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Jens Lehmann: Die Truppe selbst steht einer Reaktivierung der Wehrpflicht sehr kritisch gegenüber

Redebeitrag zum Antrag zur Reaktivierung der Wehrpflicht

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die AfD-Fraktion arbeitet sich ja nun schon länger an der Wehrpflicht ab. Aber selbst wenn Sie von Scharnhorst zitieren, werden Ihre Argumente nicht besser. Dabei sollten Sie die Signale aus der Bundeswehr einfach mal richtig deuten. Die Truppe selbst sagt, dass sie einer Reaktivierung der Wehrpflicht sehr kritisch gegenübersteht. Wer so wenig am Puls der Truppe ist, sollte nicht von sich behaupten, die Partei der Soldaten zu sein.

(Henning Otte [CDU/CSU]: Sind sie ja auch nicht!)

Meine Damen und Herren, der Bundestag hat vor knapp zehn Jahren beschlossen, die Wehrpflicht auszusetzen. Ja, dieser Schritt war schmerzhaft. Die Wehrpflicht war zu Zeiten des Kalten Krieges sinnvoll und hat sich damals bewährt. Aber die Zeiten haben sich geändert. Darauf hat die Politik reagiert. Steigende Einsatzverpflichtungen und die sinkende Zahl der Wehrpflichtigen in Deutschland waren damals die wesentlichen Treiber, die Wehrpflicht auszusetzen und stattdessen das System der freiwillig Wehrdienstleistenden zu installieren. Der Grundgedanke von damals ist auch heute noch richtig: Ein längerer freiwilliger Dienst ermöglicht die Ausbildung für das gesamte aktuelle Einsatzspektrum der Bundeswehr, was mit einem Wehrdienst in seinem klassischen Sinne nicht mehr möglich war.

Werte Kollegen, wir alle wissen, dass die Bundeswehr ihrer originären Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung wieder mehr Aufmerksamkeit widmen muss. Die geopolitischen Verhältnisse haben sich nicht zum Besseren verändert. Im Gegenteil: Wir sehen, dass Russland unverhohlen seine alte Stärke wiederaufleben lassen will, und wir sehen, dass China mehr und mehr Einfluss nimmt. Dennoch ist der Weg, den die AfD mit ihrem Antrag gehen will, nicht der richtige. Denn die Antwort auf die Frage nach der Zahl von mindestens 30 000 Wehrpflichtigen – wie kommen Sie auf diese Zahl? – bleibt die AfD schuldig.

(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

2009 hatten wir zuletzt 68 000 Grundwehrdienstleistende und freiwillig länger dienstleistende Soldaten eingezogen. Schon damals hieß es, die Wehrgerechtigkeit sei nicht mehr gegeben, da der überwiegende Teil eines Jahrganges nicht mehr eingezogen wurde. Meine Damen und Herren, diese Ungerechtigkeit würde der AfD-Antrag sogar noch vergrößern. Denn wie wollen Sie den 30 000 jungen Männern erklären, warum sie jetzt ihren zwölfmonatigen Dienst antreten müssen, die überwiegende Mehrheit aus ihrem Jahrgang aber eine Ausbildung oder ein Studium beginnen kann? Mit Ihrem Antrag zementieren Sie die Ungleichheit eines Jahrgangs. Das kann niemand wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lassen Sie uns vielmehr darüber diskutieren, wie wir die Bundeswehr attraktiver für junge Menschen machen, damit die Leute freiwillig zur Bundeswehr gehen. Diesen Punkt haben Sie ja richtigerweise in Ihrem Antrag erkannt. Ich zitiere mit Genehmigung der Präsidentin:

Die Bedingungen und Chancen des Wehrdienstes müssen so beschaffen sein, dass sich idealerweise die jungen Männer um die Wehrpflicht-Stellen bewerben.

Zitat Ende. – Das kommt ja faktisch einer Freiwilligkeit gleich, und damit würden wir viel mehr erreichen. Denn wer sich freiwillig meldet und um den Dienst in der Bundeswehr bewirbt, macht dies aus Überzeugung. Diese Motivation brauchen wir. Wir müssen dafür sorgen, dass der Dienst in der Bundeswehr so attraktiv und in der Gesellschaft anerkannt wird, dass sich viele junge Menschen freiwillig für den Dienst in der Bundeswehr entscheiden und damit aktiv unsere Werte verteidigen und unser Land in Frieden und Freiheit bewahren.

Um den Dienst in den Streitkräften für junge Menschen so attraktiv wie möglich zu machen, haben wir nunmehr zwei Säulen, die sich sehr gut ergänzen: das bewährte System des freiwillig Wehrdienstleistenden mit bis zu 23 Monaten Dienstzeit am Stück sowie das neu eingeführte Angebot „Dein Jahr für Deutschland“, welches Sie ja wieder abschaffen wollen. Das Konzept des Freiwilligenjahres zielt effektiver auf die langfristige und emotionale Bindung der Wehrdienstleistenden an die Streitkräfte. Bei der Wehrpflicht, die Sie wieder einführen wollen, ist nach zwölf Monaten Schluss. Im Freiwilligenjahr dienen die Menschen sieben Monate am Stück. Die restlichen fünf Monate werden in einzelnen Abschnitten innerhalb von sechs Jahren geleistet.

Werte Kollegen, der vorliegende Antrag ist aus vielen Gründen abzulehnen, nicht zuletzt, weil einige Forderungen darin bereits umgesetzt sind. Daher sollten wir unsere Anstrengungen lieber darauf verwenden, den Dienst in der Bundeswehr attraktiver zu machen; denn dadurch gewinnen wir motivierte junge Menschen für den Dienst in den Streitkräften.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU)