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Max Straubinger: Wir sollten davon abkommen, dass alle Unternehmer übel sind

Redebeitrag zum Arbeitsschutzkontrollgesetz

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind jetzt am Ende der Debatte zur ersten Lesung des Arbeitsschutzkontrollgesetzes. Es ist natürlich schon wichtig, dass wir auf die verschiedensten Bereiche eingehen. Ich glaube, es ist wichtig, mit heißem Herzen an eine Sache heranzugehen, dann aber doch mit großer Sachlichkeit die notwendigen Schlüsse aus Entwicklungen zu ziehen. Dass diese in einzelnen Bereichen mit großen Problemen verbunden und kritikwürdig sind, steht außer Frage. Aber genauso wichtig ist, dass wir dann auch die richtigen und die sachlich gebotenen Schlüsse daraus ziehen.

Bundesminister Hubertus Heil hat ja heute großartig dargestellt, welche Exzesse und dergleichen mehr es in der Fleischwirtschaft gibt. Ich bin der Meinung, dass das schon etwas übertrieben war, weil das nicht für die gesamte Fleischwirtschaft gilt, lieber Herr Bundesminister.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er nicht gesagt!)

In einzelnen Betrieben gab es Vorfälle, die hier zu verurteilen sind, nicht aber in allen 1 300 Betrieben, die in der Fleischwirtschaft tätig sind und die mit großem Einsatz und großer Vehemenz für die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eintreten und für gute und verlässliche Arbeitsplätze sorgen. Das sollte hier in einer solchen Debatte auch dargestellt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Corona kann es in jedem Betrieb geben. Das kann es in der Fleischwirtschaft geben. Wir mussten es in meinem Heimatlandkreis in einem Saisonbetrieb der Landwirtschaft miterleben – leider. Aber ich muss auch feststellen: 25 andere Betriebe hatten keinen Coronafall. Also, es ist unter Umständen auch unter hygienischen Gesichtspunkten zu betrachten.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht doch gar nicht um Corona! Es geht um menschenwürdige Arbeit!)

Ich bin dem Kollegen Gerdes sehr dankbar, dass er hier sehr sachlich dargestellt hat, dass es dafür technische Lösungen geben muss und dass die vertraglichen Grundlagen eines Arbeitsplatzes in keinster Weise mit Corona in Verbindung zu bringen sind. Vielmehr müssten meines Erachtens das Arbeitsumfeld und die technischen Lösungen verbessert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Straubinger, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Diether Dehm?

Max Straubinger (CDU/CSU):

Ja, gerne.

Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):

Kollege Straubinger, ich weiß natürlich, dass man nie alle kleinen Unternehmer, mittelständischen Unternehmer und Konzerne über einen Kamm scheren darf. Bei aller Wertschätzung, glauben Sie, dass die Mitgliedschaft in der CSU vor Sklavenarbeit schützt? Ich meine, der Volksmund kennt ja nicht umsonst das Wort „schwarze Schafe“ und nicht „rote Schafe“.

(Heiterkeit)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Danke für diese Frage. – Herr Dr. Straubinger.

 

Max Straubinger (CDU/CSU):

Lieber Herr Kollege, die CSU steht für die soziale Marktwirtschaft und in besonderer Weise auch für das „S“ im Parteinamen, nämlich die soziale Ausgestaltung der Lebensverhältnisse für die Menschen in unserem Land. Das hat der hohe soziale Standard in Bayern, den Sie in Niedersachsen nicht so erleben können, auf alle Fälle immer wieder bewiesen, lieber Herr Kollege Dehm.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Also unter dem Gesichtspunkt sind wir führend. Das können Sie, wenn Sie nach Bayern ziehen, durchaus miterleben.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

So, jetzt passt’s schon. Danke schön.

Max Straubinger (CDU/CSU):

Wir sind da integrativ. Von daher gibt es da keine Probleme in Bayern.

Verehrte Damen und Herren, es ist aber mitentscheidend, dass wir auch weiterhin Flexibilität haben. Wenn die Fleischwirtschaft die Werkverträge in der Schlachtung und Zerlegung selbst aufgibt, ist das in Ordnung. Wenn wir sie verbieten, ist das möglicherweise auch in Ordnung. Grundsätzlich bin ich eigentlich gegen Verbote. Diese Verbotskultur, die dieses Gesetz letztendlich niederlegt, sehe ich kritisch. Dasselbe gilt insofern, als wir dann, wenn dies geschieht, die Verarbeitung nicht mit hineinnehmen; denn in der Verarbeitung brauchen wir mehr Flexibilität.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum?)

Nicht nur die Grillsaison, sondern auch Weihnachten, Ostern und die Werbekampagnen des Lebensmitteleinzelhandels erfordern Flexibilität in den wurstherstellenden Betrieben. Das muss auch weiterhin möglich sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carl-Julius Cronenberg [FDP] – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Argument!)

Kollege Oellers hat ja dargelegt: Die Zeitarbeit ist der am stärksten regulierte Arbeitsmarkt, den es gibt.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was ist eigentlich der Unterschied zur Leiharbeit?)

