Karin Maag: Die Politik alleine wird die Pandemie nicht eindämmen können, wir brauchen die gesamte Gesellschaft
Redebeitrag zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin
Frau Präsidentin! Frau Bundeskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Verlauf der Debatte mehrere Handlungsstränge begutachten können. Wir reden über die Pandemie und über sehr, sehr harte Maßnahmen – für einige sogar existenzbedrohend –, um unsere Infektionszahlen in Deutschland wieder einzudämmen. Wir reden darüber – so habe ich gelernt –, ob wir als Parlament die wesentlichen Entscheidungen selber treffen, Stichwort: Flickenteppich. Und wir diskutieren offensichtlich auch darüber – ich diskutiere da gerne mit –, wie Verordnungsermächtigungen für Landesregierungen womöglich noch zielgenauer gemacht werden können.
Bei Letzterem will ich kurz ansetzen: Offensichtlich haben einige Kolleginnen und Kollegen – ich schaue jetzt auf die rechte Seite – noch immer nicht begriffen, dass es bei den Gesprächen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten darum geht, die Maßnahmen der zuständigen Landesregierungen zu koordinieren. Ich jedenfalls habe die Kanzlerin immer bewundert für ihre unendliche Geduld bei dieser Koordinierung und habe mir den Satz gemerkt – hoffentlich schaffe ich es, selber dahin zu kommen –: Wenn es etwas ändern würde, würde ich mich sogar aufregen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die gelungene gestrige Vereinbarung enthält nichts wirklich Überraschendes. Das Ausbruchsgeschehen – wir haben hier schon darüber debattiert – hat eine besorgniserregende Dynamik erreicht. Seit Tagen liegt die Zahl der täglichen Neuinfektionen bei 14 000, 15 000 Fällen, und gerade die Ansteckungsrate bei den über 60-Jährigen ist steil nach oben gegangen.
Mir ist es ganz wichtig, dass wir bei dem von uns von Anfang an verfolgten politischen Ziel bleiben, nämlich den Regelbetrieb in Deutschland – ich rede jetzt von der Wirtschaft, von Schulen und von Kitas – unter Coronabedingungen so gut wie möglich aufrechtzuerhalten und, wenn uns das wieder möglich wird, zielgerichtet regionales Ausbruchsgeschehen einzudämmen. Dafür brauchen wir keine Ampel. Wir müssen die besorgniserregende Zahl der täglichen Neuinfektionen so stabilisieren, dass die Ansteckungswege für unsere Gesundheitsämter, wo das nicht mehr möglich war, wieder nachverfolgbar werden. Die Gesundheitsämter können bei mehr als 50 Neuansteckungen pro 100 000 Einwohnern pro Tag die Ansteckungswege ohne weitere Unterstützung nicht mehr nachverfolgen. Das ist das Problem. Wenn dann zum Beispiel in Berlin eine solche Unterstützung, die wir als Bund durch die Bundeswehr oder die Bundespolizei ermöglichen, aus ideologischen Gründen gar nicht abgefragt wird, dann ist das, jedenfalls für mich, wirklich unfassbar.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Was zu tun ist, ist relativ einfach erklärt, auch wenn es noch nicht jeder begriffen hat: Das Virus braucht menschliche Kontakte, um sich zu verbreiten. Aus virologisch-wissenschaftlicher Sicht ist das probate Mittel, um die Pandemie einzudämmen, eine drastische Kontaktreduzierung. Wir in der Politik müssen zwischen dem wissenschaftlich-virologischen Ansatz und dem gesellschaftlich noch Tolerierbaren eine vernünftige Balance finden. Und ich meine, das gelingt uns nach wie vor gut.
Ja, Herr Lindner, Frau Mohamed Ali, Herr Münzenmaier, Sie haben recht: Weder in der Oper noch im Kino noch auf dem Fußballplatz oder im Restaurant findet für sich genommen ein hohes Infektionsgeschehen statt, gibt es hohe Ansteckungswerte. Aber diese Orte ermöglichen Kontakte, und das ist unser Problem.
(Sebastian Münzenmaier [AfD]: Aber Sie können doch nicht alle Kontakte verbieten!)
