Dr. Heribert Hirte: Wir haben die Insolvenzantragspflicht erst komplett, jetzt noch teilweise ausgesetzt
Redebeitrag zum Sanierungs- und Insolvenzrecht
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin, lassen Sie mich das Thema erst einmal einordnen: Wir setzen hier in einem zweiten Akt einen Teil der europäischen Restrukturierungsrichtlinie um – einen ersten Akt hatten wir hier schon vor einigen Wochen, was vermutlich sehr bald abgeschlossen wird: Das Verfahren zur Restschuldbefreiung soll von sechs auf drei Jahre verkürzt werden.
Hier geht es jetzt um die vorinsolvenzliche – also unter Vermeidung eines Insolvenzverfahrens durchzuführende – Sanierung. Ein dritter Punkt steht noch aus, nämlich die Frage der Stellung des Insolvenzverwalters; es geht um das Berufsrecht des Insolvenzverwalters. Auch darüber werden wir noch intensiv nachzudenken haben.
Gerade weil ich im Unterausschuss Europarecht den Vorsitz führe, ist es mir wichtig, zu sagen, dass wir als Parlament – im Übrigen überfraktionell – auch die europäische Richtliniensetzung in der letzten Legislaturperiode schon sehr früh begleitet haben. Wir haben der Bundesregierung unsere Vorstellungen mit auf den Weg gegeben, und das, was dann als europäische Richtlinie zurückgekommen ist, trägt schon in vielen Punkten unsere Handschrift. Ich glaube, es ist wichtig, das gerade mit Blick auf die europäische Diskussion zu erwähnen.
Sie haben gesagt, das Paket steht – das war unerwartet – jetzt auch im Zusammenhang mit der Coronadiskussion. Viele Unternehmen sind durch die Coronapandemie in Schieflage geraten, und wir müssen über die Frage nachdenken, wie wir Unternehmen mit einem eigentlich über die Krise hinausführenden Geschäftsmodell retten können, wenn sie unverschuldet durch die jetzige Lage in die Krise geraten sind.
Einen ersten Schritt haben wir getan. Wir haben die Insolvenzantragspflicht erst komplett, jetzt noch teilweise ausgesetzt. Und wir müssen jetzt über die Frage nachdenken – darüber haben wir bei der anderen Gesetzesvorschrift an dieser Stelle schon gestritten –, wie wir wieder „back to normal“ kommen, wie wir in die wirtschaftspolitische und wirtschaftsrechtliche Normallage zurückkommen, dass es auch die Situation gibt, leider, dass Unternehmen aus dem Markt ausscheiden und ausscheiden müssen. Deshalb müssen wir uns hier die Frage „Vollständiges Ausscheiden oder Sanierung?“ stellen.
Wir haben auch als Fraktion darauf gedrängt, dass dieser Punkt der Richtlinie möglichst schnell in Form eines Regierungsentwurfs gekleidet wird. Das ist geschehen. Deshalb herzlichen Dank an die Bundesregierung, dass sie diesen großen Entwurf vorgelegt hat!
(Beifall des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD])
Dieser große Entwurf ist aber ein Entwurf, der vielleicht zu sehr vom Leitbild der ganz großen Unternehmen geprägt wird. Wir hatten das Thema schon in der letzten Sitzungswoche in der Fragestunde. In den Rückmeldungen derer, die dieses neue Verfahren vielleicht nutzen wollen, heißt es: Es ist in erster Linie ein Modell für große Aktiengesellschaften, zu komplex, und kleine und mittelständische Unternehmen können davon möglicherweise nicht profitieren. – Das betrifft die Reisebüros, die Messebauer, die kleine Pizzeria vor Ort.
Es ist eben auch – das hängt mit der Größe der vielleicht im Fokus stehenden Unternehmen zusammen – sehr stark beratergetrieben. Auch in diesem Punkt müssen wir noch einmal intensiv nachdenken, wie das für die kleinen und mittelständischen Unternehmen passt.
