Skip to main content

Dr. Heribert Hirte: "Über Steuern in Europa an verschiedenen Stellen nachdenken"

Rede zum Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2018

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 24. Oktober 2017 hat die EU-Kommission ihr neues Arbeitsprogramm für das Jahr 2018 vorgelegt, und darüber diskutieren wir jetzt. Das Programm besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil wird eine ganze Reihe von Legislativvorschlägen gemacht, die noch bis zum Ende dieser Kommission verwirklicht werden sollen. Das heißt, wir werden diese Vorschläge wegen der gesetzgeberischen Zeitabläufe, die notwendig sind, in den nächsten Wochen zu erwarten haben. Im zweiten Teil stellt die Kommission ihre Vision vor, wie die Finanzgrundlagen nach dem Brexit und im Angesicht der aktuellen Entwicklungen neu zu strukturieren sind.

Lassen Sie mich zuerst einen Blick auf die Legislativvorschläge werfen. Die EU-Kommission schlägt vor, ein Europäisches Wirtschaftsgesetzbuch zu schaffen. Der französische Präsident Emmanuel Macron greift diesen Vorschlag in seiner schon viel zitierten Rede am 26. September 2017 in der Sorbonne auf und setzt sich mit ganz deutlichen Worten für die Vereinheitlichung des Unternehmens- und Insolvenzrechts ein. Ich glaube, das ist ein richtiger und wichtiger Vorschlag. Denn wir haben zwar im Wirtschaftsrecht, das den Kern unserer Europäischen Union ausmachen sollte, sehr viel zusammengefasst und erreicht; aber alles, was wir sehen, ist eigentlich ein Flickenteppich. Denn der Kern der Harmonisierung des Wirtschaftsrechts basiert auf Richtlinien, und die Richtlinien lassen immer noch sehr viele Spielräume. Wenn wir einen gemeinsamen Markt und ein gemeinsames Level Playing Field haben wollen, dann sollten nicht die Regeln miteinander konkurrieren, sondern die Unternehmen. Deshalb ist dieser Schritt richtig.

Ein zweiter Punkt ist ein Thema, um das es gerade in der Steuerdiskussion geht. Der Kollege Ulrich hat das eben aufgegriffen. Wir müssen über Steuern in Europa an verschiedenen Stellen nachdenken. Was nämlich bei Unternehmen fehlt, ist eine gemeinsame einheitliche Festlegung dessen, was überhaupt den Gewinn ausmacht und was vom Gesellschaftsrecht bis in das Steuerrecht hineinreicht: die gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage. Solange wir diese nicht haben, nutzt der ganze Datenaustausch über die Grenze nichts, und das, was viele wollen, funktioniert nicht, zum Beispiel die Zinsmeldungen. Denn wir können Zins und Gewinn nur dann abgrenzen und die Meldungen verarbeiten, wenn sie auf einer einheitlichen Rechtsgrundlage beruhen.

Ein dritter Punkt: Was immer noch fehlt, aber zu diesem Programm gehört, ist eine besondere Rechtsform für kleine und mittelständische Unternehmen. Wir arbeiten auf der Ebene der Europäischen Union seit Jahren daran, eine solche europäische GmbH zu schaffen. Es ist immer wieder gescheitert. Wir hatten als Letztes sozusagen eine Art hinkenden Vorschlag – das wird deshalb zu Recht zurückgezogen – einer Einpersonenrichtlinie, die das ersetzen sollte. Wenn jetzt der Vorschlag einer europäischen GmbH wieder auf der Agenda steht, dann ist das gerade für die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die sozusagen die Haupttriebfeder unseres gemeinsamen Marktes sind, um zu einer einheitlichen Rechtsform zu kommen, ein wichtiger und richtiger Schritt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Georg Link [FDP])

Dass wir bei dieser Gelegenheit die Rechtsetzung insgesamt ein wenig anschauen wollen, liegt nahe; denn der verbesserte Zugang zum europäischen Recht setzt voraus, dass die Rechtstexte nicht nur wie bislang chronologisch sortiert werden, sondern auch einheitlich in Kodifikationen zusammengefasst werden. Die Schweiz ist ein Vorbild dafür. Dort gibt es dreisprachige Gesetzestexte, klar und verständlich. Hieran sollten sich die Europäische Union und die Europäische Kommission ein Beispiel nehmen.

Der zweite Teil des Programms sind die Finanzen. Der wahrscheinliche Austritt des Vereinigten Königreichs sowie die erhöhten Lasten in den Bereichen Migration und Verteidigung führen natürlich dazu, dass wir hier genauer hinschauen müssen. Es ist richtig, dass die Kommission ankündigt, dass bei Erasmus und Investitionen in Forschung und Innovation nicht gekürzt werden soll; denn die Förderung der Bildung ist einer der zentralen Punkte. Die klugen Köpfe, unsere Bürger, sind diejenigen, die die Zukunft gestalten. Deshalb ist der angesprochene Ansatz richtig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Genauso richtig ist, dass wir die Agrarsubventionen etwas kürzen.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD und der FDP)

Denn hier ist ein Markt bzw. ein Moloch entstanden, der zu Kritik Anlass gibt. Wenn wir in Europa so fördern, dass Afrika nicht mehr nach Europa exportieren kann, dann gibt das Anlass zu Bedenken. Insofern ist die Kürzung der Agrarsubventionen auch eine entwicklungspolitische Maßnahme.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Nun zum letzten Punkt, den ich ansprechen will.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Kurz.

Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU):

Wenn wir den ESM auf eine andere Rechtsgrundlage stellen wollen – Herr Krichbaum hat bereits darauf hingewiesen –, bedarf das einer Vertragsänderung – anders als das der Kollege Sarrazin ausgeführt hat – und vor allen Dingen der Einführung eines Insolvenzrechts für Staaten. Gott sei Dank befasst sich die Europäische Zentralbank bereits damit. Ich hoffe, dass die Kommission das aufgreift.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)