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Tino Sorge: "Es geht darum, die Länder zu unterstützen"

Den Öffentlichen Gesundheitsdienst dauerhaft stärken, die Public-Health-Perspektive in unserem Gesundheitswesen ausbauen

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss ja sagen: Im Ergebnis sind wir uns hier – das habe ich zumindest den Ausführungen der Vorrednerinnen und ‑redner entnommen – alle einig, dass wir den Öffentlichen Gesundheitsdienst stärken müssen und stärken wollen.

Das Einbringungsdatum des Antrags der Fraktion der Grünen liegt ja jetzt schon ein bisschen zurück, er datiert vom 18. November 2020. Insofern ist da natürlich auch viel dabei, was relativ allgemein ist. Es ist aber auch viel dabei, was längst schon überholt ist.

(Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt leider nicht! Er ist absolut aktuell!)

Wir haben am Mittwoch im Ausschuss über diesen Antrag debattiert. Ich fand es schon bemerkenswert, dass wir im Ausschuss – das erlebt man ja selten – auch aus der Opposition fast geschlossen gehört haben – Andrew Ullmann beispielsweise hat gesagt, der Antrag enthalte planwirtschaftliche Elemente; Harald Weinberg aus der Fraktion Die Linke sprach davon, der Antrag sei viel zu unkonkret, viel zu offen, unpräzise –, dass der Antrag im Grunde im Hinblick auf die Qualität und die inhaltliche Ausrichtung – darin sind wir uns sicherlich einig – in dieser Form nicht zielführend ist.

Ich will auch noch mal darauf hinweisen, dass das Thema Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes natürlich auch damit zusammenhängt, dass wir da vieles besser machen müssen. Aber ich wehre mich ein bisschen dagegen, immer nur zu nörgeln. Wir haben das heute wieder gehört. Wir haben für den Öffentlichen Gesundheitsdienst 4 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt, davon 800 Millionen Euro zusätzlich für Digitalisierung, und 5 000 neue Stellen geschaffen.

(Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber befristet! Das ist doch nicht nachhaltig!)

Das wird hier so lapidar vom Tisch gewischt. Da wird dann gesagt: Na ja, 40 Milliarden Euro wären besser gewesen. – Insofern, glaube ich, sollten wir da ein bisschen die Relation sehen.

Was ich auch noch sagen will: Natürlich müssen wir den Öffentlichen Gesundheitsdienst stärken; das wollen wir alle. Aber ich persönlich möchte nicht, dass wir ein staatliches Gesundheitsamt als Bundesoberbehörde etablieren, wie das bei einigen Rednerinnen und Rednern hier herausgekommen ist. Also, ganz herzliches Dankeschön an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Gesundheitsämtern vor Ort. Ja, ich weiß, die Lage dort ist sehr unterschiedlich. Aber ich glaube, wir sollten auch deren Leistungen nicht kleinreden und sagen: Wir machen am besten eine Bundesoberbehörde, und dann wird alles besser.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben natürlich das Thema Föderalismus angesprochen. Da geht es tatsächlich darum, die Länder zu unterstützen. Da ist es nicht der richtige Weg, immer zu sagen: Wir können mit Geld alle Probleme lösen. Wir kippen einfach genügend Geld rein, dann geht’s allen besser, dann läuft das. – Vielmehr müssen wir die Länder konkret dabei unterstützen, wie sie ihre Gesundheitsämter vor Ort besser in die Lage versetzen, in epidemischen Lagen wie jetzt in der Coronapandemie Infektionsketten nachzuverfolgen.

Da ist ja schon viel auf den Weg gebracht worden. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass wir SORMAS@DEMIS, also das Melde- und Informationssystem, flächendeckend schon viel, viel schneller etabliert hätten. Wenn man schaut, dass in Afrika, im Kongo und in Nigeria, SORMAS bereits flächendeckend läuft, dass also in afrikanischen Staaten Systeme genutzt werden, die wir in Deutschland entwickelt haben – das System ist ja nicht vom Himmel gefallen: SORMAS ist ja vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig entwickelt worden –, dann ist es natürlich nicht schön, dass wir jetzt noch darüber diskutieren, ob alle öffentlichen Gesundheitsämter dieses System nutzen.

Ich bin froh, dass mittlerweile 375 Gesundheitsämter dieses System zumindest für die Meldung nutzen können, die Hälfte auch schon angeschlossen ist. Den Weg sollten wir weitergehen. Dann sind wir auf dem richtigen Weg.

Weil hier auch die Staatsministerin für Digitalisierung sitzt, will ich Folgendes ansprechen: Mich ärgert in der ganzen Diskussion immer, dass wir über Digitalisierung sehr abstrakt reden. Da wird dann gesagt: Ja, wir könnten mit Digitalisierung viel mehr erreichen. Wir müssten nur besser vernetzen. Wir müssten die Institutionen, die Akteure in die Lage versetzen, über Datennutzung, über Datenaustausch auch schneller auf neue Situationen zu reagieren. – Und genau da hakt es ja häufig.

