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Peter Weiß: Unsere Politik ist eine zukunftsgerichtete Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik

Fortsetzung der Aussprache zur Regierungserklärung Arbeit und Soziales

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sozialpolitik, die diesen Namen auch wirklich verdient, muss zuallererst denjenigen zielgerichtet helfen, die der Hilfe bedürfen.

(Pascal Kober [FDP]: Warum machen Sie das dann nicht?)

Sie muss also das Gegenteil von Gießkannenpolitik sein. Sie darf Menschen nicht entmündigen, sondern sie muss echte Hilfe zur Selbsthilfe sein, und sie muss dazu beitragen, dass Menschen wieder auf den eigenen Beinen stehen können. Das ist die grundlegende Zielsetzung unserer Sozialpolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Unter diesem Motto lassen sich im Koalitionsvertrag eine ganze Reihe von Punkten finden, die tatsächlich neue Chancen eröffnen. Bei manchem Redebeitrag der Oppositionspolitiker habe ich mich gefragt, ob sie nicht doch an einer leichten oder auch schweren Leseschwäche leiden;

(Pascal Kober [FDP]: Was? – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Oh! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Och!)

denn erstens haben wir eine hervorragende wirtschaftliche Entwicklung, die uns die Chance gegeben hat, die Arbeitslosigkeit in Deutschland massiv abzubauen, und die sich auch in diesem Jahr fortsetzt. Trotzdem haben wir tatsächlich eine Problemgruppe: Die Langzeitarbeitslosen, die fünf und mehr Jahre arbeitslos sind, haben es verdammt schwer, irgendeine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten.

„Zielgerichtet“ heißt deshalb, dieser Gruppe von Langzeitarbeitslosen die Chance zu geben, doch wieder in Arbeit zu kommen. Darauf zielt unser gemeinsames Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ ab, das wir in Gang setzen wollen. Dabei wollen wir die Leute nicht durch ein neues Hilfesystem drehen, sondern vorrangig Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt für diese Personen fördern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat der Minister aber anders erzählt!)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Müller-Gemmeke?

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):

Bitte schön.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, dass ich fragen darf, Herr Weiß. Sie wissen, dass wir, Bündnis 90/Die Grünen, das Konzept eines sozialen Arbeitsmarktes schon sehr lange Zeit fordern. So ein Projekt macht aber nur Sinn, wenn es nicht wieder ein klitzekleines Progrämmchen wird, das zeitlich befristet ist. Das heißt, man braucht entsprechende Mittel.

Ich frage Sie noch einmal: Wird der soziale Arbeitsmarkt tatsächlich mit einem Passiv-Aktiv-Transfer finanziert? Oder wird es nur so sein – wie es im Koalitionsvertrag momentan steht –, dass der Eingliederungstitel um 4 Milliarden Euro erhöht wird, was etwas ganz anderes wäre als das, was wir fordern? Wir wollen einen Passiv-Aktiv-Transfer, damit eine ausreichende Zahl von Menschen das Angebot und die Chance bekommt und damit es dauerhaft ermöglicht wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):

Frau Kollegin Müller-Gemmeke, in der Tat: Um unser ehrgeiziges Vorhaben, Vollbeschäftigung in Deutschland zu erzielen, umzusetzen und zum Erfolg zu führen, bedarf es einer riesigen Kraftanstrengung, um gerade diejenigen, die arbeitsmarktfern sind und die mehrere sogenannte Vermittlungshemmnisse haben, für den Arbeitsmarkt zu gewinnen. Sie zu aktivieren, vorzubereiten, zu unterstützen – vor allen Dingen durch Lohnkostenzuschüsse – und ihnen den Weg in Arbeit zu ebnen, kostet in der Tat Geld.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Im Koalitionsvertrag stehen dazu zwei Dinge.

Erstens. Wir erhöhen den sogenannten Eingliederungstitel – das ist der Haushaltstitel, aus dem Mittel für solche Programme entnommen werden – jedes Jahr um 1 Milliarde Euro, sprich innerhalb einer Legislaturperiode um 4 Milliarden Euro.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Brauchen Sie auch für den Verwaltungshaushalt!)

Zweitens. Wir wollen den Bundesländern ermöglichen, einen Passiv-Aktiv-Transfer einzuführen.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum machen Sie es nicht selbst?)

Was heißt das? Die Mittel, die ich für das Arbeitslosengeld II ausgebe, kann ich nehmen, um den Weg in Arbeit zu finanzieren. Ich finde, wir haben im Koalitionsvertrag miteinander eine tolle Vereinbarung getroffen, um unser Vorhaben anzugehen, denen, die es am Arbeitsmarkt am schwersten haben, den Weg in Arbeit zu ebnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Katja Mast [SPD]: Hat ja auch lange gedauert!)

