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Dr. Carsten Linnemann: Wir müssen aufpassen, dass wir den Standort Deutschland nicht in Grund und Boden reden

Fortsetzung der Aussprache zur Regierungserklärung Wirtschaft und Energie

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht darf ich eine Vorbemerkung loswerden. Lieber Peter Altmaier, lieber Bundeswirtschaftsminister, mir hat man ein, zwei Minuten Redezeit abgezogen, –

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Eine.

Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU):

– weil du zu lange gesprochen hast.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber ich sage ganz klar: Ich hätte dich gern noch länger reden hören, weil wir endlich mal wieder einen Wirtschaftsminister haben, der das Wirtschaftsministerium als Mittelstandsministerium versteht, der Lust auf Zukunft macht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen, lieber Peter Altmaier, wünschen wir dir viel Erfolg, halten zu dir und unterstützen dich.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, eigentlich ist das heute eine Punktlandung. 70 Jahre ist die deutsche Währungsreform her. Sie galt als Geburtsstunde der sozialen Marktwirtschaft, die verbunden ist mit Ludwig Erhard. Das Interessante an Ludwig Erhard war, dass er die soziale Marktwirtschaft durchgesetzt hat – gegen alle Widerstände, übrigens nicht nur der Gewerkschaften und der Medien; es war sogar die Wirtschaft, die gegen die Gesetzgebung im Bereich Kartellrecht auf die Barrikaden ging. Aber er hielt daran fest. Diese soziale Marktwirtschaft ist es, die dieses Land wirtschaftlich erfolgreich gemacht hat – alle Debatten über unseren Handelsbilanzüberschuss hin oder her.

Zur Wahrheit gehört, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeber in Deutschland in einer atemberaubenden Geschwindigkeit in die internationale Arbeitsteilung eingeklinkt haben und wir unseren Wohlstand diesen Leuten zu verdanken haben. Darauf kann man stolz sein, und darüber sollte man nicht schlecht reden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wem haben wir den Erfolg zu verdanken? Was sind die Bereiche? Auf der einen Seite der Mittelstand – Peter Altmaier hat es angesprochen – und auf der anderen Seite – auch das ist wichtig – der Industriesektor. Was hat sich dieser Globus über uns kaputtgelacht, dass wir nicht diesen starken, scharfen Weg des Dienstleistungsdrangs vieler anderer Länder mitgegangen sind. Wir haben am Industriekern festgehalten. In keinem anderen Industrieland auf diesem Globus hat die Industrie noch einen so hohen Anteil an der Bruttowertschöpfung wie in Deutschland. Der Anteil beträgt fast ein Drittel, wenn ich die industrienahen Dienstleistungen hinzurechne. Deswegen müssen wir auf der einen Seite an diesem Industriestandort festhalten und auf der anderen Seite den Mittelstand stärken.

In diesen Tagen wird viel über verschiedene Definitionen diskutiert. Was heißt denn überhaupt Mittelstand? – Mittelstand bedeutet nichts anderes, als dass Haftung und Handlung in einer Hand liegen. Ludwig Erhard hat gesagt: Das Haftungsprinzip muss gelebt werden. – Das machen 95 Prozent der Unternehmen in Deutschland. Mehr als 80 Prozent der Unternehmen sind Personengesellschaften. Sie leben dieses Prinzip „Haftung und Handlung in eine Hand“ par excellence. Das sollten wir auch einmal aussprechen. Denen sollten wir nicht in den Rücken fallen, sondern den Rücken stärken.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wenn es uns vergleichsweise gut geht – übrigens: vergleichsweise; es gibt Branchen, die haben Probleme; ich denke an den Handel und an viele andere –, dann müssen wir uns heute die Frage stellen: Wie können wir auch in Zukunft den Wohlstand sichern? Das muss doch die zentrale Frage sein. Da stellt sich die Frage: Was machen wir als Koalition, was machen wir in diesem Parlament für diese beiden Säulen Industrie und Mittelstand? Im industriellen Bereich geht es in diesen Tagen sehr stark um den weltweiten Handel. Ich finde es übrigens gut, dass ein Wirtschaftsminister nicht als Erstes feiern geht, weil er Wirtschaftsminister geworden ist, sondern dass er ins Flugzeug steigt, nach Amerika fliegt und mit den Amerikanern redet, wie wir diese Handelsschranken abwenden können.