Wir haben das Problem, dass wir grundsätzlich immer sagen: Ja, Digitalisierung ist gut. – Aber wenn es dann konkret wird, reden wir alles schlecht. Da werden dann Probleme aufgezeigt. Da werden Risiken aufgezeigt. Da wird nie chancengetrieben diskutiert. Insofern, glaube ich, stellt die Pandemie auch eine Chance dar. Ich wünsche mir, dass wir viel, viel offener über Ideen, über Möglichkeiten, gerade auch über digitale Möglichkeiten sprechen.

Wir müssen auch darüber sprechen, inwieweit vielleicht in dem einen oder anderen Bereich mehr Pragmatismus Einzug halten muss, etwa bei der Abwägung, welche potenziellen Möglichkeiten uns auch eine bessere Datennutzung eröffnet. Insofern sollten wir in der Debatte auch bei der Frage „Wie können wir den Öffentlichen Gesundheitsdienst verbessern?“ nicht ausschließlich über Geld reden.

Vizepräsident in Dagmar Ziegler:

Herr Abgeordneter, lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu?

Tino Sorge (CDU/CSU):

Wenn Sie so nett fragen: Sehr gerne, Frau Präsidentin.

Vizepräsident in Dagmar Ziegler:

Vielen Dank. – Die Abgeordnete Christmann hat das Wort.

Dr. Anna Christmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Herr Kollege, Sie haben so schön über Digitalisierung und ihre Möglichkeiten im Bereich der Gesundheit gesprochen; das treibt uns ja derzeit alle um. Wenn Sie aber sagen, wir sollten da mehr über die Chancen sprechen, irritiert mich das etwas.

Denn ich glaube: Über die Chancen der Corona-Warn-App, zum Beispiel durch die Ergänzung einer Clustererkennung, über die Chancen der Digitalisierung der Gesundheitsämter sind wir ja seit letztem Sommer im Gespräch. Dann gab es ein Hackathon, wo mehrere Lösungen für Gesundheitsämter und andere Sachen vorgeschlagen worden sind.

All diese Dinge sind doch aus meiner Sicht von der Regierung nicht zügig umgesetzt worden. Es ist ja nicht so, dass nicht alle diese Chancen sehen und auch einfordern würden, sondern es mangelt doch an der Umsetzung.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das würde ich dem gern entgegensetzen, wenn Sie hier für mehr Begeisterung geworben haben. Wir sind alle begeistert. Aber wann geht es denn los?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Tino Sorge (CDU/CSU):

Liebe Frau Kollegin Dr. Christmann, wir haben ja das Thema in der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ hoch und runter diskutiert. Ich glaube, wir beide sind uns da noch einiger, als das vielleicht die Fraktionen in Gänze sind. Es ein sehr schönes Stichwort, dass Sie die Corona-Warn-App ansprechen.

Ich kann mich daran erinnern, dass wir in Deutschland wirklich wochenlang hoch und runter diskutiert haben, ob man so eine App überhaupt machen soll, ob Bundesgesundheitsminister Jens Spahn da nicht wieder zu forsch ist, ob er nicht einfach vorprescht.

(Alexander Krauß [CDU/CSU]: Die größten Bedenkenträger waren bei den Grünen!)

Da sind Datenschutzbedenken angeführt worden. Wir reden hier, wie gesagt, über eine Tracing-App. Da wurde so getan, als würden die Leute ständig überwacht werden. Das ist genau der Punkt: Wir sprechen über innovative Ideen, aber die werden dann immer kaputtgeredet.

(Beifall des Abg. Alexander Krauß [CDU/CSU])

Das ist ja nicht nur bei der Corona-Warn-App so. Das ist ja bei der Telematikinfrastruktur im Gesundheitswesen genau dasselbe Spiel gewesen. Ich kann mich daran erinnern, dass wir beim DVG, dem Digitale-Versorgung-Gesetz, darüber gesprochen haben, ob wir im Rahmen des Forschungsdatenzentrums, also da, wo die Daten gesammelt werden, überhaupt eine Antragsbefugnis für Gesundheitsunternehmen, also für private Unternehmen, etablieren sollten, damit die Daten dort für Forschung auch genutzt werden können.

Da kann ich mich sehr genau daran erinnern, dass Ihre Fraktion – ich will jetzt konkret keine Namen nennen, kann ich aber gern nachreichen –

(Alexander Krauß [CDU/CSU]: So ist es!)

einen Popanz aufgebaut und so getan hat, als würden jetzt alle Patienten gläsern werden, als würde man von jedem die Privatdaten, Klarnamen und was auch immer abgreifen wollen.

