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Dr. Silke Launert: "Wir müssen immer weiter kämpfen"

Rede zum Internationalen Frauentag

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! „Halt deinen Mund!“, „Stell dich nicht so an!“, „Du bist es nicht wert!“ – Sätze, die ein Schlag ins Gesicht sind. Sätze, die tiefe Wunden hinterlassen. Sätze, die sich Millionen von Frauen anhören müssen.

Auch im Jahr 2020, also mehr als 100 Jahre nach der Einführung des Weltfrauentags, werden Frauen auf der ganzen Welt noch zu Opfern von Diskriminierung, Gewalt und Unterdrückung.

Ein grausames Beispiel in diesem Zusammenhang ist die weibliche Genitalverstümmelung. Wir sprechen über den Weltfrauentag, und in diesem Zusammenhang muss man alle Benachteiligungen und Grausamkeiten gegenüber Frauen ansprechen. Ich erwähne sie deshalb als Erstes, weil wir in dieser Woche im Familienausschuss einen einstündigen Fachvortrag dazu gehört und ein Gespräch darüber geführt haben, und ich glaube, alle Anwesenden hat das tief berührt. Auch meine beiden Praktikantinnen haben sehr viel aus diesem Gespräch mitgenommen.

200 Millionen Frauen und Mädchen sind beschnitten. 98 Prozent der Mädchen und Frauen in Somalia sowie 87 Prozent der Mädchen und Frauen in Ägypten – das sind nur einige Zahlen – sind Opfer dieser grausamen Praktik geworden, einer Praktik, die zu unfassbar starken körperlichen Schmerzen und lebenslangen Beeinträchtigungen führt, einer Praktik, die neben den psychischen Wunden auch tiefe seelische Spuren hinterlässt: posttraumatische Belastungsstörungen, Angststörungen, Depressionen. Obwohl Beschneidungen in den meisten dieser Länder übrigens verboten sind, tun das die meisten – auch Mütter – ihren Töchtern an. Warum? Weil eine nicht beschnittene Frau als unrein gilt und sie meinen, dass ihre Töchter in der Gesellschaft sonst keine Chance hätten.

Ein weiteres Beispiel, eine weitere Zahl: 34 Millionen Mädchen im Grundschulalter gehen nicht in die Grundschule. 34 Millionen Mädchen haben also keine Chance auf Bildung, keine Chance auf ein besseres Leben, keine Chance, als Frau selbstbestimmt leben zu können – also: Leben in Armut oder Abhängigkeit.

Eine weitere grausame Realität: Zwangsehen. 650 Millionen Mädchen und Frauen wurden vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet. Das Kinderhilfswerk UNICEF schätzt, dass jedes Jahr rund 12 Millionen Mädchen zu einer Zwangsehe gezwungen werden. Man muss sich mal in die Lage dieser Mädchen hineinversetzen! Diese Mädchen leben in dieser Welt. Mit 12 oder 13 Jahren werden sie verheiratet – und wenn sie Pech haben, mit einem 70-Jährigen. Stellen Sie sich das einfach einmal vor! Das passiert in anderen Teilen der Welt.

Gewalt, in welcher Form auch immer, ist ein weiteres Thema, das Millionen von Frauen betrifft. Jede dritte Frau weltweit ist laut Expertenschätzungen schon mal Opfer von Gewalt geworden. Das erleben wir auch hierzulande, und zwar in allen Schichten und Altersgruppen. 81,3 Prozent der registrierten Opfer von versuchter oder vollendeter Gewalt waren Frauen, also mehr als vier Fünftel. In dem Deliktsbereich „Vergewaltigungen, sexuelle Übergriffe und sexuelle Nötigungen in Partnerschaften“ liegt dieser Anteil sogar bei 98,4 Prozent. – Das sind jetzt nur Zahlen.

Wir haben es schon gehört: An jedem dritten Tag wird eine Frau von ihrem Partner in Deutschland getötet. Die Dunkelziffer ist weitaus höher.

Der Kampf gegen die Gewalt gegenüber Frauen ist noch lange nicht gewonnen – an keinem Ort der Welt. Jetzt könnte man verzweifeln und sagen: Wir schaffen ja eh nichts; wir bewirken eh nichts. Was wollen wir denn machen? Jedes Jahr halten wir hier schöne Reden – immer wieder ähnliche –, und es passiert nichts. – Ganz ehrlich: Wir können und dürfen uns nicht aus der Verantwortung ziehen.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Frau Launert, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

 

Dr. Silke Launert (CDU/CSU):

Das können wir danach machen.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Also keine Zwischenfrage. Danke. – Die Redner können grundsätzlich nicht entscheiden, dass es nach Reden Zwischenbemerkungen gibt, und nach Schluss dieser Debatte wird es auch keine Zwischenbemerkungen mehr geben. – Sie gestatten jedenfalls keine Zwischenfrage.

 

Dr. Silke Launert (CDU/CSU):

Man muss aber auch sehen – jetzt mal ein bisschen positiver –, was wir alles schon bewegt haben. Man kann sich das nicht vorstellen, aber bis zum Jahr 1958 konnte eine Frau ohne Einwilligung des Mannes auch in Deutschland noch kein Konto eröffnen. Bis 1977 durfte eine Frau ohne die Erlaubnis des Mannes noch nicht arbeiten. Das sind doch Signale. Die Vergewaltigung in der Ehe ist inzwischen strafbar. „Nein heißt Nein“. Ich weiß, dass das in der Praxis für die Staatsanwaltskollegen ganz große Herausforderungen mit sich bringt. In der Sache ist das aber genau richtig.

Prostituiertenschutzgesetz, Verbot von Kinderehen: Wir haben in diesem Bereich in den letzten Jahren Fortschritte gemacht. Mehr Mädchen den Zugang zur Bildung ermöglichen: Hier haben wir inzwischen auch weltweit Fortschritte gemacht. Um 15 Prozent ist die Quote der Mädchen gesunken, die eine Zwangsehe eingehen müssen. Wir haben also auch weltweit eine Verbesserung erreicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir dürfen nicht wegsehen. Und eines muss klar sein: Wir müssen immer weiter kämpfen; denn es darf nicht sein, dass sich auch nur eine Frau auf dieser Welt noch den Satz „Du bist es nicht wert“ anhören muss.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der AfD und der FDP)