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Oliver Grundmann: "Die Digitalisierung ist auch ein Grenzfall"

Rede zur ökologischen Digitalisierung

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal zu den Antragstellern: „Digital first. Bedenken second“,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

das war der FDP-Leitspruch im letzten Bundestagswahlkampf.

(Dr. Marcel Klinge [FDP]: Haben Sie sich gut gemerkt!)

Und „Bedenken second“ scheint ja auch die Spezialdisziplin von Herrn Lindner und der FDP in den letzten Tagen gewesen zu sein.

(Heiterkeit und Beifall des Abg. Karsten Hilse [AfD] – Dr. Marcel Klinge [FDP]: Ganz billig!)

Aber grundsätzlich bin ich bei Ihnen: Es gibt viel zu viel Bedenkenträgertum in unserem Land. Es wird vieles kaputtgeredet, anstatt Dinge anzupacken. Aber die Digitalisierung – das will ich hier auch ansprechen – ist eben auch ein Grenzfall. Von „Bedenken second“ hat sich die FDP nach dem nächsten Facebook-Skandal auch schnell wieder verabschiedet. Auch die Diskussionen um Huawei oder die Datenschutz-Grundverordnung zeigen: Das sind echte Herausforderungen; da darf man nicht blauäugig rangehen.

Zunächst einmal zu dem Antrag der FDP. Ich greife ein Thema auf, das Sie gerade angesprochen haben, Frau Skudelny: Ressourceneinsatz und Kreislaufwirtschaft. Da kenne ich mich gut aus; ich bin viele Jahre in dieser Branche als Geschäftsführer tätig gewesen. Klar: Wir brauchen hochwertige Rezyklate in unserem Land, und da ist noch unglaublich viel Luft nach oben. Vor allem müssen wir die Rezyklate auch stärker auf dem Markt zur Anwendung bringen; denn daran hakt es häufig. Was bringt es, wenn wir alles digitalisiert haben, diese Rezyklate aber kaum auf dem Markt verwendet werden?

(Zuruf der Abg. Judith Skudelny [FDP])

Dann hätten wir wiederum ein großes Bürokratiemonster; das müssen wir auf jeden Fall im Auge behalten. Deshalb noch mal in aller Deutlichkeit: So etwas mit Augenmaß. Digitalisierung darf nicht zur nächsten Überregulierung in unserem Land führen.

(Zuruf der Abg. Judith Skudelny [FDP])

Ein anderes Beispiel aus Ihrem Antrag: digitalisierte Mülleimer im Bahnhofsbereich.

(Zuruf von der SPD: Am besten mit Blockchain!)

Ich habe mir das Teil mal angeschaut: eine blinkende Apparatur, die Strom verbraucht und auch immer wieder gewartet werden muss. Ganz ehrlich: Ich habe meine Zweifel, ob das wirklich der richtige Weg ist.

(Judith Skudelny [FDP]: Ja!)

Wir sollten uns nicht so sehr im Klein-Klein verzetteln. Statt Kieselsteinchen in den Augen zu haben, sollten wir die wirklich großen Stolpersteine aus dem Weg räumen. Das wäre der richtige Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU – Judith Skudelny [FDP]: Das eine tun, und das andere nicht lassen!)

Ich möchte ein Beispiel – davon gibt es Hunderte – aus der Seeschifffahrt ansprechen: Über 90 Prozent des Welthandels laufen über den Seeschiffsverkehr.

(Zurufe der Abg. Judith Skudelny [FDP])

Als Vorsitzender des Arbeitskreises Küste der Unionsfraktion habe ich mir mit meinen Kollegen ein Bild gemacht und eine der größten Reedereien weltweit besucht: die Hapag-Lloyd in Hamburg – ein deutsches Flaggschiff. Die Kommandozentrale dort sieht ein bisschen so aus wie ein Weltraumbahnhof in Houston. Da hängen riesengroße animierte Bildschirme und zeigen Schiffsbewegungen weltweit an. Unwetterlagen, Meeresströmungen – all das wird dort für die Schiffe, die unterwegs sind, erfasst. Es werden Alternativrouten berechnet, um Treibstoff zu sparen.

