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Dr. Norbert Röttgen: Wir sind unserer Verantwortung und unseren Interessen nicht gerecht geworden

Rede in der vereinbarten Debatte zur aktuellen Lage in Syrien

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte versuchen, nach vorne zu schauen, und kurze Anmerkungen zu unserer Verantwortung, unseren Interessen und unserem Handeln in der Sache Syrien sowie im Mittleren Osten machen. In der Auseinandersetzung mit dem Islam wird zunehmend betont, dass wir ein christlich-abendländisch geprägtes Land sind. Ich teile diese Sichtweise, kritisiere aber, dass aus dieser Feststellung oft nur sehr selektive Konsequenzen gezogen werden. Diese Identität hat nämlich umfassende Konsequenzen. Für den Fall Syrien bedeutet das, dass wir immer dann, wenn Menschen Opfer von Terror, Unterdrückung sowie von Staats- und Kriegsverbrechen werden, nicht gleichgültig bleiben dürfen. Es geht uns an, auch wenn es nicht in unserem Land geschieht. Deshalb haben wir die Pflicht, uns dort zu engagieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zu unseren Interessen. Das, was die Welt in den letzten Jahren, also in einem kurzen Zeitraum, so verändert hat, ist, dass die Konflikte, der Hass und die Kriege des Mittleren Ostens nicht mehr in der Region bleiben, sondern dass die Flammen zu uns schlagen und dass die Menschen, die vor diesen Flammen fliehen, zu uns gekommen sind. Das, was wir als Flüchtlingskrise bezeichnen, macht deutlich, dass wir Europäer die Stabilität und die Sicherheit unserer Gesellschaften und Länder nicht mehr von den Konflikten und Kriegen im Mittleren Osten trennen können. Es liegt in unserem Interesse, uns zu engagieren. Nichtengagement ist nichts anderes als eine Verletzung unserer eigenen Interessen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man das berücksichtigt, dann muss man kurz bilanzieren – Selbstkritik schadet nicht, wenn der Staat etwas besser machen will –: Wenn das unsere Verantwortung und unsere Interessenlage ist, dann muss man sagen, dass sieben Jahre Krieg mit 500 000 Toten in unserer unmittelbaren geografischen Nachbarschaft ein beschämendes Ergebnis westlicher, europäischer und auch deutscher Politik sind; das muss man feststellen. Wir sind unserer Verantwortung und unseren Interessen nicht gerecht geworden. Das muss sich jetzt ändern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will zwei Aspekte betonen, die nach meiner Auffassung in dieser Debatte wichtig sind. Das eine ist der völkerrechtliche Aspekt einschließlich der militärischen Aktionen. Das andere sind die politischen Maßnahmen, die nun folgen müssen. Ich möchte mich vor allen Dingen an die Fraktion der Grünen wenden. Ihre Position besagt, dass das Völkerrecht in dem Fall, dass ein Staat zum Verbrecher wird und gegen das eigene Volk systematisch vorgeht, außer Kraft gesetzt wird, wenn eine Vetomacht des UN-Sicherheitsrates – in diesem Fall Russland – die Rolle einer Schutzmacht annimmt und ein Veto einlegt in dem Bemühen, den Verbrechen entgegenzutreten. Sie sagen, dann gebe es keine Legitimierung, dieser Gewaltanwendung entgegenzutreten. Wenn dies Ihre Rechtsauffassung ist, dann ist das Ergebnis, dass das Völkerrecht am Ende der rechtlichen Absicherung von Staatsverbrechen dient. Das kann nicht richtig sein. Die völkerrechtliche Debatte ist weiter vorangeschritten, als es Ihre Positionierung glauben machen will.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)