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Peter Weiß: Gerechtigkeit und Einfachheit – das ist manchmal ein Gegensatz

Rede zum Grundrentengesetz

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Zum Abschluss dieser Debatte, mit der die parlamentarischen Beratungen zur Grundrente erst beginnen, vielleicht noch mal zurück zu der Frage: Warum machen wir das Ganze?

(Pascal Kober [FDP]: Fragen wir uns auch!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich finde, es gibt seit vielen Jahrzehnten eine Schieflage, eine Ungerechtigkeit in unserem Land, und die lässt sich so zusammenfassen: Es kann doch nicht sein, dass Menschen, die ein Leben lang gearbeitet und in die Rente eingezahlt haben, die Kinder großgezogen haben, die gepflegt haben, am Ende ihres Berufslebens möglicherweise in einer Situation stehen, wo sie keinen Cent mehr bekommen als jemand, der überhaupt nie in dieses System eingezahlt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Richtig! – Thomas Seitz [AfD]: Und warum hat das die CDU nicht schon in den letzten 38 Jahren geändert?)

So etwas untergräbt die Legitimation des Rentensystems und untergräbt auch die Bereitschaft, dort einzuzahlen. Deshalb haben wir schon in mehreren Legislaturperioden über Modelle unterschiedlichster Art diskutiert, um diesen Zustand zu beenden. Ich will für meine Fraktion sagen: Wir sind froh, dass wir jetzt auf dem Weg sind, diese Ungerechtigkeit auszubügeln. Wer ein Leben lang gearbeitet, gepflegt, Kinder großgezogen hat, der sollte an seinem Lebensabend mehr zur Verfügung haben als jemand, der diese Leistungen nicht erbracht hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Enrico Komning [AfD]: Warum hat er es denn nicht?)

Deswegen ist der erste Schritt, den wir mit diesem Gesetzentwurf machen, der, dass wir sagen:

(Enrico Komning [AfD]: Ach, ein erster Schritt! Na, zumindest mal ein erster Schritt!)

Wer lange in die Rente eingezahlt hat und trotzdem wenig bekommt, weil er einen Job hatte, in dem er leider sehr wenig verdient hat, weil er zum Beispiel sein Arbeitsleben in den neuen Bundesländern zugebracht hat, in denen die Löhne sehr, sehr gering waren, dem sollte, wenn er am Schluss Grundsicherung im Alter beantragen muss, seine Rente nicht voll auf die Grundsicherung angerechnet werden müssen. Vielmehr regeln wir jetzt, dass bis zu 216 Euro monatlich obendrauf kommen. Das ist die klare Botschaft: Es hat sich gelohnt, dass du in die Rente eingezahlt hast. Du bekommst mehr, nämlich bis zu 216 Euro mehr als die Grundsicherung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bärbel Bas [SPD] – Enrico Komning [AfD]: Ja, beklatscht euch mal alle!)

Das ist im Prinzip auch das, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart hatten.

(Zuruf von der LINKEN: Frau Präsidentin!)

Nun kommt ein zweiter Punkt hinzu.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Weiß, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Birkwald?

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Der hat uns schon mal beschimpft heute! Es reicht eigentlich!)

 

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):

Ich hatte gedacht, er hat schon alles Pulver verschossen; aber bitte.

(Heiterkeit – Manfred Grund [CDU/CSU]: Nein, es reicht heute! – Ulli Nissen [SPD]: Er hat nachgeladen!)

 

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kollege Weiß, dass Sie die Zwischenbemerkung respektive Zwischenfrage zulassen.

Erstens – kurze Zwischenbemerkung –: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es die CDU/CSU war, die 1972 bei den Beratungen des Vorgängergesetzes „Rente nach Mindesteinkommen“ gefordert hatte, dass wegen der Situation der Frauen die notwendigen Rentenjahre auf 25 Jahre herabgesetzt werden sollten, und SPD und FDP dem gefolgt sind? Sind Sie weiter bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es eine CDU-geführte Bundesregierung mit dem hochgeschätzten Rentenminister Norbert Blüm war, die die „Rente nach Mindestentgeltpunkten“ eingeführt hat, bei der es keinerlei Bedürftigkeits- und Einkommensprüfung gibt und von der heute noch 3,6 Millionen Menschen profitieren – Frauen im Westen durchschnittlich mit 79 Euro –,

(Beifall der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])

wobei 2018 sogar 178 000 dazugekommen sind? Da würde ich Sie bitten, mir zu erklären, warum Sie das bei diesen beiden Regelungen in Ordnung finden und jetzt auf eine Einkommensprüfung bestehen.

Zweite Frage. Heute hat mich ein offener Brief des Bündnisses gegen Altersarmut in Baden-Württemberg erreicht – Sie sind ja aus Baden-Württemberg –, dessen Vertreter auf die Frauen und auf die Heldinnen und Helden in der Coronakrise hinweisen und die sagen: Deshalb ist es wichtig, dass die parlamentarischen Beratungen beginnen und die „sogenannte Grundrente“ vor der Sommerpause im Bundestag verabschiedet wird. – Da gehören alle DGB-Gewerkschaften dazu, da gehört die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung dazu, Frauenverbände, Sozialverbände, die Diakonie und auch die Caritas. Werden Sie dem Wunsch dieses breiten Bündnisses, dass die „sogenannte Grundrente“ vor der Sommerpause verabschiedet wird, nachkommen?

