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Jana Schimke: "Niemand muss heute mehr arbeitslos sein"

Sanktionen bei Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen der Linken, ich frage mich manchmal schon, in welcher Welt Sie leben. Das ist nicht wirklich meine Welt, und das ist auch nicht die Lebenswirklichkeit und Realität, die ich erlebe.

Ich bin selbstverständlich oft in den Jobcentern vor Ort und treffe mich mit den Mitarbeitern im geschlossenen Raum – ohne Öffentlichkeit und ohne Presse. Das, was man dort erfährt, ist das, was vor Ort wirklich los ist.

Der Arbeitsvermittler wird mehr und mehr zum Sozialarbeiter, weil es unter den Kunden natürlich Langzeitarbeitslose gibt, die einen unglaublich hohen Betreuungsbedarf haben. Wir alle wissen, wie schwer es ist, sie in Arbeit zu bringen; wir arbeiten ja seit vielen Jahren daran. Auf meine Frage, wie viele aus dieser Gruppe tatsächlich auch eigenständig aktiv nach einer Arbeit suchen, lautete die Antwort: Leider nur 10 Prozent. Nicht nur das ist ein Argument, warum wir auch Sanktionen brauchen.

Wir haben es in diesem Beschäftigtenbereich, im Bereich der Arbeitsagenturen, der Jobcenter, mehr und mehr auch mit Gewalt zu tun. Wir müssen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schützen.

In meinem Wahlkreis, in dem ich unterwegs bin – nur davon kann ich hier als Abgeordnete ja immer sprechen –, hat man sich entschieden, eine härtere Gangart an den Tag zu legen. Die Sanktionsquote beträgt bei mir eben nicht nur 3 Prozent, wie wir das in diesen schönen Studien überall nachlesen können. Nein, sie liegt bei uns im SGB-II-Bereich bei 10 bis 15 Prozent. Im SGB-III-Bereich ist sie sogar noch höher, weil es in unserer Gesellschaft offensichtlich mitunter die Annahme gibt: Na ja, ich kann mich jetzt zur Ruhe setzen. – Aber das ist eine fatale Entwicklung. Wenn man daran interessiert ist, dass die Menschen in Arbeit kommen, dass sie für eine gute Altersversorgung sparen, dann kommt es eben genau darauf an, dass sie schnell wieder in den Job kommen und sich eben nicht ausruhen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte noch etwas sagen: Niemand muss heute mehr arbeitslos sein. Wenn Sie eine qualifizierte Fachkraft sind, dann bekommen Sie von der Arbeitsagentur innerhalb einer Woche – ich gucke noch einmal auf meinen Zettel – 60 bis 80 Vermittlungsvorschläge;

(Zurufe von Abgeordneten der LINKEN)

so ist es zumindest bei uns. Es ist auch unrealistisch, nach zehn Jahren Arbeitslosigkeit zu seinem Vermittler zu sagen: Ich möchte aber bitte 12 bis 14 Euro Stundenlohn haben. – Das ist einfach unrealistisch, das funktioniert nicht. Wir müssen zu den Menschen immer ehrlich sein, damit sie wissen, was sie mit ihrem Verhalten bewirken und wo die Chancen und der richtige Weg liegen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sanktionen sind gerechtfertigt. Wir leben in einem Staat, in dem wir dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe folgen.

(Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Eben nicht!)

Wir berufen uns auf Leistungen der Solidargemeinschaft. Das, was unsere Leistungsempfänger bekommen, wird von anderen in die Sozialkassen eingezahlt. Unsere Aufgabe als Deutscher Bundestag ist es, in Deutschland eine Akzeptanz für diese sozialen Leistungen zu schaffen, dafür einzustehen, dass dafür jeden Monat etwas vom Gehalt abgezogen wird.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die 45 Jahre alte Schlecker-Verkäuferin hat 30 Jahre eingezahlt und wird mit Almosen abgespeist!)

Wenn wir das machten, was Sie wollen, dann führte das dazu, dass uns die Menschen an den Stammtischen gegenüberträten und kein Verständnis mehr dafür hätten, für andere einzutreten und für andere Sozialbeiträge zu zahlen.

Noch ein Wort zu Jugendlichen. Gerade bei Jugendlichen ist es wichtig, streng zu sein. Ich weiß nicht, Frau Kipping, wie Sie Ihre Kinder erziehen. Aber Konsequenzen und Sanktionen gehören nun einmal dazu, gerade bei jungen Menschen. Das ist wichtig.

(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Pädagogik! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Reden wir über Zwangsarbeit, oder was?)

Es gibt für einen jungen Menschen nichts Schlimmeres, als ohne Konsequenzen für sein Handeln aufzuwachsen, als sein ganzes Leben lang – das ist natürlich auch familiären Umständen geschuldet – in einem Haushalt im Sozialbezug zu leben. Das ist nicht gut. Auch deswegen müssen wir die entsprechenden Sanktionsmöglichkeiten nutzen.

Arbeit ist – davon bin ich fest überzeugt – natürlich auch sinnstiftend; das sage ich in diesem Hause immer wieder. Wenn jemand eine Tätigkeit ausübt, in dem die Arbeitsbedingungen nicht optimal sind, dann gibt unser gesetzliches Regelwerk alle Möglichkeiten her, dagegen vorzugehen.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber nicht über Sanktionen!)

Es gibt also keinen Grund, Sanktionen aufzuheben.

Ich bin der Auffassung, dass wir in Deutschland über ein sehr gutes Arbeitsvermittlungsinstrument und -system verfügen. Was wir brauchen, ist mehr Personal in den Jobcentern,

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um mehr Sanktionen durchführen zu können?)

um das Missverhältnis in der Arbeit der Mitarbeiter – die Hälfte der Arbeitszeit benötigt ein Mitarbeiter zum Beispiel für die Bearbeitung von Widersprüchen oder für Auseinandersetzungen mit den Gerichten – auszugleichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich bin immer an einer sachlichen Auseinandersetzung mit Ihnen interessiert. Aber wer im 21. Jahrhundert, 27 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, in einem System der sozialen Marktwirtschaft noch von einem „kapitalistischen Wirtschaftssystem“ spricht, von der „Hinnahme quasi jedweder Arbeitsbedingungen“ und dem „Mangel an Arbeitsplätzen“, den kann ich beim besten Willen nicht ernst nehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)