Ich will noch ein kurzes Wort zu der sogenannten Hartz-IV-Debatte sagen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es kann doch nicht in erster Linie darum gehen, ob der Regelsatz zu hoch oder zu niedrig ist. Das ist doch nicht die erste Frage, sondern die erste Frage lautet: Wie komme ich raus aus Hartz IV und Arbeitslosengeld II? Das wollen wir organisieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Widerspruch bei der LINKEN – Katja Kipping [DIE LINKE]: Das ist doch nur ein rhetorisches Ablenkungsmanöver! – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Wie ist man reingekommen?)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in der Tat ist eine unserer wichtigsten Aufgaben, unsere Alterssicherung auf sichere Füße zu stellen. Verehrter Kollege Vogel, die typische FDP-Rede ist, es würde zulasten der jungen Generation gehen.

(Michael Theurer [FDP]: Richtig!)

Der Kollege Gröhe hat schon gesagt: Generationengerechtigkeit heißt, ich muss auf beide – auf die Älteren wie auf die Jungen – schauen.

(Michael Theurer [FDP]: Eben!)

Uns war wichtig, etwas Ehrgeizigeres festzulegen als das, was heute im Gesetz steht, nämlich dass der Beitragssatz für die Jüngeren bis zum Jahr 2025 nicht über 20 Prozent steigen darf.

(Zurufe von der FDP)

Andererseits helfen wir zielgerichtet denen, die es besonders schwer haben. Ein wichtiger Punkt ist zum Beispiel, dass wir die Erwerbsminderungsrente verbessern wollen. Wer aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls nicht mehr arbeiten kann, nicht mehr für das Alter vorsorgen kann – auch nicht privat –, der verdient die Hilfe des Sozialstaates. Es ist richtig, die Erwerbsminderungsrente für diese Menschen deutlich zu verbessern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Angesichts der Zuwächse im Bereich der Grundsicherung sehen wir, dass viele Leute dabei sind, die überhaupt keinen Anspruch an die Rentenversicherung haben.

Es ist ebenso notwendig, eine verpflichtende Altersvorsorge für Selbstständige in Deutschland einzuführen. Jeder muss dann, wenn er Geld verdient, etwas auf die Seite legen können, um im Alter davon leben zu können. Es ist höchste Zeit für eine verpflichtende Altersvorsorge für Selbstständige. Wir haben sie in dieser Koalition miteinander vereinbart.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es ist doch so: Die 18,6 Prozent Rentenversicherungsbeitrag, die wir seit 1. Januar dieses Jahres haben, sind ein historisch niedriger Beitrag, der nur durch die gute wirtschaftliche Entwicklung möglich wurde. Alle früheren Prognosen haben etwas ganz anderes vorausgesagt. Das heißt, wir haben Handlungsmöglichkeiten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, entgegen all dem Gejammer in vielen Bundestagsdebatten und öffentlichen Debatten gibt es in diesem Jahr die Sensation, dass am 1. Juli nicht nur die Rente um über 3 Prozent steigt, sondern auch das Rentenniveau ansteigt. Ich hätte mir gewünscht, dass gerade die Oppositionsredner, die sonst immer die Jammerorgie über das sinkende Rentenniveau anstimmen, heute Freudentänze aufführen, weil am 1. Juli 2018 das Rentenniveau steigt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Christian Jung [FDP]: Es geht ja auch um die Zukunft!)

In der Tat ist die Frage: Was ist eigentlich das große Zukunftsprojekt der Großen Koalition?

(Dr. Christian Jung [FDP]: Dann erzählen Sie mal!)

Ich finde, im Bereich Arbeit und Soziales ist das klar benannt, obwohl der Herr Kollege Kurth meinte, das mit etwas kritischen Worten kommentieren zu müssen. Ich finde, das Vorhaben, eine nationale Weiterbildungsstrategie in Gang zu setzen, bei der der Staat und die Sozialpartner zusammenarbeiten, mit der wir jeder Arbeitnehmerin, jedem Arbeitnehmer in Deutschland die Möglichkeit geben, sich beruflich so fort- und weiterzubilden, dass er oder sie auf die Zukunft der digitalisierten Arbeitswelt vorbereitet ist, ist das größte Zukunftsprojekt, das wir sozialstaatlich in diesen kommenden Jahren auf die Beine stellen müssen und auf die Beine stellen werden. Nicht Abstiegsängste fördern, sondern den Menschen die Zukunft auftun, das ist das Ziel unserer Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zu denen, die unserer besonderen Unterstützung bedürfen, gehören auch die Menschen mit Behinderung. Wir haben mit dem Bundesteilhabegesetz in der letzten Legislaturperiode einen großen Schritt gemacht. Aber jetzt kommt es darauf an, dieses Gesetz auch in der Realität umzusetzen. Das heißt für mich vor allen Dingen, die Teilhabe an Ausbildung und Arbeit für Menschen mit Behinderungen voranzubringen – die Verlängerung der Assistierten Ausbildung ist zum Beispiel ein wichtiger Punkt – und außerdem die Teilhabe dadurch zu ermöglichen, dass wir durch Investitionen im öffentlichen Raum und allen Bereichen des Alltags Barrierefreiheit wirklich möglich machen. Das zentrale Ziel ist für mich: Wir wollen eine inklusive Gesellschaft schaffen und in den kommenden Jahren einen großen Schritt in Sachen Barrierefreiheit und bei der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen vorankommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):

