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(Quelle: Deutscher Bundestag | Thomas Köhler)

Seif: "Britische Forderungen realitätsfern"

Detlef Seif zum EU-Freihandelsabkommen mit London

Bis Jahresende soll das Freihandelsabkommen zwischen der EU und  Großbritannien stehen. Unter deutscher Ratspräsidentschaft kommt wieder Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen. Dazu im Kurzinterview Detlef Seif, Obmann im Europaausschuss.

Herr Seif, woran liegt es, dass die Verhandlungen nicht vorankommen?

Detlef Seif: Dem Grunde nach haben wir es mit derselben Dramaturgie wie beim Brexit-Referendum zu tun. Die politischen Versprechungen der Brexit-Befürworter sind nicht mit der Realität in Einklang zu bringen: Die britische Regierung verspricht einerseits „die Souveränität des Vereinigten Königreichs“, will andererseits aber einen möglichst breiten Zugang zum Binnenmarkt durchsetzen. Die Forderungen der britischen Seite würden zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen für EU-Unternehmen führen. Es besteht die Gefahr, dass der Binnenmarkt mit Waren und Dienstleistungen überflutet wird, die nicht unseren Mindeststandards entsprechen. Deshalb muss der Verhandlungsführer der Europäischen Union darauf bestehen, dass verbindliche Regelungen über Arbeitnehmerrechte, Sozial- und Umweltstandards, staatliche Beihilfen und die Bekämpfung von Wettbewerbsbeschränkungen getroffen werden.

Verbindliche Standards

Die Verhandlungen stocken zwar an mehreren Stellen, etwa auch bei Fragen des gemeinsamen institutionellen Rahmens, der Rechtsdurchsetzung und dem Fischereiabkommen. Doch entscheidend ist die fehlende Bereitschaft der britischen Seite, Standards verbindlich zu regeln.

Da London eine Verlängerung der Übergangsphase ausschließt, muss bald Bewegung in die Sache kommen. Wo sehen Sie Manövrierraum?

Seif: Mit ihrer aktuellen Verhandlungsposition macht sich die britische Seite manövrierunfähig. Die Verhandlungen können nur dann einen positiven Verlauf nehmen, wenn Premierminister Johnson anerkennt, dass Regelungen zur Sicherung der Standards und für faire Wettbewerbsbedingungen unverzichtbar sind. Im Detail wären dann viele Regelungen denkbar, die auch auf Seiten der EU flexibel ausgestaltet werden könnten.  

Mit welchen wirtschaftlichen Folgen rechnen Sie, wenn die Verhandlungen scheitern?

Seif: Für Unternehmen in der Europäischen Union, die Handelsbeziehungen ins Vereinigte Königreich haben, hätte ein Scheitern erhebliche Nachteile. Die bürokratischen Lasten und der Kostenaufwand würden steigen, die Umsätze zurückgehen. Da der EU-Markt aber robust und anpassungsfähig ist, käme es insgesamt nicht zu großen gesamtwirtschaftlichen Verwerfungen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die EU-Mitgliedstaaten durch die Verlagerung von Unternehmen und Lieferketten, die bereits eingesetzt hat, profitieren werden.

Ökonomischen Katastrophe

Auf Seiten des Vereinigten Königreichs wäre allerdings mit einer ökonomischen Katastrophe zu rechnen. Fast 50 Prozent des britischen Handelsvolumens kommt aktuell mit der EU und damit barrierefrei und zollfrei zustande. Fast alle wirtschaftlichen Bereiche des Vereinigten Königreichs werden betroffen sein. Die britische Regierung selbst rechnet im Fall eines Scheiterns der Verhandlungen mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von bis zu 8 Prozent: Das bedeutet Wohlstandsverlust und Verlust von Arbeitsplätzen, einschließlich sozialer und innenpolitischer Verwerfungen.