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Michael Kuffer: Erinnerungskultur ist Präventionskultur und nicht weniger als eine Frage der Haltung

Aktuelle Stunde - Demokratie und Erinnerungskultur in Deutschland angesichts rechtsextremistischer Angriffe

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei vielem, was in diesen Tagen in der vermeintlichen politischen Auseinandersetzung gesagt wird – ja, augenscheinlich wieder gesagt werden darf –, bei vielem, was daraus hier im Hause und draußen im Land unreflektiert nachgeplappert wird, möchte man geradezu schreien: Wisst ihr denn nicht, wozu das führen kann? Aktueller kann deshalb die Diskussion um die Erinnerungskultur – ich füge hinzu: leider – kaum sein.

Uns zu erinnern, um für alle Zeit zu verhindern, dass noch einmal alle Dämme der Menschlichkeit brechen, aber auch, um zu verhindern, dass Demokratie zum Spielball verbrecherischer Absichten wird, das ist unsere immerwährende Verantwortung. Es gehört gewissermaßen zur DNA unseres Volkes.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Erinnerung ist Verantwortung und Verantwortung wiederum die beste Prävention dagegen, dass sich die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte jemals wiederholen können, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der AfD und der LINKEN)

In diesem Sinne ist das Erinnern nichts Rückwärtsgewandtes, nichts Historisches, sondern eine sich immer wieder erneuernde Zukunftsaufgabe. Und in diesem Sinne ist Erinnerungskultur selbstverständlich weit mehr als das bloße Zurschaustellen von Symbolen oder Erinnerungsstücken. Erinnerungskultur ist Präventionskultur und ist insofern nicht weniger als eine Frage der Haltung.

Die Lehre aus den Verbrechen des Holocaust und aus den beiden Weltkriegen besteht doch nicht nur in der immer wieder erschreckenden Erkenntnis, wozu der Mensch fähig ist, sondern sie besteht auch vor allem in einem einfachen, aber wahren Satz, nämlich: Wehret den Anfängen!

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN)

Auch diese Frage nach den Anfängen könnte aktueller nicht sein. Sie ist eine der Fragen, die uns auch und gerade der parlamentarische Alltag in diesem 19. Deutschen Bundestag stellt. Wir können von dieser Nation keine gelebte Erinnerungskultur erwarten, wenn wir unsererseits in der Art und Weise, wie wir uns hier auseinandersetzen, kein Beispiel für die Präventionskultur im Sinne der Erinnerungskultur geben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir leben in einer Zeit, in der sich nach vielen Jahren, in denen die Unterschiede zwischen den Parteien eher im Graduellen lagen, wieder große Richtungsfragen stellen. Aber je größer die politisch-sachlichen Unterschiede werden, desto mehr müssen wir uns daran erinnern, welche Gemeinsamkeiten wir als Demokraten in uns tragen, nämlich die Suche nach dem Besten, nach der richtigen Lösung in Verantwortung – die wir auch unseren politischen Gegnern, wenn sie andere Mittel als wir wählen wollen, nicht absprechen sollten.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Die andere Meinung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist keine Unverschämtheit, sondern ein Beitrag unter mehreren zur Findung der Lösung. Ich sage es noch einmal – ich habe es hier in diesem Haus schon einmal gesagt und kann es nicht oft genug wiederholen –: Der politische Gegner ist kein Feind. Er ist ein Mitstreiter für unsere gemeinsame demokratische Sache.

(Beifall bei der AfD sowie des Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU])

Wir wollen für unser Argument streiten, aber nicht das Argument des anderen verstummen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der AfD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Gefahr, diesen feinen, aber wichtigen Unterschied zu missachten, fängt im Kleinen an: beim Überschreiten der Grenze vom Sachlich-Politischen, gerne auch vom Zugespitzten, zum Persönlichen; beim Ausweichen auf den persönlichen Angriff, wo man sich politisch unterlegen fühlt. Es fängt an, indem wir unserem Gegenüber seine Motive absprechen, nur weil er andere Mittel wählt, als wir sie selbst wählen wollen. Es fängt an beim Hochmut, bei der Häme über den Verlierer, es geht weiter beim Überschreiten der Grenze von der Emotion zur Aggression. Wir dürfen nie vergessen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ohne Gegner gibt es keinen Wettstreit – das gilt in der Demokratie wie im Sport –, und ohne Wettstreit finden wir nicht das Beste. Aber genau das sollten wir hier suchen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen wir eines nie vergessen: Die Auseinandersetzung mit dem Argument des anderen ist das Salz in der Suppe. Diese schönste Sache der Demokratie müssen wir gemeinsam verteidigen, für unsere demokratische Sache, für die Res publica, ja, für unser Land überhaupt, um genau jenes Vorbild im Kontext der Erinnerungskultur zu geben, das zeigt, dass Ausgrenzung, die Bedrohung Andersdenkender oder Gewalt als politisches Mittel in unserem Land nie wieder einen Platz haben dürfen und dass wir jeden Anfang in diese Richtung –

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege.

Michael Kuffer (CDU/CSU):

– jeden Tag gemeinsam bekämpfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der AfD und der FDP)