Skip to main content

Nadine Schön: Wir brauchen beim Wiedereinstieg einen stärkeren Blick auf Kinder

Rede zum Schutz der Rechte von Kindern in der Corona-Krise

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Krise sind viele im Licht der Öffentlichkeit: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Politikerinnen und Politiker, Pflegekräfte. Und gerade Letztere sind ja zu Recht endlich im Licht der Öffentlichkeit. Aber die Kinder waren in den letzten Wochen viel zu selten im Blick der Gesellschaft und der Öffentlichkeit. Dabei haben auch sie wirklich viele Herausforderungen zu meistern. Seit acht Wochen – Katja Dörner hat es gesagt – ist für sie nichts mehr, wie es war. Sie müssen mit einer völlig neuen Situation klarkommen, können ihre Freunde und Großeltern nicht treffen. Und viele Familien berichten, dass die Kinder nicht selten zwischen Homeoffice, Homeschooling und Kinderbetreuung zu kurz kommen. In einigen Familien – und das ist besonders schlimm – kommt es auch zu Gewalt und Missbrauch.

Wir müssen uns also fragen: Was macht die Krise mit unseren Kindern, und wie können wir bei der Rückkehr zur Normalität, die wir ja gerade gestalten, die Kinder besser in den Blick nehmen? Was die Gewalt gegen Kinder und den Missbrauch angeht, brauchen wir eine Kultur des Hinschauens. Hier kann und hier muss jeder helfen, Familien unterstützen und bei Anzeichen von Gewalt oder Missbrauch auch einschreiten, Anzeige erstatten, die Polizei oder das Jugendamt informieren.

Kommunen bemühen sich, die Familienhilfe, so gut es geht, auch in Krisenzeiten aufrechtzuerhalten. Frau Dörner, Sie haben gesagt, wir müssten die Hilfetelefone stärken. Wir haben dafür gesorgt, dass die Hilfetelefone trotz Krise uneingeschränkt funktionsfähig waren. Sie haben funktioniert. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hilfetelefone haben alles gegeben, damit die Beratungsangebote weiterhin zur Verfügung stehen. Das gilt für das Hilfetelefon „Sexueller Missbrauch“, für das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, für die Nummer gegen Kummer. Deshalb an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an diejenigen, die diese Infrastruktur aufrechterhalten haben und den Familien geholfen haben, die es besonders schwer haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Florian Toncar [FDP])

Wir brauchen beim Wiedereinstieg einen stärkeren Blick auf Kinder. Das heißt etwa, dass es beim Anspruch auf Notbetreuung, die jetzt ausgeweitet wird, nicht nur darum gehen kann, wer wieder arbeiten gehen muss. Vielmehr müssen wir auch soziale und pädagogische Aspekte in den Blick nehmen. Glücklicherweise wird das ja auch in den meisten Ländern so gemacht.

Das heißt aber auch, dass die Notbetreuung selbst kindgerecht gestaltet werden muss. Abstandsregeln im Kindergarten – das ist völlig illusorisch. Auch hier gilt es, die Kinder in den Blick zu nehmen und ihnen eine möglichst unbeschwerte Zeit zu ermöglichen.

Beim Neustart in den Schulen kann es nicht nur darum gehen, dass jetzt ganz schnell der Unterrichtsstoff wieder aufgeholt wird. Es muss auch möglich sein, mit den Kindern diese Krisenzeit aufzuarbeiten und zu besprechen, was das psychologisch mit ihnen gemacht hat, wie sie die Zeit erlebt haben, was sie erfahren haben, wie sie sich die Krise und wie sie sich Corona vorstellen. Denn ehrlicherweise ist die Komplexität für uns Erwachsene ja schon kaum zu verstehen. Die virologischen, die ökonomischen, die gesellschaftlichen Zusammenhänge sind so komplex – wie muss das für Kinder sein? Deshalb brauchen wir in Schulen auch die Zeit und die Hinwendung, um uns auf diesen Ebenen mit den Kindern zu beschäftigen.

Vor allem – und das ist mir besonders wichtig – müssen wir, wenn wir jetzt darüber nachdenken, was wir denn tun, damit unser Land wieder auf die Beine kommt, auch die Sicht der Kinder berücksichtigen. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Was sind die Maßnahmen, die wir ergreifen müssen, damit unser Land gestärkt aus dieser Krise hervorgeht? Dann kann es nicht allein damit getan sein, dass wir kurzfristige Kaufanreize schaffen und kurzfristig die Konjunktur ankurbeln. Nein, wir müssen dafür sorgen, dass unser Land mittelfristig und langfristig besser wird, dass wir den innovativen Kräften, die wir in unserem Land haben, helfen, zur Geltung zu kommen, dass wir innovativen Start-ups helfen, ihre Geschäftsmodelle zu verwirklichen. Wir müssen die eigenen staatlichen Strukturen anpacken; denn wir haben gesehen, dass wir hier viel zu komplex, viel zu bürokratisch und viel zu langsam sind.

Wenn wir uns im weltweiten Spiel der Kräfte zwischen USA und China bewegen, dann sehen wir doch, dass in unserem Land ganz vieles geändert werden muss, wenn wir wollen, dass auch unsere Kinder hier noch in dem Wohlstand leben, in dem wir zurzeit leben und der es uns ermöglicht hat, die Krise so gut zu bewerkstelligen. Deshalb ist mein Appell, dass wir nicht nur auf das Hier und Jetzt schauen, sondern uns vor allem anschauen: Was ist unsere Verantwortung? Was müssen wir jetzt tatsächlich ändern, damit es den Kindern in 10, 15, 20, 30 Jahren, dann, wenn sie groß und berufstätig sind, gut geht und sie in einem Land voller Wohlstand leben?

Ich will, dass meine Kinder, die jetzt vier und fünf Jahre alt sind, wenn sie in einigen Jahren auf das zurückschauen, was wir jetzt gemacht haben, sagen: Ihr habt nicht nur kurzfristig agiert, sondern ihr habt nach der Krise, als plötzlich alles anders war, innegehalten und überlegt, was man tun kann, um das Land nachhaltig zu gestalten und zu verbessern. – Ich will, dass ihre Bilanz ist: Ihr habt die richtigen Entscheidungen getroffen.

Das ist Politik aus Sicht der Kinder, jetzt beim Wiedereinstieg, aber auch lang- und mittelfristig. Deshalb ist es gut, dass wir heute eine ganze Stunde genau darüber diskutieren, dass wir die Kinder in den Blick nehmen, dass wir ihre Perspektive einnehmen. Das sollte uns in den nächsten Wochen bei unseren Entscheidungen tragen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)