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Dr. Silke Launert: "Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ist Aufgabe des Staates"

Rede zu Gewalt an Frauen und Mädchen

„Du bist doch selbst schuld.“ – „Du hast es nicht besser verdient.“ – „Dir wird doch eh keiner glauben.“ – „Egal, wohin du gehst, ich werde dich finden.“ – Sätze, die unzählige Frauen in Deutschland jeden Tag hören müssen. Sätze, die Angst auslösen sollen und dies auch tun. Gewalt gegen Frauen und Mädchen, meine Damen und Herren, ist kein Randthema. Sie ist traurige Realität und Bestandteil unserer Gesellschaft. Physisch oder psychisch, im öffentlichen Raum oder hinter der verschlossenen Haustür, Gewalt gegen Frauen hat viele verschiedene Gesichter und kleidet sich in die unterschiedlichsten Gewänder.

Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ist Aufgabe des Staates. Nicht nur aufgrund des verfassungsrechtlich verankerten Schutzauftrages, auch aus unserer ethisch-moralischen Grundhaltung heraus sind wir dazu verpflichtet, uns schützend vor die Schutzlosen zu stellen.

Unzweifelhaft gibt es für uns noch einiges zu tun: Für die noch vor uns liegende Wegstrecke kann es uns aber durchaus Mut machen, wenn wir uns anschauen, was wir bislang schon für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen erreicht haben:

  • Ende der 1990er-Jahre wurde die Vergewaltigung in der Ehe eine Straftat. Dass bis zu diesem Zeitpunkt sexualisierte Gewalt in der Ehe lediglich als „schwere Nötigung“ oder „Körperverletzung“ zur Anzeige ge- bracht werden konnte, erscheint uns heute kaum mehr vorstellbar. Vollkommen zu Recht wird dieses Ereignis daher als „Meilenstein“ bezeichnet.

  • Anfang der 2000er-Jahre wurde das Gewaltschutzgesetz eingeführt. „Wer schlägt, muss gehen – das Opfer bleibt in der Wohnung“ lautet der Kerngedanke dieses wegweisenden Gesetzes.
  • Seit Ende 2016 gilt im Deutschen Strafrecht der Grundsatz „Nein heißt Nein“. Danach macht sich nicht nur strafbar, wer sexuelle Handlungen mit Gewalt oder Gewaltandrohung erzwingt – es reicht aus, wenn sich der Täter über den „erkennbaren Willen“ des Opfers hinwegsetzt.
  • Auch das „Grapschen“ und Angriffe aus Gruppen sind nun als strafbares Verhalten zu qualifizieren.
  • Besonders erwähnen möchte ich zudem die Einrichtung des bundesweiten Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“. Unter der Rufnummer 08000 116 016 erhal- ten von Gewalt betroffene Frauen rund um die Uhr, kostenlos und anonym in 17 Sprachen Hilfe.
  • Einen weiteren Meilenstein haben wir auch im Bereich des „Stalkings“ erreicht: Opfer werden nun deutlich besser geschützt: Es ist nicht mehr erforderlich, dass das Opfer auch tatsächlich umzieht oder vergleichbar auf das Stalking reagiert. Ausreichend ist nunmehr, dass die Handlungen des Täters objektiv dazu geeignet sind, die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend zu beeinträchtigen.

In dieser Legislaturperiode legen wir einen besonderen Fokus auf die Förderung von Frauenhäusern: Wir haben dementsprechend ein Aktionsprogramm zur Prävention und Unterstützung von Gewalt betroffener Frauen und ihrer Kinder und zur Verbesserung der Hilfestrukturen aufgelegt.

Das Bundesförderprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“, welches einen zentralen Bestandteil des Aktionsprogrammes bildet, besteht seinerseits sowohl aus einem Investitionsprogramm zur Förderung von Bau- vorhaben als auch aus einem Innovationsprogramm.

Bereits Anfang kommenden Jahres soll das Bundesinvestitionsprogramm anlaufen – vorbehaltlich der Entscheidung des Bundeshaushaltsgesetzgebers –, und zwar mit 30 Millionen Euro allein in 2020.

Aus-, Um- und Neubau: All das kostet Geld, und genau hierfür soll auch Geld da sein. Gefördert werden soll unter anderem die Schaffung von Barrierefreiheit in Frauen- häusern, aber auch innovative Wohnformen – insbesondere solche mit Angeboten für Frauen mit Kindern – sollen Gelder erhalten. Denn nicht selten sind betroffene Frauen auch Mütter und fragen sich: Was passiert mit meinen Kindern, wenn ich meinen Partner verlasse und aus dem gemeinsamen Zuhause ausziehe? – Diese Gruppe von betroffenen Frauen werden wir mit dem Förderprogramm ganz besonders in den Blick nehmen.

