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(Quelle: Katja Leikert ist stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und zuständig für Europa-Themen | Foto: CDU/CSU-Bundestagsfraktion/Salvadore Brand)

EU-Sozialgipfel in Porto: Signal für eine starke Europäische Union

Kommentar von Katja Leikert

Katja Leikert, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und zuständig für die Themen Europa und Menschenrechte. Hier kommentiert sie in einem Gastbeitrag den EU-Sozialgipfel, der am 7. Mai in Porto stattfand.

Der europäische Sozialgipfel in Porto am 7. Mai war dringend notwendig. Denn Europa steht erst vor dem Beginn der Erholungsphase nach der durch Covid-19 ausgelösten Rezession. Die Gelder des händeringend benötigten Wiederaufbaufonds sind noch nicht in allen Mitgliedstaaten freigegeben. Noch warten Hoteliers, Gastronomen und Händler darauf, endlich wieder Umsatz in existenzsichernder Höhe machen zu können. Dementsprechend stark sind die sozialen Auswirkungen auf alle Berufsgruppen - Selbstständige, Freiberufler, Beschäftigte. Insgesamt gilt: Die Pandemie hat ihre Spuren nicht nur in allen Teilen der Gesellschaft, sondern auch in allen Geldbeuteln hinterlassen.

"Europa hat in der Krise Solidarität bewiesen."

Das europäische Kurzarbeitergeld SURE war eine passgenaue Maßnahme, die vielen zehntausend Menschen geholfen hat. Aber um ihre alte wirtschaftliche Stärke wieder zu erreichen, benötigt die EU massive Anstrengungen, vor allem in den Ausbau von Zukunftstechnologien und Infrastrukturen.

"Die Pandemie ist wie jede Krise auch eine Chance, Europa gen Zukunft auszurichten."

Deshalb war es richtig von der portugiesischen Ratspräsidentschaft, in ihrer anspruchsvollen Zeit an der Spitze Europas den Blick auf die soziale Balance in Europa zu schärfen.

Dabei wird es nicht ausreichen, sich allein auf Wirtschaft und Finanzen zu konzentrieren und gleichzeitig die Augen vor den offensichtlichen neuen sozialen Problemen in Europa zu verschließen. Spätestens seit der Finanzkrise grassiert die Jugendarbeitslosigkeit in Teilen Europas. Dazu kommen jetzt neue Herausforderungen für den Arbeitsmarkt, denn wir dürfen uns nichts vormachen:

"Der Kampf gegen den Klimawandel und die Digitalisierung werden gewaltige Umbrüche für die Beschäftigten in der gesamten EU mit sich bringen."

Die völlig richtigen Bemühungen um unser Klima bei gleichzeitigem Ausbau unserer wirtschaftlichen und technologischen Leistungsfähigkeit dürfen nicht nur auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden – wie die Pandemie auf dem Rücken derjenigen, die in den Bereichen Gesundheit, Pflege und öffentlicher Ordnung arbeiten. Bereits bei ihrer Gründung 1957 bekannte sich die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft dazu, nicht nur für den wirtschaftlichen, sondern auch für den sozialen Fortschritt zu sorgen.

Ziel aller Maßnahmen muss ein Impuls für eine Aufwärtskonvergenz sein - wirtschaftliche und soziale Erholung müssen in ganz Europa Hand in Hand gehen. An erster Stelle müssen wir den Fokus darauflegen, mehr Menschen wieder in Arbeit zu bringen - und zwar in Jobs mit Zukunft, Entfaltungspotential und Perspektive. Hier hätte ich mir ein stärkeres Signal vom Sozialgipfel gewünscht. Das beste Rezept gegen die Kinderarmut sind berufstätige Eltern. Das geeignetste Mittel für mehr soziale Dynamik sind gute Ausbildungen und Möglichkeit zur individuellen Fortbildung.

