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Ralph Brinkhaus: Mengensteuerung über einen Zertifikatehandel ist das Allerwichtigste

Rede zum Klimaschutzprogramm 2030

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben am Freitagmittag wohl eines der größten politischen Projekte in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auf den Weg gebracht. Das war auch bitter nötig.

(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Das gilt für die deutsche Einheit! – Zurufe von der LINKEN)

Es war deswegen bitter nötig, weil wir Ziele, die wir uns auch als Union mit dem Pariser Klimaabkommen, auf europäischer Ebene, aber auch im Klimaschutzpaket 2050 selbst gesetzt haben, nicht erreicht haben. Was es bedeutet, wenn wir diese Ziele nicht erreichen, davon haben wir in diesem Sommer angesichts des Wetters – ich sage bewusst: „des Wetters“ und nicht „des Klimas“ – eine ungefähre Ahnung bekommen. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns mehr anstrengen als in der Vergangenheit.

Für die Zielerreichung, meine Damen und Herren, gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine Möglichkeit ist: Wir erhöhen massiv die Preise für den CO2-Ausstoß und überziehen das Land mit vielen Verboten. Die zweite Möglichkeit ist: Wir machen ein abgestimmtes, integriertes, smartes Konzept,

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Ein smartes Konzept, das genau das Gleiche beinhaltet!)

das auf Mengensteuerung, auf Anreize, auf Markt setzt und da, wo es nötig ist, auf Ordnungsrecht. Ich halte das zweite Konzept für besser.

(Christian Lindner [FDP]: So wirkt keine Mengensteuerung!)

Es ist das Konzept, das wir auf den Weg gebracht haben. Ich möchte die Grundzüge bzw. die Grundmechanismen dieses Konzeptes erläutern.

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Ah ja!)

Das Erste und Allerwichtigste ist die Mengensteuerung über einen Zertifikatehandel.

(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Wie groß ist denn die Menge?)

Diese Mengensteuerung wird mit einer Bepreisung eingeleitet. Warum möchten wir die Mengensteuerung über eine Bepreisung einleiten? Weil wir das Signal geben möchten, dass wir in einigen Jahren eine derart hohe Bepreisung von CO2 und eine derart limitierte Ausstoßmenge haben werden, dass es aller Anstrengungen wert ist, Kreativität aufzubringen und Kreativität und Dynamik freizusetzen, um entsprechend mit weniger, am besten ohne CO2 auszukommen. Wir setzen auf diese Dynamik, auf die Dynamik bei den Bürgerinnen und Bürgern, bei der Wissenschaft und vor allen Dingen auch bei der Wirtschaft, die uns mit Technologie und Innovation in diesem Bereich versorgen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alice Weidel [AfD]: Aber die bauen doch alle Arbeitsplätze ab!)

Als Zweites haben wir gesagt: Das Geld, das wir durch diese Bepreisung einnehmen werden, werden wir nutzen, und zwar nicht um den Haushalt zu stärken, nicht um Projekte wie die Grundrente oder anderes zu finanzieren, sondern um die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten und um soziale Brüche zu vermeiden, die in diesem Prozess unweigerlich entstehen würden. Wir werden das Geld aufwenden, um den Bürgerinnen und Bürgern mit Projekten und Anreizen zu helfen, diesen Weg der CO2-Reduzierung zu gehen.

Der dritte Punkt sind Maßnahmen, Maßnahmen, Maßnahmen.

(Lachen der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD])

Mehr als 60 Maßnahmen haben wir in diesem Paket verankert.

(Christian Lindner [FDP]: Flickschusterei! – Weiterer Zuruf von der FDP: Zynismus!)

Das fängt mit Maßnahmen im Bereich der Förderung der energetischen Gebäudesanierung an, um den schlafenden Riesen Gebäudesanierung zu wecken.

(Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das geht weiter mit Maßnahmen im Bereich der Förderung der Elektromobilität. Wir werden das größte Investitionsprogramm in der Geschichte der deutschen Eisenbahn auf den Weg bringen. Es steht aber auch viel über Technologie, Innovation, Green IT

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Green IT!)

und anderes, das sehr wichtig ist, drin.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der vierte Punkt ist, dass wir sagen: Wir machen das in Phasen.

