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Manfred Grund: Die Geschichte endet nicht

Redebeitrag in der Haushaltsdebatte zum Einzelplan 05 des Auswärtigen Amtes

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer vor den Bildschirmen! Wir sind kurz vor dem 3. Oktober. Vor 30 Jahren standen wir vor einer Zeitenwende mit Veränderungen sondergleichen für Deutschland, für Europa und für die Welt. Mit dem Fall der Berliner Mauer ist auch der Eiserne Vorhang zu Osteuropa gefallen. Die Blockkonfrontation wurde aufgehoben, und es schien eine Zeit zu kommen, in der die Welt friedlicher und gerechter wird. „Ende der Geschichte“, wurde uns prophezeit.

Doch Geschichte endet nicht. Sie macht vielleicht eine Pause, holt Anlauf und kehrt dann wieder. Und diese Geschichte ist auch wiedergekehrt – nicht mehr in Form der Blockkonfrontation, sondern in Form von Terrorismus und von Nationalstaaten, die wieder in die Geschichte eingetreten sind und ihre vermeintlichen Interessen angemeldet haben.

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Die Situation in Jugoslawien wurde ja geradezu gefördert von Deutschland!)

– Der Blödsinn von Ihrer Seite wird ja immer größer.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Ulrich Lechte [FDP])

Nationalstaaten sind leider oftmals mit Nationalismus verbunden. Aber auch Terrorismus ist ein Problem. Und Terrorismus umfasst vor allem islamistischen Terrorismus – Taliban, IS, Boko Haram – mit Konflikten in Asien, in Afrika, die auch bis an unsere Haustür heranreichen. Staaten, die involviert sind, sind Afghanistan, Irak, Syrien und weite Teile Afrikas.

Nationalismus – jetzt bin ich bei Jugoslawien –: Jugoslawien ist nicht zerfallen, weil die Europäische Union oder weil die NATO Jugoslawien zerschossen hätten, sondern weil die Nationalstaaten wieder in die Geschichte, in das Leben eintreten, nicht mehr bevormundet sein wollten und ihre Unabhängigkeit haben wollten. Und weil diese Unabhängigkeit ihnen verweigert wurde bzw. lange hinausgezögert wurde, haben Menschenrechtsverbrechen stattgefunden, und einige von denen, die diese begangen haben, sind in Den Haag gewesen: Milosevic, Karadzic.

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Da hätten noch ganz andere hingehört!)

Aber besonders problematisch wird es, wenn Nationalismus und ein Amputationsschmerz verlorener Imperien zusammenkommen. Das betrifft Russland und auch die Türkei. In der Türkei war – bis zur Präsidentschaft von Präsident Erdogan – die Erinnerung an das Osmanische Reich eigentlich nicht damit verbunden, alte Größe wieder erreichen zu wollen; vielmehr ist erst mit dieser Präsidentschaft das verlorene, untergegangene Osmanische Reich wieder Thema nicht nur in den Geschichts-, sondern auch in den Lehrbüchern der Türkei geworden. Und dem geschuldet sind wahrscheinlich auch einige der Engagements wie die Kriegseinsätze in Syrien, in Libyen, die Auseinandersetzung mit Griechenland im östlichen Mittelmeer, in der Ägäis. Das hat etwas damit zu tun, dass nach dem Untergang des Osmanischen Reiches immer noch keine stabile und gemeinsame Ordnung eingetreten ist.

Russland. Wladimir Putin hat einmal den Zerfall der Sowjetunion als die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet; da kämen uns und anderen Staaten sicher auch andere Ereignisse in den Sinn. Dem geschuldet sind auch die Auseinandersetzungen in Georgien 2008, auf der Krim 2014, aber auch das ständige Gefühl der Bedrohung durch Russland in den baltischen Staaten. Ein weiterer Aspekt des Zerfalls der ehemaligen Sowjetunion, der uns bis heute zu schaffen macht, sind die eingefrorenen Konflikte, Frozen Conflicts: Transnistrien gehört dazu, Abchasien, Südossetien und seit wenigen Tagen heißgestellt: Bergkarabach.

Bergkarabach im Kaukasus: 140 000 armenischstämmige Menschen leben dort; die Region ist seit vielen Jahrzehnten umkämpft. 1988/89, nach dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion, gab es erste Absetzbewegungen. Diese wurden blutig niedergeschlagen, zurückgewiesen, unterdrückt. Es folgte ein Bürgerkrieg in Aserbaidschan, Flucht, Vertreibung. Das Resultat war am Ende ein Status quo, der kein Friede, sondern eigentlich immer noch ein Kriegszustand ist und der jetzt wieder heißgestellt wird, indem Bergkarabach bombardiert wird. Wieder sind Menschen in Luftschutzbunkern, müssen Angst um ihr Leben haben. Es wird geschossen. Zivilisten sterben, Soldaten sterben.

Was können wir dagegen tun? Es ist mehrfach angesprochen worden: Wir sind weit weg, wir sind nicht Partei, wir sind auch nicht Schiedsrichter. Wir können aber allen Beteiligten zumindest ins Gewissen reden, können sagen: Wir wollen, dass die bewaffneten Konflikte eingestellt werden. – Wir müssen auch an Dritte appellieren, hier insbesondere an die Türkei, nicht Partei zu ergreifen, nicht zur Partei zu werden, nicht mit Material oder auch mit eingeflogenen Söldnern zu helfen, sondern auch verbal abzurüsten, damit diese geschundene Region eine Chance hat, zum Frieden zurückzukommen. Wir werden dann für die Menschen in Karabach humanitäre Hilfe leisten müssen, weil auch sie ein Recht auf ein friedliches ziviles Leben haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)