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Carsten Müller: "Das Parlament kontrolliert die Regierung, es ersetzt nicht die Regierung!"

Rede zur Stärkung des Parlaments in epidemischen Lagen

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich das Fazit meiner Rede gleich vorwegnehmen: Die FDP hätte bei ihrem Credo der momentanen Legislaturperiode bleiben sollen: besser kein Gesetzentwurf als ein grottenschlechter Gesetzentwurf. Dann wäre uns vieles erspart geblieben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Schon in Ihrer Grundannahme, die Ihrem Vorspann zu entnehmen ist, laufen Sie in die Irre. Ich zitiere:

Eine öffentliche Diskussion wie in einem Gesetzgebungsverfahren, in dem alle Positionen zu Wort kommen und Bedenken und Verbesserungsvorschläge vorgebracht werden können, findet nicht statt.

In der unmittelbar vorlaufenden Debatte rühmte sich Ihr Fraktionsvorsitzender, dass Sie in vielen Debatten irrsinnig gute Vorschläge eingebracht hätten. Da müssen Sie sich mal entscheiden: Gab es die Debatten, oder gab es sie nicht?

(Zuruf des Abg. Dr. Marco Buschmann [FDP])

Sie schreiben Unsinn, und diese Irreleitung erklärt auch Ihren abenteuerlichen Gesetzentwurf, meine Damen und Herren.

(Zuruf der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP])

Ich will Ihnen ein paar Beispiele geben: 435 Minuten – es ist genannt worden – diskutieren wir in dieser Woche über das Thema. Es gab 8 Aktuelle Stunden, 285 Anträge, mehr als 500 Kleine Anfragen, mehr als 1 500 schriftliche und 300 mündliche Fragen an die Bundesregierung, 6 Regierungserklärungen, 12 Regierungsbefragungen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein, das Parlament ist nicht beteiligt! Auf keinen Fall!)

Das Protokoll des Bundestages weist das Wort „Corona“ im letzten Jahr über 5 400-mal aus. Und – noch viel wichtiger – es gab 52 Gesetzgebungsverfahren, davon die meisten von der Koalition – sie sind auch die besten – sowie einige wenige von der Opposition, die keine Mehrheit gefunden haben. 52 Gesetzgebungsverfahren!

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So!)

In unterschiedlichen Ausschüssen und Expertenanhörungen wurde das Thema diskutiert.

Meine Damen und Herren, was mich besonders erschreckt: Ihre Ausführungen in Ihrem vorgelegten Gesetzentwurf – der passt übrigens auf eine DIN-A6-Seite in ausreichend großer Schrift –

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bierdeckel!)

sind nicht nur irreführend, sondern auch unredlich. Sie sind deswegen unredlich, weil sie ein bewusst falsches Bild zeichnen, und das kennt man eigentlich nur von Ihren Sitznachbarn zur Rechten. Sie stellen sich dort in eine Reihe.

(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Das ist ja das Letzte! – Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Rechts von uns sitzt die CDU/CSU!)

– Sie kommen ab und zu mal mit rechts und links durcheinander. – Richtig ist allerdings, dass in diesem Haus kein Thema so intensiv wie das Coronathema im vergangenen Jahr und wahrscheinlich in der gesamten Geschichte des Bundestages diskutiert worden ist. Meine Damen und Herren, ich finde es auch unredlich, dass Sie die Abstimmungen zwischen Bund und den Ländern kritisieren und diskreditieren wollen.

Meine Damen und Herren, auf Basis der jeweils von den Parlamenten im Bund und in den Ländern beschlossenen gesetzlichen Rahmen sind genau dort, wo die Exekutive zum Handeln beauftragt ist, die Maßnahmen eingeleitet und verabschiedet worden. Jede der einzelnen Entscheidungen ist parlamentarisch kontrolliert und legitimiert.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist wichtig!)

Wer etwas anderes behauptet – und das machen Sie –, legt die Axt an unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.

(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Das ist ja das Letzte! Hetzer!)

Meine Damen und Herren, Sie schreiben im Übrigen von bundeseinheitlichen Beschlüssen, die die Bundesregierung herbeizuführen beabsichtigt. Ich frage Sie: Was außer bundeseinheitlichen Beschlüssen soll die Bundesregierung denn sonst anstreben? Das zeigt schon mal, dass Sie sich auch in Ihren eigenen Texten vollkommen verheddert haben.

Meine Damen und Herren, ein Parlament muss nicht jeder Einzelmaßnahme der Exekutive, einer Regierung zustimmen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nennt man übrigens Gewaltenteilung!)

Die Kollegin der SPD hat es richtigerweise gesagt: In den Landesregierungen, in denen die FDP beteiligt ist – es ist zugegebenermaßen eine überschaubare Anzahl –, passiert das überhaupt nicht. Sie werden Ihren eigenen Ansprüchen überhaupt nicht gerecht. Meine Damen und Herren, wir haben den Gesetzentwurf sorgfältig gelesen.

(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Sie haben nicht zugehört! Lesen Sie mal Zeitung!)

Das ging ja relativ schnell; bei intensiver Befassung mit Ihrem Gesetzentwurf braucht man etwa 15 Sekunden, um ihn vollständig durchzulesen. Sie werden Ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Wir werden den Ansprüchen gerecht.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der FDP: Oh!)

Ein gutes Beispiel ist das Verfahren zum Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Nur am Rande – das ist einmal kurz erwähnt worden –: Sie wollten bereits feststellen lassen, dass es diese pandemische Lage nicht mehr gibt.

(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Im Sommer! Auf Basis der damaligen Fakten! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Überhaupt nicht gibt! Genau!)

Das zeigt: Sie sind staatsorganisatorisch und inhaltlich komplette Irrläufer. Erschreckend! Und, meine Damen und Herren, Ihnen ist offensichtlich – das wundert mich bei Ihnen, Dr. Buschmann – das Thema der Gewaltenteilung vollkommen abhandengekommen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich konzediere: Sie zeigen häufig eine ganz gute Präzision in Ihren Ausführungen. Davon ist bei Ihnen nichts mehr zu finden. Das Parlament kontrolliert die Regierung, es ersetzt nicht die Regierung!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist das!)

Ihrem Gesetzentwurf wohnt doch eines inne: der tiefe Schmerz, vor etwas über drei Jahren eine ähnlich irrsinnige Entscheidung getroffen zu haben wie mit diesem Gesetzentwurf, der heute zur Abstimmung steht.

(Zuruf der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP])

Meine Damen und Herren, ich will das Thema der Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung nicht noch ansprechen. Aber – das finde ich bemerkenswert – Sie erfreuen sich der Unterstützung der Linkspartei. Glückwunsch dazu! Sie sind endgültig in der politischen Candy-Crush-Liga angekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Muss man sich auch erst mal verdienen! – Jan Korte [DIE LINKE]: War nicht überzeugend!)