(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Hat er gesagt „in Phrasen“?)

Wir fangen eben nicht damit an, Verbote einzuführen oder Preise massiv zu erhöhen, sondern damit, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit geben, sich auf diese neue Welt entsprechend einzustimmen, dass wir ihnen die Möglichkeit geben, CO2-Ausstoß zu vermeiden,

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Ihr habt sie doch gar nicht gefragt, die Bürger!)

dass wir ihnen die Möglichkeit geben, zum Beispiel auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen, dass wir ihnen die Möglichkeit geben, auf Elektromobilität umzusteigen, dass wir ihnen die Möglichkeit geben, ihre alten Ölheizungen zu ersetzen. Erst in der zweiten Phase gehen wir in die Bepreisung. Ich glaube, das ist ein faires Modell, das so organisiert ist, dass wir es nicht gegen, sondern mit den Menschen machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der fünfte Punkt ist, dass wir sagen: Ja, wir haben die Ziele nicht erreicht. Das soll nicht noch mal passieren. Deswegen werden wir die Ziele noch rigoroser überwachen.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt eigentlich „noch“?)

Wir werden jedes Jahr mit dem Klimakabinett, das wir fortführen werden, entsprechend überprüfen, wo wir sind, und wir werden dann auch sehr konsequent und sehr kurzfristig nachsteuern.

Ich möchte dafür werben, dass wir das, was im Klimakabinett gemacht wird, auch hier im Deutschen Bundestag machen. Ich möchte dafür werben, dass wir ähnlich wie bei den Haushaltswochen – den Haushalt nehmen wir ja sehr ernst – so etwas wie Zukunfts- oder Klimawochen machen, bei denen wir uns eine Woche Zeit nehmen,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

genau über diese Themen zu sprechen und zu zeigen, dass das Parlament dabei ist und dass es die Regierung kontrolliert und in der Sache auch unterstützt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Es ist klar – das war auch nicht anders zu erwarten –, dass dieses Paket kritisiert wird; denn viele Menschen haben Ängste und Befürchtungen. Es ist auch deshalb klar, weil vieles in diesem Paket neu ist.

(Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber die wenigsten, meine Damen und Herren, kritisieren den Mechanismus, dass wir über den Zertifikatehandel eine Mengensteuerung machen wollen.

(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Abwarten!)

Das ist übrigens der Mechanismus, den uns die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vorgeschlagen haben.

Meine Damen und Herren, die wenigsten kritisieren, dass wir das Geld, das wir durch diesen Preis- und Mengenmechanismus einnehmen werden, dafür verwenden, um soziale Brüche zu vermeiden, um auch die Wirtschaft weiter am Laufen zu halten.

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie bewirken genau das Gegenteil!)

Meine Damen und Herren, und die wenigsten kritisieren die Maßnahmen. Denn die meisten Maßnahmen, die in unserem Paket vorgesehen sind, stehen auch bei anderen Parteien in irgendwelchen Papieren drin, sie stehen bei Organisationen in irgendwelchen Papieren drin, und sie werden auch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gefordert.

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Hauptsache, sie stehen in den Papieren drin!)

Meine Damen und Herren, die wenigsten kritisieren auch den Mechanismus, dass wir versuchen, den Menschen erst die Möglichkeit zu geben, CO2-freier zu leben, bevor wir sie mit Bepreisung und anderen Dingen überziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Alice Weidel [AfD]: Was ist das für eine schwachsinnige Worthülse? Worthülsen über Worthülsen!)

Und, meine Damen und Herren, die allerwenigsten kritisieren, dass wir uns einen Mechanismus überlegt haben, bei dem wir jedes Jahr unsere Zielerreichung überprüfen.

Es wird aber kritisiert, dass wir bei der Bepreisung nicht hoch genug eingestiegen sind. Das nehmen wir auch sehr ernst. Ich möchte darauf aber zwei Antworten geben.

Die erste Antwort ist: Wir haben natürlich, wenn wir jetzt zu niedrig eingestiegen sind, die Möglichkeit, jedes Jahr nachzusteuern, und das werden wir auch tun, wenn es nicht reicht.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit dem Kabinett?)