Wir müssen alle nicht notwendigen Kontakte, solche, die sich nicht auf Schule, auf Wirtschaft, auf Kitas beziehen, vorübergehend im November aussetzen und das Ganze eng kontrollieren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich zitiere den Leiter des RKI, Herrn Professor Wieler, der gestern in der Gesundheitsausschusssitzung gesagt hat: Je mehr wir den Menschen die Chance geben, sich zu treffen, desto mehr wird sich das Virus leider verbreiten.
(Sebastian Münzenmaier [AfD]: Das ist doch mit jeder Krankheit so!)
Ich bin Wahlkreisabgeordnete und weiß um die Not der Gastwirte, der Künstler, der Schauspieler. Wir in der Union reden mit den Menschen darüber.
(Sebastian Münzenmaier [AfD]: Sie wollen doch Treffen insgesamt unterbinden!)
Insbesondere die Schausteller haben seit letztem Herbst keinerlei Zahlungseingänge mehr.
(Sebastian Münzenmaier [AfD]: Das ist ein Ausblick in die Zukunft, da wird es einem schlecht!)
Auch sie sind Teil der Wirtschaft und vor allem unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft. Ich unterstütze deshalb von ganzem Herzen den Ansatz, nicht nur mit weiteren Krediten zu helfen, sondern auch mit Zuschüssen. Kein Lockdown ohne Ausgleich!
(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Münzenmaier [AfD]: Das sind die Schulden von morgen! Wer zahlt das denn alles zurück?)
Als Gesundheitspolitikerin ist mir auch der Schutz der Krankenhäuser, der Pflegeheime sowie der Senioren- und Behinderteneinrichtungen besonders wichtig. Vor allem dürfen die Regelungen nicht zu einer sozialen Isolation der Betroffenen führen. Wir haben auf Bundesebene bereits in der neuen Coronavirus-Testverordnung sichergestellt, dass die Kosten der Schnelltests – das Ergebnis kommt nach 15 bis 20 Minuten – übernommen werden, um Bewohner und Patienten sowie Besucher und Personal regelmäßig testen zu können. Auf diese Weise werden wir den Besucherverkehr aufrechterhalten können. Die Schnelltests sind zum großen Teil schon in den Heimen angekommen.
Übrigens, Frau Mohamed Ali: Die Ausbildungszahlen im Bereich Pflege steigen wieder. In der Altenpflege haben wir die Mindestlöhne erhöht, und in der Krankenpflege sind jetzt Tariferhöhungen bis zu 10 Prozent vorgesehen.
(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Aber nicht für alle! Entschuldigung! 10 Prozent reichen nicht!)
Nehmen Sie das doch bitte zur Kenntnis.
Und, Frau Göring-Eckardt, wir waren den Sommer über nicht untätig. 4 Milliarden Euro zur Stabilisierung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, der übrigens von den Ländern zu betreuen ist, 3 Milliarden Euro für die bessere technische Ausstattung der Krankenhäuser, die Digitalisierung des gesamten Gesundheitssystems und Botendienste in den Apotheken – das alles erleichtert das Leben und macht es für uns in der Pandemie weiterhin sicher.
Noch ein letzter Gedanke zum dritten Infektionsschutzgesetz; der Kabinettsentwurf dazu war ja das Ärgernis der letzten Tage. Es wird nichts, aber auch gar nichts verstetigt an den Ermächtigungen zum Erlass der Rechtsverordnung. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich den Gesundheitsminister loben. Jens Spahn hat uns in nahezu jeder Sitzungswoche und in den Nichtsitzungswochen über Videokonferenzen und Telefonschalten Rede und Antwort gestanden über den Inhalt der Ermächtigungen. Wir haben darüber diskutiert und sie zum Teil auch im Ausschuss korrigiert. – Übrigens, Herr Lindner: Die FDP war dabei immer zugegen, und die Kollegin Aschenberg-Dugnus hat sich – das dürfen Sie mir glauben – ausführlich, wie sie es immer macht, in die Diskussion eingebracht. Ich jedenfalls fühle mich als Gesundheitspolitikerin auf dem Fahrersitz, nicht nur auf dem Beifahrersitz.
Abschließend ist mir eines besonders wichtig: Die Politik alleine wird die Pandemie nicht eindämmen können. Wir brauchen Sie alle, die gesamte Gesellschaft. Danke an alle, die bisher schon mitgewirkt haben. Bleiben Sie gesund!
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)