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Elisabeth Motschmann: Meinungsfreiheit und Pressefreiheit sind nicht verhandelbar in unserem Land

Rede zum Verhalten der Bundesregierung im Fall Deniz Yücel

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deniz Yücel ist frei, und darüber freuen wir uns ohne Wenn und Aber.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD)

Im letzten Jahr sagte Erdogan noch: Er wird niemals freigelassen. – Er ist frei. Angela Merkel hat sich bemüht. Der Außenminister hat sich bemüht. Das ist ihr Job. Sie hatten Erfolg. Dafür sagen wir Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er ist frei – und das, so Gabriel, ohne Verabredung, Gegenleistung oder Deals. Das ist wichtig.

Viele weitere deutsche und türkische Journalisten sind nach wie vor in Haft, sechs türkische Journalisten lebenslang. Das ist schlimm. Natürlich müssen wir uns um jeden Einzelnen kümmern und versuchen, für die Freiheit zu kämpfen.

Die AfD betont in ihrem Antrag, dass Deniz Yücel eine Vorzugsbehandlung bekommen habe; viermal taucht das auf.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das hat die Kanzlerin gesagt!)

Sie unterstellen, dass weniger prominente und öffentliche Fälle weniger intensiv behandelt werden. Falsch! Ich habe die Familie eines Inhaftierten persönlich betreut, den keiner kannte, ein Pilger, der an einem Friedensmarsch teilgenommen hat. Er ist frei – dank der Bemühungen der Bundesregierung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Also: Ihre Aussage stimmt nicht.

Alice Weidel kommentiert die Freilassung von Yücel – es wurde hier schon angesprochen; ich zitiere –:

… ein unser Land regelrecht hassender „Journalist“, der nicht nur einmal die Grenzen des guten Geschmacks verließ, sollte eigentlich keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Eine unglaubliche Äußerung, meine Damen und Herren!

(Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meinungsfreiheit und Pressefreiheit sind nicht verhandelbar in unserem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Das war Satire! Reine Satire war das!)

Sie sind vom Grundgesetz geschützt; das sollte Alice Weidel eigentlich wissen.

(Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])

Auch mir gefallen manche Positionen von Deniz Yücel überhaupt nicht. Dazu gehört, was er 2011/2012 in einer „taz“-Kolumne über den Geburtenschwund geschrieben hat. Aber das kann doch niemals ein Grund dafür sein, seine deutsche Staatsbürgerschaft infrage zu stellen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Welch ein Unsinn!

Es wäre übrigens sinnvoller – das sage ich der AfD –, wenn Sie sich um die menschenverachtenden Aussagen Ihrer eigenen Parteifreunde kümmern würden, bevor Sie mit dem Finger auf andere zeigen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Stephan Brandner [AfD]: Das machen wir doch! – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Satire!)

Der Aschermittwoch ist noch nicht so lange her. Was hat Herr Poggenburg gesagt? Kümmelhändler und Kümmeltreiber

sollen sich dahin scheren, wo sie hingehören: weit, weit, weit hinter den Bosporus, zu den Lehmhütten und Vielweibern.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Von ­Kümmeltreibern war nicht die Rede!)

Zitat Ende. – Das ist widerlich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stephan ­Brandner [AfD]: Das ist Satire! – Gegenruf der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da lachen Sie!)

Herr Curio, Sie hatten von „Morast“ gesprochen. Das ist Morast, was wir da in Ihren Reihen erleben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stephan ­Brandner [AfD]: Das war auch Satire!)

Herr Gauland,

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Jetzt bin ich dran! Oh Gott!)

es hat mich schon gewundert, dass Sie dazu sagen, es gäbe keinen Bedarf, eine innerparteiliche Debatte anzustrengen. Dann kommt der Satz: „Das bewegt mich nicht.“ Das ist eine ethische Bankrotterklärung, Herr Gauland.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen des Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD])

Wenn Sie das nicht mehr bewegt, dann haben Sie Ihren Beruf verfehlt.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Tja, habe ich bei der CDU gelernt! – Gegenruf des Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Bei der CDU haben Sie gar nichts gelernt! Sie sind vom Weg abgekommen!)

Mich bewegt es sehr.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollegin Motschmann, Sie haben die Chance, wenn Sie eine Frage oder Bemerkung zulassen, die ablaufende Redezeit noch zu verlängern.

Elisabeth Motschmann (CDU/CSU):

Ja. Alles gut. Bitte schön.

Thomas Ehrhorn (AfD):

Frau Kollegin, Sie haben gerade, wie ich meine, nicht auf das eigentliche Thema in Ihrer Rede reagiert. Sie haben gerade von einer Bankrotterklärung gesprochen. Wenn dieses Hohe Haus nicht bereit ist, eine solche Äußerung wie die von Herrn Yücel zu verurteilen,

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Wir sind doch nicht der Zensor!)

frage ich Sie, ob es nach Ihrer Meinung nicht auch eine Bankrotterklärung dieses Hohen Hauses ist,

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Wir sind doch keine Zensurbehörde!)

ob wir uns nicht alle gemein machen mit denen, die auf Demonstrationszügen lauthals rufen: Deutschland verrecke! – Das ist doch hier die Frage.

Elisabeth Motschmann (CDU/CSU):

Ich weiß nicht, Herr Kollege, ob Sie Probleme mit den Ohren haben. Ich habe doch eben gesagt, dass mir auch nicht alles gefällt, was Deniz Yücel gesagt und geschrieben hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ich habe genauso gesagt, dass es eine ethische Bankrotterklärung ist, wenn man die eigenen miesen Äußerungen in der AfD nicht entsprechend zurückweist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Schließlich komme ich zu meiner Rede zurück.

Wenn die AfD zu allem Überfluss in ihrem Wahlprogramm, das ich sehr genau studiert habe, meint, dass ihre Grundsätze auf den Werten des Christentums fußen, dann kann ich Ihnen nur bescheinigen, dass Ihre Werte angesichts solcher Äußerungen und solcher dümmlichen Anträge nichts, aber auch gar nichts mit dem Christentum zu tun haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollegin Motschmann, achten Sie jetzt bitte auf die Zeit.

Elisabeth Motschmann (CDU/CSU):

Ja, ich bin am Ende.

(Lachen bei der AfD)

– Nicht am Ende, sondern ich komme zum Ende.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

– Keine Sorge, freuen Sie sich nicht zu früh.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das freut die! So was glaube ich ja nicht!)

Ich will nur noch am Ende Bischöfin Ilse Junkermann zitieren, die über Herrn Poggenburg gesagt hat:

Die Rede hat erneut den unverblümten Hass gezeigt, mit dem die AfD Menschen diffamiert.

Sie fährt fort:

Unsere Gesellschaft braucht Verantwortliche mit Umsicht und Weitblick und keine vor Hass und Menschenverachtung blinden Abgeordneten.

Danke, Frau Bischöfin. Dieser Weitblick und diese Umsicht fehlen der AfD; daran sollten Sie arbeiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)