicht jeder sofort seinen Traumberuf ergreifen – aber mit etwas Anpassungsfähigkeit wird jeder fündig. Krise hin oder her, es herrscht noch immer Fachkräftemangel in unserem Land. Und mit unseren Investitionen in Zukunftstechnologien zeigen wir, dass wir die langen Linien nicht aus dem Blick verlieren.

BI: Das ist ja auch wichtig, trotzdem nochmal nachgehakt: In Spanien hat man gesehen, wie lange eine ganze Generation von einer Krise verfolgt werden kann. Warum hört man von der Bundesregierung so wenig Konkretes dazu, wie man jungen Menschen helfen will?

Brinkhaus: Was wäre denn ihr Vorschlag?

BI: Zum Beispiel die Ausbildungsvergütung verlängern, eine Einstellungsoffensive im öffentlichen Dienst, der ja jahrzehntelang kaputtgespart wurde...

Brinkhaus: Wir brauchen auf jeden Fall keine staatlichen Beschäftigungsprogramme. Nachhaltige, wirtschaftlich sinnvolle und innovative Arbeitsplätze werden geschaffen, wenn es der Privatwirtschaft gut geht. Deswegen ist auch jungen Menschen geholfen, wenn wir die Wirtschaft schnell wieder voranbringen. Eine auf Stabilisierung angelegte Wirtschafts- und Finanzpolitik ist am Ende die beste Politik für die Ausbildungssituation in unserem Land. Ich bin zuversichtlich, dass wir stark aus dieser Krise herauswachsen und Unternehmen dann viele jungen Menschen suchen werden.

von Stetten: Ich sehe auf dem Arbeitsmarkt derzeit noch ein anderes Problem.

BI: Welches?

von Stetten: Ich habe die Befürchtung, dass sich Menschen in Krisenbranchen derzeit nicht umorientieren, obwohl das ratsam wäre. Hier verschleiern die Staatshilfen die eigentlichen Probleme, weil man auch todgeweihte Unternehmen am Laufen hält. Gleichzeitig suchen Unternehmen etwa in Baden-Württemberg weiter händeringend Mitarbeiter, finden aber niemanden, weil viele potenzielle Mitarbeiter in ihrer scheinbar sicheren Kurzarbeiterstelle bleiben.

BI: Wie kann der Staat hier helfen?

von Stetten: Er muss genau schauen, dass Unternehmen die Staatshilfen nicht zu sehr ausnutzen und so die normalen Marktmechanismen außer Kraft setzen. Ein Beispiel: Selbst bei 30 Prozent Umsatzeinbußen übernimmt der Staat einen Teil der Fixkosten. Ich sage mal so: Selbst ohne Steuerberater könnte ich die Zahlen meines eigenen Unternehmens so hinrechnen, dass ich auf 30 Prozent weniger Umsatz komme. Dann lohnt es sich für mich eher auf Staatshilfen zu setzen als mein Geschäft mit Vollgas zu betreiben. Das sind fatale Anreize. Denn so werden auch weniger Menschen eingestellt.

BI: Ist der Staat also zu großzügig mit den Hilfen und schaut nicht genau genug hin?

von Stetten: In meiner Region gibt es eine Eisdiele, die jedes Jahr von April bis September von Italienern betrieben wird. Dieses Jahr bleiben sie auch im Winter in Deutschland und melden Kurzarbeit an. So lässt sich eben auch mit 60 oder 70 Prozent des normalen Verdienstes gut leben. Da ist nichts Illegales dran, aber so etwas würde es nicht geben, wenn sich die Unternehmen an den Kosten des Kurzarbeitergeldes beteiligen müssten – so wie es früher war. Zu dieser Regelung müssen wir zurück. Aber: Schausteller, Reisebüros, Veranstalter, viele andere leiden ohne Zweifel. Auf die müssen wir uns bei den Hilfen konzentrieren.