Hier gibt es Tarifverträge. Zeitarbeiter sind in die Arbeitsverhältnisse des Betriebes integriert. Sie sind in den Betriebsrat einer Firma integriert. Das zeigt doch sehr deutlich, dass Grundlage für den Einsatz von Zeitarbeitern nicht Lohndumping ist, sondern dass dies für mehr Flexibilität bei Auftragsspitzen sorgt. Ich habe mehrere Firmen besucht, zum Beispiel in Nürnberg. Dort arbeiten in der Grillsaison viele Menschen in der Fleischwirtschaft. Wenn die Grillsaison vorbei ist, arbeiten dieselben Menschen in der Lebkuchenproduktion. Das ist arbeitsteilige Wirtschaft, die wichtig ist für unser Land, die unser Land groß gemacht hat und für viele Arbeitsplätze gesorgt hat.

Frau Präsidentin, die Kollegin Müller-Gemmeke möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Der Herr Straubinger möchte gerne, dass es eine Zwischenfrage gibt.

Max Straubinger (CDU/CSU):

Ich kann der Kollegin doch keinen Wunsch abschlagen.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Ja, das weiß ich doch. – Frau Kollegin, bitte.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Erstens. Noch mal zu dieser Aussage, dass es Auftragsspitzen gibt, die über die Leiharbeit abgedeckt werden müssen. Wie ich informiert bin, ist es in Rheda-Wiedenbrück bei Tönnies so, dass da täglich 25 000 Schweine geschlachtet werden. Täglich, also nicht im Sommer mehr und im Winter weniger, sondern täglich. Die Produkte der Fleischbranche gehen ja auch in den Export. Von daher ist es mit diesen Auftragsspitzen nicht mehr so kritisch. Was sagen Sie dazu?

Zweitens. Wenn es tatsächlich Spitzen gibt, dann sind die auch anders zu regeln. Dafür haben wir klassisch zum Beispiel die Möglichkeit, Beschäftigung befristet zu machen, also Befristung mit sachlichem Grund. Das ist genau das, wenn es um Auftragsspitzen geht.

Drittens. Ich gehe davon aus, dass viele der Werkvertragsunternehmen schon heute eine Erlaubnis für Arbeitnehmerüberlassung haben. Natürlich wird es so sein, dass ruck, zuck alle Werkvertragsunternehmen Leiharbeitsfirmen sind, und dann ist überhaupt nichts gewonnen. Und Sie wissen auch, dass das im Endeffekt die Lohnuntergrenze ist.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Frau Kollegin, ich glaube, die Fragen sind deutlich.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Die Lohnuntergrenze ist nur einen Tick oberhalb vom gesetzlichen Lohn. Also, so gut sind die Arbeitsbedingungen in der Leiharbeit nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Danke schön. – Herr Straubinger, bevor Sie diese Frage beantworten, nehme ich noch gleich eine Frage des Kollegen Spiering von der SPD mit dazu.

Max Straubinger (CDU/CSU):

Ach so? – Dann muss ich mir das notieren.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Wollen Sie einen Stift?

Max Straubinger (CDU/CSU):

Nein, habe ich selbst, Frau Präsidentin. Aber danke für das Angebot.

Rainer Spiering (SPD):

Verehrter Kollege Straubinger, da Sie sich in der Fleischverarbeitung sehr gut auskennen, werden Sie ja auch wissen, dass der größte Fleischverarbeiter in Deutschland die Firma Tönnies ist. Dann werden Sie auch wissen, dass die größten Mitverarbeiter die Firmen Westfleisch und Danish Crown sind. Ich würde von Ihnen gerne erklärt haben, wie Sie diese Differenzierung vornehmen wollen, wenn die größten Fleischverarbeiter nicht Familienbetriebe, sondern Konzerne wie Tönnies sind.

Ich verwahre mich grundsätzlich gegen die Aussage, dass Sie als Bayer meinen, Sie seien sozialer als wir Niedersachsen. Das ist nun wirklich ein absolutes Unding,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

und ich würde Sie bitten, das einmal geradezurücken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Danke schön.

Rainer Spiering (SPD):

Moment.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Nein, wir haben schon so viele Fragen, und Herr Straubinger muss in zwei Minuten antworten. – Bleiben Sie bitte stehen? Auch wenn Sie aus Niedersachsen sind.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Straubinger, bitte.

Max Straubinger (CDU/CSU):

Lieber Kollege Spiering und liebe Kollegin Beate Müller-Gemmeke, offensichtlich haben Sie – möglicherweise noch mehr Kollegen als Sie beide – irgendwie einen Tönnies-Komplex.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Wir machen aber ein Gesetz für 1 300 Betriebe,

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

und die gehören nicht alle Tönnies.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Alles nur auf der Plattform Tönnies abzuspielen, das ist meines Erachtens falsch.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist das beste Beispiel!)

Das wird den Betrieben in Bayern, die ich besucht habe – sei es VION, sei es Wolf Fleisch oder auch Wiesenhof –, nicht gerecht. Also, nehmen Sie die Schranke einmal weg, die Sie vor Ihren Augen haben. Wir machen ein Gesetz für alle Betriebe.