Genau das ist der Punkt: dass Sie über Digitalisierung immer schön blumig erzählen, aber dann, wenn es konkret wird, wenn wir als Parlament, als Regierungsfraktion, als Bundesregierung, als Bundesgesundheitsministerium agieren, dann ist immer alles schlecht, dann ist alles böse. Oder wahlweise heißt es: Es ist mit der Gießkanne gemacht. – Also, da müssten Sie sich langsam mal entscheiden. Dann würde uns das auch konstruktiv helfen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Präsidentin, ich habe jetzt noch eine Sekunde Redezeit. Aber wenn Frau Klein-Schmeink, die sich gerade meldet, eine Frage stellen will, lasse ich diese gerne zu.

Vizepräsident in Dagmar Ziegler:

Sprechen Sie.

Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Darauf muss ich natürlich eingehen, weil Sie mich ja indirekt angesprochen haben. – Sie wiederholen hier etwas, was in der Sache überhaupt nicht zutrifft: Nicht der Datenschutz ist dafür verantwortlich, dass die Corona-Warn-App ihr Potenzial nicht so ausschöpfen kann, wie es eigentlich nötig wäre, oder dass wir hier mit der Forschung und dem Auswerten von Gesundheitsdaten für die Forschung nicht vorankommen, sondern das hat damit zu tun, dass die Voraussetzungen dafür nicht passend geschaffen werden.

Wenn ich Sie mal fragen darf: Nennen Sie uns doch mal das Datum, wann die Clustererkennung für die Corona-Warn-App endlich funktionsfähig sein wird, nachdem das schon seit Oktober im Gespräch ist und ganz konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Tino Sorge (CDU/CSU):

Also, ich finde es sehr interessant, dass da offenkundig auch bei Ihnen eine sehr einseitige Betrachtungsweise vorherrscht. Da wird, weil das Thema Corona-Warn-App explizit angesprochen wurde, immer so getan, als sei man sich einig, als könnten wir sofort loslegen. Das Problem ist eben nur: Wenn wir dann loslegen, dann kommen zusätzliche Bedenken.

(Alexander Krauß [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich sage auch: Bei der Frage, wie wir solche Apps oder wie wir innovative Ideen für das Gesundheitssystem überhaupt erst mal zum Laufen bringen, haben wir ja ständig die Diskussion, inwieweit man da überhaupt Akteure einbeziehen kann. Sie sind ja meistens ganz weit vorneweg und sagen: Wir müssen mehr digitalisieren. – Wenn es dann aber darum geht, Innovation im System zu ermöglichen, dann sind Sie die Ersten, die bremsen, weil Sie sagen:

(Alexander Krauß [CDU/CSU]: So ist es!)

Da dürfen Private nicht ins System rein. Da müssen hohe Hürden aufgebaut werden.

Ich weiß jetzt nicht, wie viel Redezeit ich habe.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber ich könnte jetzt hier stundenlang auch über das Agieren des BfDI, des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, sprechen, der ja teilweise ein sehr ambivalentes Verhältnis zu bestimmten digitalen Lösungen hat. Wir in Deutschland meinen: Immer dann, wenn eine staatliche Lösung angeboten wird, müssen wir diese staatliche Lösung 150-prozentig machen. Diese ist am Schluss so unpraktikabel, dass sie überhaupt nicht mehr funktioniert. Danach wird dann kritisiert, dass sie nicht funktioniert. Dann ist irgendwas verkehrt. Also, da sollten Sie sich mal überlegen, wie Sie da argumentieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident in Dagmar Ziegler:

Damit ist die Frage von Frau Klein-Schmeink von Bündnis 90/Die Grünen beantwortet. Sie haben noch wenige Sekunden zu einem wunderbaren Schlusswort.

Tino Sorge (CDU/CSU):

Herr von Notz hat sich gemeldet.

Vizepräsident in Dagmar Ziegler:

Nein, die Zeit ist abgelaufen. Ich lasse jetzt auch keine Zwischenfragen mehr zu.

Tino Sorge (CDU/CSU):

Ich würde die Frage gerne zulassen, lieber Konstantin von Notz. Ich kann die Frage sicherlich noch im Anschluss hoffentlich zufriedenstellend klären.

Ich darf mich für die Aufmerksamkeit bedanken. Ich freue mich auf die Diskussionen im Ausschuss. Ich freue mich auf die Beratungen und darauf, dass wir in der Digitalisierung und bei der Bekämpfung des Coronavirus, der Ausstattung und der Verbesserung der öffentlichen Gesundheitsämter schnell und gut vorankommen. In diesem Sinne: gute Diskussion!

(Beifall bei der CDU/CSU)