Brinkhaus: Ich habe da eine andere Meinung. Dass das Geld auch mal an Stellen ankommt, wo es nicht gebraucht wird, passiert leider. Dagegen muss man energisch vorgehen. Die Innenpolitiker unserer Fraktion fordern genau deswegen immer wieder die Schaffung von lokalen Task Forces aus Ermittlern und Staatsanwälten, um den Betrugsversuchen rund um die Coronahilfen nachzugehen. Aber das ist kein breites Problem. Der Großteil der Hilfen wirkt aber aus meiner Sicht zielgenau.

von Stetten: Am Anfang war es gar nicht anders möglich, schnell Hilfen zu organisieren, dass man auch Streuverluste hatte. Umso wichtiger ist es aber, dass wir jetzt nachsteuern.

BI: Ein Punkt, der bei Staatshilfen unstrittig ist: Sie sind sehr teuer. Trotzdem soll schon 2022 die schwarze Null wieder eingehalten werden. Können Sie Steuererhöhungen ab nächstem Jahr heute ausschließen?

Brinkhaus: Steuererhöhungen sind nicht förderlich für die wirtschaftliche Erholung. Wir brauchen viele gut bezahlte Arbeitsplätze, um aus der Krise herauszuwachsen. Gleichzeitig dürfen wir auch nicht ständig die Staatsausgaben steigern. Bei der SPD sind da die Vorstellungen genau andersherum. Dort will man neue soziale Segnungen durch höhere Steuern bezahlen.

BI: Ausgeschlossen haben Sie neue Steuern damit aber nicht.

Brinkhaus: Wir glauben nicht, dass Steuererhöhungen der Wirtschaft guttun.

von Stetten: Der wichtigste Passus im Koalitionsvertrag ist für mich: keine Steuererhöhungen und keine neuen Steuern. Das muss auch im kommenden Koalitionsvertrag wieder drinstehen.

BI: Abschließend zu einem ganz anderen Thema. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte in dieser Woche, der Föderalismus stoße angesichts der Corona-Pandemie an seine Grenzen. Hat er Recht?

Brinkhaus: Ich möchte den Föderalismus an sich nicht infrage stellen. Trotzdem müssen wir uns fragen, ob das gegenwärtige System in der momentan doch recht dynamischen Situation noch adäquat auf die neuen Herausforderungen reagieren kann. Mein Eindruck ist: Die Pandemie hat gezeigt, dass wir dringend Reformen brauchen. Hier gibt es einiges, was man neu sortieren muss.

BI: An welche Bereiche denken Sie?

Brinkhaus: Die Pandemiebekämpfung muss künftig besser koordiniert werden. Es kann nicht sein, dass das zentrale Gremium eine Videokonferenz zwischen den Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin ist. Wir brauchen deshalb eine verstärkte Einbeziehung der Legislative mit Augenmaß: Über Verordnungen dort, wo schnelles Handeln gefordert ist. In Einbeziehung der Legislative, je größer die Entscheidungen in ihrer Tragweite sind. Deshalb werden wir in der kommenden Woche im Bundestag über die Corona-Maßnahmen debattieren. Darüber hinaus stehen wir vor einer Disruption im Bildungswesen, angesichts der Digitalisierung des Lernens. Wenn da jedes Bundesland sein eigenes Konzept, seine eigene Schul-Cloud erarbeitet, dann werden wir nicht wettbewerbsfähig sein. Das muss nicht unbedingt der Bund machen, aber die Schulministerien müssen sich hier in jedem Fall noch besser absprechen.

BI: Das klingt sehr dringlich. Wann soll es losgehen?

Brinkhaus: Wir müssen erstmal mit der Pandemie gut durch den Winter kommen, aber die Gespräche sollten in jedem Fall noch in dieser Legislaturperiode beginnen. Das Thema sollte auch Bestandteil des nächsten Koalitionsvertrages sein.

Fragen von Tobias Heimbach und Lars Petersen für Business Insider