"Die weitere Angleichung der Lebensverhältnisse in Europa muss allerdings durch gezielte Investitionen in Wachstumssektoren in benachteiligten Regionen geschehen und nicht über Umverteilung, die wenig nachhaltig wäre."

Es ist bedauerlich, dass der Sozialgipfel in dieser Frage Klarheit vermissen ließ. 

Die Stärkung der Europäischen Säule Sozialer Rechte (ESSR), um deren Weiterentwicklung es bei dem Gipfel in Porto ging, muss dem Leitsatz folgen: Arbeit muss sich überall in Europa lohnen und auskömmliche Arbeit muss sich überall in Europa finden lassen. Das ist uns in der Unionsfraktion in diesen schwierigen Zeiten am wichtigsten, da den Menschen so am schnellsten geholfen werden kann. Die 20 Ziele des Aktionsplans zur ESSR, unterteilt in die Kategorien Chancengleichheit, faire Arbeitsbedingungen und Sozialschutz, haben allesamt ihre Berechtigung. Viele der Ziele - anpassungsfähige Beschäftigung, lebenslanges Lernen, Gleichbehandlung im Berufsleben – haben zur Voraussetzung, dass Menschen in aktiven Beschäftigungsverhältnissen stehen. Die Beschäftigten sind es auch, die mit ihren Sozialbeiträgen solidarisch die Sozialsysteme stärken und so die Unterstützung von Behinderten und Langzeitpflege, zwei weitere der Ziele des Aktionsplans, überhaupt erst ermöglichen.

Deshalb muss eine verbesserte europäische Koordinierung insbesondere die Wiedererstarkung der Tarifbindung zum Ziel haben. Wir begrüßen einen europäischen Rechtsrahmen für Mindestlöhne, der Tarifverhandlungen stärkt. Denn:

"Gerechte Löhne entstehen nur im Rahmen Tarifverträgen, die den Sozialpartnern ausgehandelt wurden."

Uns geht es darum, die Mitgliedstaaten dabei zu unterstützen, die Tarifbindung zu erhöhen und Strukturen von Sozialpartnerschaften zu schaffen und auszubauen. Die Folgen fehlender Strukturen sieht man an den teilweise inakzeptablen Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in globalen Logistik- und Servicekonzernen und bei Online-Plattformen.

Angesichts der enorm gestiegenen Mobilität innerhalb der EU gibt es mehr und mehr grenzüberschreitende sozialpolitische Sachverhalte, die eine europäische Antwort erfordern. Dazu zählt für uns auch die bessere Koordinierung der Sozialversicherungssysteme in der Europäischen Union. Aber die Mitgliedstaaten und ihre nationalen Parlamente müssen die Grundlagen ihrer Sozialpolitik und insbesondere die dafür verfügbaren Mittel im Blick behalten können.

"Sozial ist nur, was zukünftige Generationen nicht mit Schulden überfrachtet."

Hinzu kommt, dass viele Strukturen in der Sozialpolitik historisch gewachsen sind. Hier haben die Mitgliedstaaten eine hohe Kompetenz, die mit Blick auf andere Weltregionen vorbildlich ist. Die Angleichung der Systeme sozialer Sicherheit sind unter Würdigung dieser Entwicklungspfade behutsam vorzunehmen. Sie sind das Ergebnis jahrelanger gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse. Die EU hingegen kann die Klammer für sozialpolitische Vorstellungen bilden.

Der Gipfel in Porto war dringend notwendig, um die sozialen Fragen einer Neuausrichtung der EU zu klar zu benennen. Er war aber in jedem Fall nur der Beginn einer Debatte über die soziale Ausrichtung unserer Gemeinschaft. Letztlich entscheiden die Europäerinnen und Europäer selbst, ob sie eine Europäische Sozialunion wünschen. Das wäre eine spannende Frage für die an diesem Sonntag, dem Europatag, beginnende Konferenz zur Zukunft Europas.