Ein großer Containerriese ist mit 15 bis zu 24 000 Schiffscontainern unterwegs,

(Judith Skudelny [FDP]: Es gibt Schiffe, die mit Windenergie Wasserstoff produzieren!)

zum Beispiel 11 000 Seemeilen von Hamburg bis Shanghai. Es gibt dort die Möglichkeit, satellitengestützt diese Schiffe punktgenau und ohne Wartezeiten in die Terminals einlaufen zu lassen. Während einer solchen Schiffstour können Hunderte Tonnen Kraftstoff eingespart werden und damit auch das entsprechende Äquivalent an CO2. Das sind unvorstellbare Mengen. Da können Sie im Grunde ganz Deutschland mit digitalen Mülleimern ausstatten:

(Judith Skudelny [FDP]: Da geht es um Mikroplastik! Das ist etwas anderes als CO2! Das sind zwei verschiedene Ziele!)

Sie werden nie solche Potenziale zur Ressourceneinsparung realisieren.

In beiden Anträgen steht – das ist mir aufgefallen –, Digitalisierung sei ein Stromfresser: Streaming-Dienste, die so viel Strom verbrauchen wie alle Privathaushalte von Deutschland, Polen und Italien zusammen. Auf der anderen Seite gibt es richtigerweise dank der Digitalisierung enorme Einsparpotenziale; da wird man manchen Schatz noch heben können. In den Anträgen stehen durchaus kluge Vorschläge: für mich bei den einen Antragstellern mehr als bei den anderen. Aber – und das ist jetzt ein ganz dickes Aber –: Der Strom für die Digitalisierung muss eben auch irgendwo herkommen. In Deutschland – das wurde bereits dargestellt – verbraucht die gesamte digitale Netzinfrastruktur ungefähr 55 Terawattstunden Strom. Wofür alles, das wurde von meinen Vorrednern bereits dargestellt.

Um mal die Dimension zu umreißen: Wir haben heute in Deutschland einen Stromverbrauch von 600 Terawattstunden, also an Strom, der aus der Steckdose kommt. 40 Prozent davon, ungefähr 250 Terawatt gewinnen wir schon jetzt regenerativ.

(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Wir zahlen ja auch dafür!)

Das ist eine echte Leistung. Das hat keiner für möglich gehalten. Aber abgesehen von dieser starken Leistung müssen wir uns den Gesamtenergiebedarf in Deutschland anschauen. Das sind nicht 600 Terawattstunden, sondern wir brauchen derzeit 2 500 Terawattstunden – auch um Autos zu betanken, zu heizen und die Industrie zu versorgen. All das müssen wir zukünftig durch regenerative Energien abdecken. Das ist die zehnfache Menge an Strom, den wir derzeit regenerativ in Deutschland erzeugen. Das entspräche – ich will mich da nicht streiten – ungefähr einer halben Million Windräder, die wir in Deutschland aufstellen müssten. Wir haben derzeit 30 000 . Das ist absolut unvorstellbar. Wenn wir das täten, dann würde hier in Deutschland kaum noch ein Vogel fliegen. Den Uhu oder den Rotmilan kann ich dann vielleicht noch im Vogelpark Walsrode mit meinen Kindern anschauen; aber in freier Wildbahn werden wir sie jedenfalls nicht mehr finden.

(Beifall des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD])

Deshalb müssen wir im Hinblick auf die künftigen Herausforderungen neben dem Ausbau der Erneuerbaren hier entsprechenden Strom eben auch in einem sehr großen Maß importieren. Ich spreche das hier deshalb so deutlich an, weil ich in der letzten Ausschusssitzung echt schockiert war, als es darum ging, zu sagen: Jetzt müssen wir mit Afrika, Australien oder anderen Regionen der Welt Energiepartnerschaften schmieden.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man hörte dann von der AfD: Nein, nach Afrika geben wir kein Geld.

(Dietmar Friedhoff [AfD]: Was ist denn das für ein Blödsinn?)

Liebe Frau Scheer, Sie sagten: Nein, das machen wir besser alles hier in Deutschland.

Ich sage Ihnen: Sie unterstützen damit einen Energienationalismus, der uns in eine Sackgasse führen wird. Davor kann ich nur warnen. Wir brauchen in Zukunft andere Möglichkeiten. Es ist gut, dass zumindest die FDP und auch die Grünen Energieimporte zulassen wollen. Wir brauchen neben den Erneuerbaren hier im Lande – es wäre gut, wenn die Grünen das auch noch erkennen – zukünftig Anlandeterminals für Kraftstoffe der Zukunft. Dann werden uns hier die Digitalisierung und viele andere gute Dinge gut gelingen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Dürr [FDP])