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Paul Lehrieder: "Die letzte große Reform fand Anfang der 90er-Jahre statt"

Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts ist ein sehr großes, ein sehr ehrgeiziges Projekt und eines der wichtigsten Reformprojekte dieser Legislaturperiode. Frau Kollegin Rawert hat in der von ihr bekannten resoluten Art ja schon auf einiges hingewiesen, und Sie können sich unschwer vorstellen, wie in den letzten Wochen und Monaten in den Berichterstattergesprächen meine schüchterne Art und die dominante Art der Frau Rawert aufeinandergeprallt sind.

(Mechthild Rawert [SPD]: Na, na, na, na, na!)

Da hat es geknistert, wie schon gesagt;

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Hoi!)

aber ich glaube, wir haben ein gutes Gesetz hinbekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe)

Wir ermöglichen mit diesem Gesetz, meine Damen und Herren, den Weg für mehr Selbstbestimmung aller Menschen, die kurz-, mittel- oder langfristig auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Die Reform ist nach Art und Umfang ein wahrhaftiges Mammutprojekt. Da stimmt uns auch die Opposition zu. – Stimmt’s, Frau Keul?

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich sage gleich was dazu!)

Und ich freue mich sehr, dass wir die Neuerung heute hier beschließen können, zugegebenermaßen – diese Kritik ist berechtigt – an einem Freitagnachmittag. Dieses Gesetz hätte eine prominentere Zeit verdient, vor allem angesichts der Tragweite dieses Gesetzes für die betroffenen Menschen.

(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

Ich möchte mich an dieser Stelle bei all jenen bedanken, die sich mit Fleiß und Ausdauer ins parlamentarische Verfahren eingebracht haben. Mein Dank geht an das Ministerium, an alle Sachverständigen der Anhörung und natürlich auch an den Koalitionspartner. Äußerst positiv hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch der mehrjährige Dialog zwischen Praxis und Wissenschaft, der dem parlamentarischen Verfahren vorgeschaltet war.

Die letzte große Reform im Betreuungsrecht fand Anfang der 90er-Jahre statt. Seitdem wurde es zwar mehrfach novelliert, aber mit unseren Änderungen wird nun eine Art Paradigmenwechsel im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention vollzogen. Der Zielbegriff ändert sich vom „Wohl des Betreuten“ hin zum „Wunsch/Willen des Betreuten“. Es ist ganz wichtig, das Selbstbestimmungsrecht des Betreuten viel stärker in den Fokus zu rücken. Der Vorrang der Wünsche des Betreuten wird damit als zentraler Maßstab des Betreuungsrechts normiert. Er gilt als Maßstab für das Betreuerhandeln, für die Eignung des Betreuers und die Wahrnehmung der gerichtlichen Aufsicht. Mit der Reform soll zugleich sichergestellt werden, dass die betroffene Person in sämtlichen Stadien des Betreuungsverfahrens besser informiert und stärker eingebunden wird.

Eine rechtliche Betreuung wird dann nötig, wenn ein Mensch eine bestimmte Situation nicht oder nicht mehr allein händeln kann. Die Gründe hierfür können vielschichtig und komplex sein und sind in der Regel mit gravierenden Einschränkungen verbunden: ein hohes Lebensalter, ein Unfall, eine plötzlich auftretende Krankheit oder eine Behinderung.

Betroffene mit eingeschränkter Selbstbestimmtheit und Autonomie sind in einer schwierigen Lage und wissen oft nicht, was auf sie zukommen wird: Was passiert mit mir, wenn ich nicht mehr die alleinige Kontrolle über mich und meine Geschäfte habe? Was ist, wenn ich maßgeblich auf die Hilfe anderer angewiesen bin? Wird jemand meine Schwäche und Hilfsbedürftigkeit ausnutzen?

Neben der Betroffenenseite haben wir uns vor allem vor Augen gehalten: Wie ist die Situation der Angehörigen, wie beim Ehepartner, der in guten wie in schlechten Tagen helfen kann und mag, aber eventuell nicht darf? Und was können wir für die beruflichen oder ehrenamtlichen Betreuer tun?

Im parlamentarischen Verfahren konnte die CDU/CSU-Fraktion gemeinsam mit der SPD einen guten Gesetzentwurf nochmals verbessern, um die Position von unterstützungsbedürftigen Personen weiter zu stärken. Durch die Neufassung des § 53 ZPO wird künftig festgeschrieben, dass sich die Prozessfähigkeit des Betreuten nach den allgemeinen Grundsätzen richtet und der Betreute nicht wie bislang einer prozessunfähigen Person gleichgestellt wird. Diese Veränderung durchbricht einen alten Automatismus und verbessert damit die prozessualen Handlungsmöglichkeiten. Sie stärkt somit das Recht auf selbstständiges und selbstbestimmtes Handeln.

Darüber hinaus haben wir uns für die Stärkung ehrenamtlicher Angehörigenbetreuer und eine Qualitätsverbesserung eingesetzt. Angehörigenbetreuer übernehmen etwa die Hälfte aller Betreuungen und erhalten zukünftig die Möglichkeit, auf die Beratungs- und Unterstützungsangebote von Betreuungsvereinen zurückzugreifen.

Und ja, eine weitere wichtige Baustelle innerhalb dieser Reform stellt für die Union die Etablierung des Ehegattennotvertretungsrechts dar; der Kollege Maier hat schon darauf hingewiesen. Es ist ein Notvertretungsrecht. Es ist subsidiär zu anderen Regelungen, und natürlich geht eine Vorsorgevollmacht vor; bei getrennt Lebenden fällt es weg. Natürlich kann auch jemand anders eingesetzt werden, unter der Voraussetzung, dass man jemand anderen kennt, etwa ein Angehöriger, ein entfernterer Verwandter. Aber es ist nicht automatisch so, dass der Ehepartner ungeeignet ist.

Das Ehegattennotvertretungsrecht entspricht einer äußerst weit verbreiteten Erwartung unserer Bürger, dass Ehegatten sich einander im gesundheitlichen Notfall vertreten können, und um nichts anderes geht es hier. Anders als die Opposition vertrauen wir darauf, dass Ehepartner füreinander einstehen, und unterstellen ihnen gerade nicht unlautere Absichten, wie es von Teilen der Opposition immer wieder unterstellt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sämtliche Experten waren dagegen!)

– Frau Keul, wir haben vor drei Jahren gemeinsam um die Ehe für alle gekämpft. Es ist an dieser Stelle schon beachtlich, dass Sie beim Thema „Ehe für alle“ immer die Ersten waren, aber dieser zentralen Institution und den Menschen, die sich dazu entschlossen haben, in diesem Bereich jetzt wieder sehr wenig zutrauen.

(Beifall des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU])

Um Ihrer absichtlichen Überzeichnung vorzubeugen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Das Vertretungsrecht gilt nicht, wenn eine Vorsorgevollmacht vorliegt; ich habe bereits darauf hingewiesen. Es ersetzt nicht den Richtervorbehalt. Es gilt auch nicht, wenn die Ehepartner nicht zusammenleben. Schauen Sie in das Gesetz; dann gibt es auch keinen Grund, an dieser Stelle Schnappatmung zu bekommen.

Meine Damen und Herren, es ist ein gutes Gesetz, mit allen Positionen, mit allen Bestandteilen. Ich bitte Sie um Zustimmung. Und wenn aus den Reihen der Opposition zumindest eine machtvolle Enthaltung angekündigt worden ist, so zeugt auch das von der Qualität dieses Gesetzes.

Herzlichen Dank. Ein schönes Wochenende, und bleiben Sie gesund!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)