Die zweite Antwort ist, dass es zur Wahrheit dazugehört, dass wir nicht nur dafür kritisiert werden, dass es zu wenig ist, sondern dass es auch eine Menge Menschen gibt, die fragen: Was passiert denn da? Was macht das jetzt mit meinem Leben? Kann ich meine Ölheizung weiter betreiben? Kann ich pendeln? Wie schneide ich dabei ab?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Diese Menschen sind beunruhigt, und ich muss auch auf diese Menschen eingehen, wenn das Grundaxiom unseres Pakets stimmt, dass wir es mit den Menschen und nicht gegen sie machen wollen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Deswegen müssen wir nicht nur das Richtige tun, sondern wir müssen auch Akzeptanz dafür schaffen. Denn wenn diese Aufgabe so groß ist, wie wir das immer sagen, dann reicht es nicht, dass die Politik verordnet: „Jetzt müssen wir mal CO2 einsparen“, sondern wir müssen das mit allen Menschen in diesem Land zusammen machen. Jeder ist da gefordert.

(Zuruf der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber wenn jeder gefordert ist, brauche ich eine breite Akzeptanz. Und diese breite Akzeptanz, meine Damen und Herren, brauche ich auch politisch – das ist überhaupt keine Frage –, und zwar deswegen, weil dieses Konzept nicht von wechselnden Mehrheiten in Bund und Ländern abhängig sein kann. Es kann nicht sein, dass wir alle vier oder fünf Jahre umsteuern. Deswegen werbe ich dafür, dass wir hier im Bundestag einen breiten Konsens bekommen. Deswegen werbe ich dafür, dass wir uns mit den Bundesländern zusammensetzen. Deswegen werbe ich dafür, dass wir uns auch mit den gesellschaftlichen Gruppen zusammensetzen, ob Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Kirchen oder sonst wer. Wir müssen das in einem breiten Konsens aufstellen.

Jetzt gehört dazu natürlich noch eines dazu, wenn ich von einem breiten Konsens spreche. Wir sind natürlich von unserem Modell überzeugt, aber der Konsens wird nicht entstehen,

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber der Konsens war Paris! – Weiterer Zuruf der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

wenn ich sage: Friss oder stirb! – Das ist keine Frage. Vielmehr müssen wir uns da gegebenenfalls auch aufeinander zubewegen. Das gilt aber auch für diejenigen, die sich jetzt hinstellen und das alles in Bausch und Bogen verdammen. Da erwarte ich auch, dass da nicht die eigene reine Lehre vertreten wird,

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Paris!)

sondern dass man sich an der Stelle auch bewegt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Lassen Sie mich mit zwei Bemerkungen schließen. Viele Menschen sagen: Das ist jetzt eine schlechtere Welt, die da entsteht. Was wird das mit unserem Land machen? – Dazu fällt mir eines ein. Mir ist vor einigen Monaten mal gesagt worden: Wir haben in diesem Land zu wenig Dynamik. Es muss doch mal was passieren. Es muss doch mal ein Ruck durch das Land gehen. – Ich habe damals geantwortet: Ja, das stimmt. Wir bräuchten ein gemeinsames gesellschaftliches Projekt, so etwas wie die Mondlandung. – Jetzt haben wir dieses gemeinsame gesellschaftliche Projekt, und daraus können wir doch etwas machen, wenn wir zusammenarbeiten.

(Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir können etwas daraus machen, wenn wir einen gesellschaftlichen Konsens hinbekommen und wenn wir das mit der Mehrheit der Gesellschaft schaffen.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Die ganze Bundesregierung!)

Die zweite Bemerkung ist, dass wir festgestellt haben, dass, obwohl in New York gerade über 70 Länder gesagt haben: „Wir wollen auch CO2-frei leben“, wir trotz aller Zielverfehlungen viel, viel weiter sind als viele andere Länder, insbesondere in den Bereichen Technologie und Innovation. So ist es für uns eine Chance, wenn wir auf Technologie und Innovation setzen, dass sich uns auf den Märkten dieser Welt neue Möglichkeiten eröffnen. Insofern ist auch richtig: Umwelt und Wirtschaft sind an dieser Stelle kein Gegensatz, sondern beides gehört zusammen.

Dieses Projekt ist eine große Chance für unser Land, wenn wir es richtig machen. Und wir wollen es richtig machen, und wir werden es richtig machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)