Selbstverständlich. Die Kollegin Rüffer muss ja als Behindertenbeauftragte der Grünenfraktion etwas dazu sagen, wenn es schon die eigenen Redner vergessen haben.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Wir hatten nur nicht genug Redezeit!)

Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Das war aber eine harte Keule, Herr Weiß. Das kennen wir so gar nicht von Ihnen. – Herr Weiß, es hieß ja zum Bundesteilhabegesetz: Nach dem Gesetz ist vor dem Gesetz. Man muss einfach sagen, dass sich in Ihrem langen Koalitionsvertrag zu diesem Thema wirklich nur Trippelschritte finden lassen. Insofern kann man sagen, dass hier an den Stellen, wo es Schwierigkeiten gibt, nicht nachgebessert wird. Das könnte man in epischer Breite ausführen.

Aber ich möchte auf einen anderen Punkt eingehen, nämlich auf den Bereich der Barrierefreiheit. Wir hatten dazu eine intensive Auseinandersetzung im Rahmen der Reform des BGG, des Behindertengleichstellungsgesetzes. Wir sind heute und wir waren damals der Meinung, dass die Privaten in die Verantwortung genommen werden müssen. Es ist ja richtig: Das Leben von Menschen mit Behinderungen findet nicht statt in der öffentlichen Verwaltung, sondern es findet statt in Kneipen, es findet statt in Kinos, es findet da statt, wo unser Leben auch stattfindet. Dort gibt es aber keine Verpflichtung zur Schaffung von Barrierefreiheit. Wenn wir die inklusive Gesellschaft gestalten wollen, dann müssen auch in diesem Bereich Private in die Verantwortung genommen werden. Damit hat man in den USA in den 70er-Jahren begonnen. Wir haben 40 Jahre Verspätung. Es ist jetzt wirklich an der Zeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):

Frau Kollegin Rüffer, Ihre Zwischenfrage zielt auf einen Punkt ab, bei dem wir unterschiedliche Herangehensweisen haben. Meine Überzeugung ist: Ob ich mit rein gesetzlichen Verpflichtungen, die, wenn sie von jemandem, zum Beispiel einem Gastwirt, nicht erfüllt werden können, eher dazu führen, dass bei uns im ländlichen Raum noch eine Gastwirtschaft zugemacht wird,

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Rampe kostet 150 Euro!)

oder ob ich durch entsprechende Förderung etwas in Bewegung setze, sind sehr unterschiedliche Herangehensweisen. Ich glaube, dass wir über das Fördern eher zum Ziel kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will ein Beispiel nennen. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass das die Frau Kollegin Tack in den Koalitionsverhandlungen angesprochen hat. Gibt es auf den schönen Dorffesten, auf die auch wir Abgeordnete gerne gehen, eigentlich eine Behindertentoilette? Meistens nicht. Um nur einmal ein Thema zu nennen: Wäre es nicht ein schönes Förderprogramm, das wir miteinander initiieren könnten, für jeden Landkreis in Deutschland eine solche mobile Behindertentoilette anzuschaffen, die auf Dorffesten steht? Schon wäre wieder ein Stück Barrierefreiheit – nicht durch gesetzliche Anordnung, sondern durch Förderprogramme, durch uns – geschaffen. Auf diese Art und Weise werden wir – das sage ich Ihnen zu – durch entsprechende Investitionsanreize und Förderungen dafür sorgen, dass wir in den kommenden Jahren beim Thema Barrierefreiheit einen weiteren großen Schritt vorankommen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich will zum Schluss zusammenfassen: Unsere Politik, gerade die Sozialpolitik, ist eine Politik für neue Chancen, für mehr Zielgenauigkeit, für mehr Hilfe zur Selbsthilfe. Sie ist eine moderne und zukunftsgerichtete Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Lassen Sie uns in den kommenden Jahren gemeinsam diesen Weg gehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)