Wir haben hier also Diskussionspunkte, die wir dann in der Anhörung entsprechend mit einbringen werden.
Lassen Sie mich noch etwas zu einigen Details sagen, die jetzt schon in der Diskussion sind. In dem neuen Gesetz – Sie haben den kompletten Titel eben dankenswerterweise vorgelesen, Frau Präsidentin – bzw. im StaRUG – eine schöne Abkürzung, dafür ein Lob an die Bundesregierung; das ist ja nicht immer so –, einem Teil des Gesetzes, das die vorinsolvenzliche Sanierung regelt, sind direkt zu Beginn die Geschäftsleiterpflichten festgelegt.
Dort steht, wie ein Geschäftsleiter mit einem Unternehmen, dem die Zahlungsunfähigkeit droht, verfahren muss. Er muss nämlich schon bei drohender Zahlungsunfähigkeit die Gläubigerinteressen berücksichtigen. Das Problem für diesen Geschäftsleiter ist: Er weiß nicht, ob der Zeitpunkt gekommen ist, und das wiederum bedeutet: Möglicherweise stehen Sie als Geschäftsführer ständig unter dem Druck einer späteren Haftung, außer Sie entlasten sich wieder durch teure Beratung. Das führt zu einem, wie man so schön sagt, Circulus vitiosus, und das ist nicht das, was sich ein Geschäftsleiter, der ein Unternehmen führt, vorstellt.
Wir brauchen hier also möglicherweise andere Ansätze, vor allem wenn man weiter bedenkt, dass die daraus resultierende potenzielle Haftung vielleicht gar nicht in Gänze den Gläubigern zugutekommt, weil die Kosten des Insolvenzverfahrens zu hoch sind.
Ein weiterer Punkt. Das vorinsolvenzliche Verfahren soll bei drohender Zahlungsunfähigkeit eingreifen. Viele, die auf uns zugekommen sind, haben gesagt: Vielleicht ist das schon zu spät. Sollten wir nicht etwas früher an die Sache herangehen, nämlich schon zum Zeitpunkt der sogenannten Krise?
Sie, Frau Ministerin, haben auch darauf hingewiesen, dass Verträge, die für die Sanierung ungeeignet sind und die die Sanierung blockieren können, möglicherweise beendet werden sollen. Diese Lösungsklauseln stoßen aber nicht nur auf Zustimmung, was ich verstehen kann. Sie haben auch – und das wird jetzt schon berichtet – eine Vorfeldwirkung dahin gehend, dass bestimmte Verträge gar nicht mehr abgeschlossen werden. Über die Frage, wie wir hier ein Gleichgewicht hinbekommen, sollten wir meines Erachtens ebenfalls nachdenken.
Im Zusammenhang mit dem Restrukturierungsbeauftragten, der das alles organisieren soll, stellt sich die Frage nach Konflikten: Darf das auch der Insolvenzverwalter sein? Es stellt sich die Frage nach der Vergütung: Ist das, was jetzt im Gesetz vorgesehen ist, das richtige Anreizsystem? Es ist nämlich ein anderes, auf einem Stundenhonorar beruhendes Anreizsystem. Auch darüber ist nachzudenken.
Wir müssen auch darüber nachdenken – Sie haben es angedeutet; das alles ist sehr komplex –, ob alles so hinzubekommen ist, dass das Gesetz bis zum 1. Januar 2021 in Kraft treten kann. Ich habe da nach dem augenblicklichen Stand gewisse Zweifel.
Einen Punkt möchte ich noch hervorheben, gerade weil es um die Kosten des Insolvenzverfahrens geht und weil wir hier im Hause das ARUG II erarbeitet haben: Wir müssen auch über die Frage nachdenken, ob die Kosten der Insolvenzverfahren ähnlich, wie es im Aktienrecht für die Vergütung von Vorstandsmitgliedern geregelt ist, offengelegt werden. Transparenz ist Kontrolle, und das ist wichtig.
Ich freue mich auf die Beratungen und danke herzlich für den bisherigen Input und für den Regierungsentwurf.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)