Sie sehen, meine Damen und Herren, die Stärkung von Frauenhäusern ist uns ein wirkliches Herzensanliegen, und das vollkommen zu Recht.

Aber nicht nur die Frauenhäuser, auch die ambulanten Hilfs- und Betreuungseinrichtungen sind unverzichtbar, wenn wir den Kampf gegen Gewalt an Frauen gewinnen wollen. Mit ihrem niedrigschwelligen Angebot erreichen sie auch diejenigen Frauen, für die der Gang in ein Frauenhaus zunächst nicht denkbar erscheint. Denn oftmals ist gerade der „erste Schritt“ in das Hilfesystem für die Frauen besonders schwer. Unter anderem an diesen Punkt knüpft das Bundesinvestitionsprogramm an. Hier- für haben wir 6 Millionen Euro in 2019 zur Verfügung gestellt. Das Programm ist dieses Jahr angelaufen und fördert zum Beispiel innovative Ansätze, die den Weg in das Hilfesystem erleichtern sollen.

Mit dem Projekt „Schutz und Hilfe bei häuslicher Gewalt“ unterstützt der Bund darüber hinaus die Entwicklung eines interdisziplinären Online-Kurses für alle Fach- kräfte, die mit gewaltbetroffenen Frauen in Kontakt kommen.

Aber auch damit nicht genug: Bereits Ende dieses Monats werden wir ein weiteres wichtiges Zeichen setzen: Am 25. November startet eine bundesweite Kampagne, welche das Thema „Gewalt gegen Frauen“ stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rücken soll. Bestehende Hilfsangebote sollen hierdurch bekannter werden. Jedem Einzelnen sollen die erforderlichen Grundkenntnisse vermittelt werden, um Gewalt gegen Frauen zu erkennen und entsprechende Hilfe leisten zu können.

Sie sehen, wir ruhen uns auf dem bereits Geleisteten nicht aus, sondern kämpfen unermüdlich weiter.

Lassen Sie uns jetzt aber noch einmal gemeinsam einen genaueren Blick auf den Antrag werfen, den wir hier heute vorliegen haben. In diesem Antrag fordern die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke unter anderem eine externe und unabhängige Forschungsstelle zur Erfassung von Daten zu Gewalt an Frauen und Mädchen.

Wenn Sie sich jedoch die Polizeiliche Kriminalstatistik anschauen, so muss Ihnen auffallen, dass bereits eine umfassende Datenerhebung existiert. Nicht nur verschiedenen Gewaltdelikte werden einzeln aufgeführt, auch eine Darstellung der Opfer nach Geschlecht und Alter wie auch eine Darstellung der Täter-Opfer-Beziehung lassen sich dort finden: Wurde das jeweilige Delikt in einer Ehe, Partnerschaft oder Familie begangen? Handelte es sich um eine informelle soziale Beziehung zwischen Täter und Opfer oder aber um eine formelle soziale Beziehung in einer Institution? Alle diese Fragen werden in der PKS bereits beantwortet (PKS-Jahrbuch 2018, Band 2, Seite 26).

Zum Schluss, meine Damen und Herren, möchte ich noch einen Punkt hervorheben: Um erfolgreich zu sein, ist es unverzichtbar, dass wirklich alle mitziehen: Der Bund, aber auch die Länder und die Kommunen. Nur wenn jeder seinen Teil der Hausaufgaben erledigt, können wir am Ende ein gutes Resultat erzielen. An dieser Stelle spreche ich auch als stellvertretendes Mitglied des Haushaltsausschusses sowie als Mitglied des Rechnungsprüfungsausschusses: Der Bund kann nicht immer in die Bresche springen. Auch wenn es nicht angenehm sein mag: Auf diesen Punkt hinzuweisen, gehört nun einmal ebenfalls zu unseren Aufgaben als Bundestagsabgeordnete.

Wenn nun aber tatsächlich alle mitziehen, bin ich sehr zuversichtlich, dass wir die Situation von gewaltbetroffenen Frauen und Mädchen weiter verbessern werden und dafür sorgen können, dass sie Aussagen wie etwa „Du bist doch selbst schuld“ nicht mehr schweigend hinnehmen.