Und dann gibt es sehr viele Betriebe, vor allen Dingen aus der Zeitarbeitsbranche, die höchste Auszeichnungen der zuständigen Berufsgenossenschaften bekommen haben, zum Beispiel die Firma Stiefvater in Nürnberg, die ich besucht habe und die ebendiese Menschen in der Zeitarbeit einsetzt, einmal in der Fleischindustrie und dann in der Lebkuchenproduktion.

Also, wir sollten davon abkommen, dass alle Unternehmer übel sind; denn diese sozial verantwortlichen Unternehmer sorgen letztendlich für gute Arbeitsplätze in unserem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

An denen sollten wir unser Gesetz ausrichten und nicht nur an den Übeltätern. Die Übeltäter müssen natürlich bestraft werden. Das Übel muss abgeschafft werden. Aber ich muss feststellen, dass in der Vergangenheit die ehemalige rot-grüne Landesregierung in NRW überhaupt nicht kontrolliert hat.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie mal meine Fragen beantworten?)

Erst Karl-Josef Laumann hat kontrolliert, wobei ich aber feststellen muss:

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen beantworten!)

Die festgestellten Verstöße sind mit dem jetzigen Gesetzesinstrumentarium bereits zu ahnden. Daher bräuchten wir in dem Sinne gar keine anderen Gesetze.

(Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] nimmt wieder Platz)

– Nein, Frau Müller-Gemmeke, ich bin noch bei der Antwort.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommt denn die Antwort?)

Die Umwandlung von Werkverträgen dann in Zeitarbeitsverträge mag es vielleicht geben, aber es ist dann möglicherweise für einzelne Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sogar eine Verbesserung, weil es bei den Zeitarbeitsunternehmen einen festen Tarifvertrag gibt. Es gibt den Lohnanspruch, es gibt die Integration in die Betriebe. – Ja, natürlich. Sie schütteln den Kopf. Das haben wir alles beschlossen.

Und es gibt eine Begrenztheit des Einsatzes, längstens 18 Monate im gleichen Betrieb – das muss man sehen –, und nach dem neunten Monat gilt Equal Pay. Dann muss der Lohn bezahlt werden, der dort in dem Betrieb üblich ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Also, das ist eine Verbesserung.

Es ist ja so: Sie können die Großen jetzt bestrafen und sagen, wir verbieten alles. Wer aber auf der Strecke bleibt, ist der Mittelstand. Der Tönnies, den Sie als Schranke vor Augen haben, und Westfleisch schaffen es, ihre Arbeitnehmer aus Rumänien, aus Bulgarien und sonstigen Ländern zu rekrutieren, weil sie so groß sind. Aber der Mittelstand in der Fleischverarbeitung mit 200 oder 300 Mitarbeitern kann es sich nicht leisten, ein Büro in Rumänien, in Bukarest oder in sonstigen Städten aufzumachen, um Menschen als Arbeitskräfte zu rekrutieren. Auch das ist richtig: Leider Gottes stehen unsere Leute in Deutschland nicht unbedingt vor den Fleischbetrieben Schlange, um dort eine Arbeit aufzunehmen.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Wunder bei den Konditionen!)

Das ist letztendlich ja mit das Ergebnis.

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Lieber Max Straubinger, die Fragen sind ausführlich beantwortet. Jetzt läuft wieder die Uhr.

Max Straubinger (CDU/CSU):

Werte Kolleginnen und Kollegen, lasst uns streiten und lasst uns ein vernünftiges Gesetz machen. Dabei geht es auch darum: Was ist ein Handwerksbetrieb? Ein Handwerksbetrieb definiert sich, lieber Herr Minister, nicht über 49 Personen, die dort beschäftigt sind. Ein Handwerksbetrieb definiert sich darüber, dass der Inhaber das Metzgerhandwerk gelernt hat, und das hat nichts mit der Anzahl der beschäftigten Personen zu tun. Und deshalb muss das Handwerk hier auch herausgenommen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Zu den Verträgen muss ich auch sagen: Warum ist es möglich, in der Milchindustrie die Erzeugung der Verpackung sozusagen auszulagern, und zukünftig wäre es bei den Fleischbetrieben nicht mehr möglich? Das kann mir doch keiner erklären. Das gilt genauso für die Kuttelei, die letztendlich einen Sonderbetrieb darstellt, in dem die Därme verarbeitet werden. Ich war in einer Schlächterei bei VION. Die haben mir gesagt, sie werden das selbst nicht tun. Dann werden aus den Gedärmen keine Produkte hergestellt, sondern sie werden dann zu Tiermehl gemacht, und hinterher werden die Überreste verbrannt.

Es ist auch ethisch geboten, jedes Tier, das geschlachtet wird, für den Verzehrkreislauf der Menschen zu verwerten oder es dementsprechend für andere Nebenprodukte herzunehmen. Das ist auch ein ethisches Gebot.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Da brauchen wir auch die Vielfaltsmöglichkeit in den Betrieben, und ich bitte darum, dass diese auch erhalten bleibt.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)