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(Quelle: picture alliance/Winfried Rothermel)

„Ein Zeichen für das Zusammenwachsen Europas“

Katja Leikert und Thorsten Frei über 25 Jahre Reisefreiheit im Schengen-Raum

Im Schengen-Raum öffneten sich am 26. März 1995 die Schlagbäume. Seit 25 Jahren also beschert das Schengen-Abkommen den Bürgern der meisten EU-Länder und einiger Nachbarstaaten, die sich im Laufe der Jahre angeschlossen haben, grenzenloses Reisen.

Dazu ein Interview mit den stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Katja Leikert und Thorsten Frei.

Frau Leikert, Herr Frei: In Zeiten der Corona-Epidemie, in der viele EU-Staaten die Grenzen schließen, hat das Schengen-Jubiläum einen bitteren Beigeschmack. Wieviel bedeutet Ihnen persönlich der Erhalt der Reisefreiheit?

Leikert: Die Reisefreiheit ist für mich inzwischen die Grundlage der Europäischen Union. Sie hat uns Europäern großen wirtschaftlichen Wohlstand gebracht. Aber sie ist auch ein wichtiges Zeichen für das Zusammenwachsen unseres Kontinents. Meine Kinder werden sich nicht mehr an Schlagbäume in Europa erinnern können. Die nächste Generation wird sich deshalb noch viel selbstverständlicher als Europäer fühlen.

Frei: Das Schengener Abkommen ist auch für mich eine der größten Errungenschaften Europas. Freies Reisen innerhalb Europas, ganz ohne Schlagbäume und Personenkontrollen, ist ein großes Privileg. Über 90 Prozent der Menschen in Deutschland befürworten die Reisefreiheit in Europa. 

Ich versuche mir jedes Mal bewusst zu machen, wenn ich mit dem Auto oder dem Zug eine Landesgrenze überquere, dass diese Freiheit nicht selbstverständlich ist und wir sehr sorgsam damit umgehen müssen. Dass im Zuge der Corona-Krise ausgerechnet zum 25. Jahrestag Grenzkontrollen eingeführt werden mussten, weshalb das freie Reisen innerhalb Europas nahezu zum Erliegen kam, ist trotzdem richtig. Denn es handelt sich um eine Ausnahmesituation. Wir müssen jetzt alles dafür tun, die Corona-Epidemie einzudämmen. Freuen wir uns alle auf die Rückkehr zur Reisefreiheit, wenn wir diese Krise bewältigt haben. 

„Vertrauen ist Kern der europäischen Einigung“

Frau Leikert, welchen Stellenwert hat Ihrer Ansicht nach das Schengen-Abkommen für den Zusammenhalt der Europäischen Union?

Leikert: Das Schengen-Abkommen war ein enormer Schritt. Nirgends auf der Welt haben jemals so viele Staaten die Grenzkontrollen zueinander abgeschafft. Das zeigt, wie eng die Europäer miteinander leben wollen und wie sehr sie sich gegenseitig vertrauen. Die Reisefreiheit steht für ein ganz besonderes Vertrauen, das der Kern der europäischen Einigung ist.

„Mehr Sicherheit als vor der Grenzöffnung“

Herr Frei, es gab ja immer schon Kritik daran, dass die offenen Schlagbäume auch die Strafverfolgung erschweren. Wie sehen Sie das?

Frei: Es ist richtig, dass die Kehrseite offener Schlagbäume eine höhere Bewegungsfreiheit für internationale Verbrecherbanden ist. Darauf müssen wir mit entsprechenden Gegenmaßnahmen reagieren: Am wichtigsten ist die erheblich ausgeweitete grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit und die Errichtung des Schengener Informationssystems, mit dem die Polizeien schnell Informationen austauschen und gemeinsam Fahndungen durchführen können. Das BKA weist darauf hin: Europa hat es damit geschafft, für die Bürger sogar mehr Sicherheit zu gewährleisten, als sie vor der Reisefreiheit hatten.

Auch die Tatsache, dass die EU-Staaten keine gemeinsame Asylpolitik verfolgen, ist für Schengen ein Pferdefuß, oder?

Frei: Zwei der Verabredungen bei der Abschaffung der Binnengrenzkontrollen waren die Errichtung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems und ein sicherer EU-Außengrenzschutz. Beides funktioniert nicht und das müssen wir dringend ändern. Beim Außengrenzschutz werden wir deshalb jetzt die EU-Grenzschutzagentur Frontex auf 10.000 Kräfte ausbauen. 

„Wir brauchen Fortschritte bei der europäischen Asylpolitik“

Zur Reform des gemeinsamen Europäischen Asylsystems hat Deutschland Anfang des Jahres einen Vorschlag vorgelegt, mit dem wir die jahrelange Blockade innerhalb der EU bei diesem Thema endlich durchbrechen können. Jetzt ist es an der Europäischen Kommission, konkrete Regelungsentwürfe vorzulegen. Wir müssen bei der gemeinsamen europäischen Asylpolitik endlich Fortschritte erzielen, sonst gefährdet das Unvermögen Europas auf diesem Feld auf Dauer auch den Schengen-Raum.

Frau Leikert, welche Lehren müssen die Schengen-Mitglieder aus der Corona-Epidemie ziehen?

Leikert: Selbst Grenzkontrollen halten ein hochansteckendes Virus nicht auf. Genau deshalb müssen wir uns noch viel enger miteinander abstimmen. Es ist unsinnig, in einem Bundesland andere Ausgangsbeschränkungen zu haben als im anderen. Und genauso unsinnig ist es, in einem Schengen-Mitgliedstaat andere Regeln zu haben als im Nachbarland.

Der Europäische Rat wird in dieser Woche engere Abstimmungen beschließen. Das wird uns in dieser Krise helfen, aber die EU auch langfristig stärken.