(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Was will er dort machen? Das ist das Problem!)

– Nein, Herr Ernst, wenn Sie sich die Wirtschaftsstruktur Deutschlands ansehen, dann sehen Sie, es gibt nicht nur die Paradebranchen wie die Automobil- und Automobilzulieferindustrie, sondern es gibt auch den Maschinenbau und die Elektro- und Chemiebranche. Das sind Branchen, die weit mehr als 50 Prozent exportieren. Deswegen sind Handelsschranken Gift für unsere Wirtschaft. Aber – auch das kommt, wie ich finde, in diesen Tagen in der veröffentlichten und öffentlichen Meinung zu kurz – wir müssen auch wieder darüber reden, dass wir am Ziel festhalten, multilaterale Abkommen auf WTO-Ebene zu stärken.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)

Wir brauchen multilaterale Abkommen. Die Tokio-Runde und die Uruguay-Runde waren erfolgreich, die Doha-Runde leider nicht. Dieses Ziel sollten wir auch im Parlament nicht aus den Augen verlieren. Multilaterale Abkommen sind eigentlich das Beste, um Handelsschranken abzubauen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wie sieht es im Mittelstand und beim Handwerk aus? Ein Thema haben Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, auch angesprochen, nämlich das Thema Handwerk bzw. Fachkräfte. Wenn ich im Mittelstand unterwegs bin, werde ich eigentlich ausschließlich als Erstes auf das Thema Fachkräfte angesprochen. In diesem Land wurde in den letzten Jahren viel über das Thema Akademisierung gesprochen. Ich will das gar nicht schlechtmachen. Aber wir müssen aufpassen, dass wir die Balance halten zwischen der Akademisierung auf der einen Seite und der dualen beruflichen Ausbildung auf der anderen Seite. Die berufliche Ausbildung ist in den letzten Jahren meines Erachtens zu kurz gekommen. Deswegen müssen wir hier wieder einen Schwerpunkt setzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gestern habe ich einige Handwerker getroffen. Allgemein gesprochen hören sich diese Schaufensterreden immer toll an: die duale Ausbildung stärken. – Werden wir einmal konkret.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Werden Sie mal konkret!)

Mich interessiert, wie sich dieses Haus dabei verhält.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ganz konkret!)

– Ganz konkret: Wir haben vor 14 Jahren den Meisterbrief in 53 Gewerken abgeschafft, weil es hieß, das sei ein Handelshemmnis. Heute sehen wir, genau in den Gewerken, wo wir den Meisterbrief als Voraussetzung für die Selbstständigkeit abgeschafft haben, findet duale Ausbildung kaum bis gar nicht mehr statt. Deswegen bin ich der Meinung – die entsprechende Formulierung im Koalitionsvertrag ist richtig –, dass wir prüfen müssen, ob wir nicht das eine oder andere Gewerk zurückholen. Ich sage das ganz klar in alle Richtungen Europas, nicht nur nach Brüssel: Der Meisterbrief ist kein Handelshemmnis, sondern der Meisterbrief ist ein Qualitätsstandard, ein Bildungsstandard wie das Abitur oder der Hauptschulabschluss. Und den müssen wir wieder stärken.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der AfD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dann haben wir das Thema Beschleunigung der Digitalisierung. Diesen Part schenke ich mir, weil mir eine Minute weggenommen wurde.

Lassen Sie mich zum Schluss wirklich ganz ehrlich sagen:

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Offen und ehrlich!)

Auch mir gefällt das eine oder andere nicht; auch ich hätte mir an der einen oder anderen Stelle in diesem Koalitionsvertrag mehr gewünscht.

(Zuruf von der FDP: An welcher denn?)

Nur gehört es auch zur Wahrheit: Wir müssen aufpassen – das gilt im Parlament genauso wie ganz generell –, dass wir den Standort Deutschland nicht in Grund und Boden reden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben gute Voraussetzungen mit dem Koalitionsvertrag geschaffen. Das sollten wir jetzt angehen, und wenn wir das mit einer Portion Ludwig Erhard im Denken, im Reden und vor allem im Handeln schaffen, dann bin ich guter Dinge.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)