(Beifall bei der LINKEN)

 

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):

Herr Kollege Birkwald, ich will, weil ich auch darüber damals schon mitverhandelt habe, freimütig bekennen: Ich hätte mir gewünscht, wir hätten uns bereits in der letzten Legislaturperiode nach langen Verhandlungen auf ein gemeinsames Modell einigen können. Ich hätte mir gewünscht, dass wir in der Zeit, in der Frau von der Leyen Bundesarbeitsministerin war, in der Zeit, in der wir zusammen mit der FDP lange über ein Modell verhandelt haben, zu einem Ergebnis gekommen wären. Deswegen bin ich, nachdem ich schon dreimal verhandelt habe, der Allererste, der sagt: Ich möchte, dass wir jetzt zum Erfolg kommen. Selbstverständlich!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Weil Sie die sogenannte Rente nach Mindestentgeltpunkten, auf die ich noch zu sprechen gekommen wäre, ansprechen, Herr Birkwald: Ja, es ist richtig: Wir haben in unserem Rentensystem eine tolle Regelung, die allerdings erst nachträglich eingeführt wurde, also nicht von vornherein bestand. 1992 hat der Deutsche Bundestag – damals war Norbert Blüm Arbeitsminister – beschlossen: Wir wollen niedrige Entgeltpunkte aus der Vergangenheit aufwerten.

(Kai Whittaker [CDU/CSU]: So ist es!)

Und bei der Antwort auf die Frage, warum man das für die Zukunft nicht fortgesetzt hat, stand im Mittelpunkt, dass leider auch dieses System nicht zielgenau ist. Wir möchten demjenigen helfen, der es nötig hat, seine Rente aufgewertet zu bekommen, aber nicht demjenigen, der sowieso schon ein gutes Einkommen hat; das ist nicht notwendig, Herr Birkwald. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, die bei einem solchen System mit bedacht werden muss.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])

Damit kann ich zu Punkt zwei überleiten. Der Bundesarbeitsminister und die SPD haben genau an dieses System der alten Rente nach Mindestentgeltpunkten anknüpfen wollen, indem künftig Folgendes geschieht: Wer trotz lebenslangen Einzahlens wenig Rente, also wenig sogenannte Entgeltpunkte, hat, dessen Rentenansprüche können aufgewertet werden.Das wird im Einzelfall dazu führen, dass jemand deutlich über der Grundsicherungsgrenze liegt, also des Freibetrages nicht bedarf. Es wird aber genauso zu vielen Fällen kommen, wo auch diese Aufwertung nicht dazu führt, dass man über dem Grundsicherungsbedarf liegt,

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Problem!)

sondern wo man weiterhin auf die Freibetragsregelung, die ich vorgestellt habe, angewiesen ist. Das wird vor allen Dingen dort der Fall sein, wo jemand in Städten und Gemeinden lebt, in denen das Mietniveau sehr hoch ist. – Das zu sagen, gehört einfach zur Ehrlichkeit dazu mit Blick auf die vorliegende Konstruktion.

(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das wissen Sie auch nicht genau!)

Der entscheidende Punkt, der für uns als Union dabei wichtig war, ist folgender: Wenn jemand aus anderen Quellen ein gutes Einkommen hat, zum Beispiel weil er Vermögen aufbauen konnte oder geerbt hat, dann ist er nicht zwingend darauf angewiesen, auch noch eine Aufstockung seiner Rente zu erfahren. Deswegen haben wir gemeinsam vereinbart, dafür klare Einkommensgrenzen zu setzen. Auch das ist ein Gebot der Fairness, der Gerechtigkeit. Es dient auch der Akzeptanz dieses Systems,

(Zuruf der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])

das denen gezielt hilft, die es nötig haben, und durch das diejenigen, die anderweitig gut gestellt sind, nicht auch noch zusätzlich eine Aufwertung von Rentenentgeltpunkten erfahren.

Ich glaube, das ist eine richtige Lösung. Sie macht das System etwas komplizierter; das ist richtig. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, Gerechtigkeit und Einfachheit – das ist manchmal ein Gegensatz. Deswegen werden wir versuchen, dafür einen vernünftigen Kompromiss zu finden. Darauf kommt es an.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun zur Frage: Wann tritt das in Kraft?

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Unverzüglich!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, schon der erste Debattenredner der Union, Hermann Gröhe, hat vorgetragen, was für uns wichtig ist. Das ist die Frage: Wie ist das finanziert? – Es geht dabei nicht um Verschiebungsdiskussionen, sondern es geht um was Wesentliches.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Weiß, Sie müssen zum Schluss kommen, damit wir in die parlamentarischen Beratungen eintreten können.

(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])

 

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):

Jawohl, sehr gut.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben den Bürgerinnen und Bürgern versprochen, dass wir die Mittel für diese Leistung nicht aus den Beiträgen der Rentenversicherung nehmen, sondern aus den Steuereinnahmen. Das ist auch richtig. Wir wollen gewährleistet haben, dass diese Finanzierung aus Steuern am Tag der Verabschiedung des Gesetzes endgültig feststeht. Darum geht es uns.

Vielen Dank. Viel Spaß bei den parlamentarischen Beratungen!

(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Den werden wir haben!)