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Dr. Carsten Linnemann: Auch bei schwierigen Entscheidungen müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mitgenommen werden

Rede zur Einschränkung von Massenentlassungen

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Interessant ist, Herr Bartsch, dass Sie immer bei den großen Unternehmen mit Gesetzentwürfen kommen. Ich würde mir wünschen, dass wir insgesamt über die allgemeine Gemengelage reden, übrigens auch über Insolvenzen von kleineren Unternehmen –

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sehr gern!)

das sind übrigens 58 am Tag; darüber wird viel zu wenig gesprochen –, die wir aus unseren Wahlkreisen kennen, bei denen betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu uns kommen und mit uns reden

(Zuruf von der LINKEN: Nebelkerzen!)

und wir spüren, dass es nicht nur um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geht, sondern auch um Familien, um ganze Regionen.

Erst gestern noch habe ich mit Stanislaw Tillich gesprochen. Er hat mir natürlich die Auswirkungen auf die Situation in Görlitz skizziert; dabei ging es nicht nur um die drohende Schließung des Werkes, sondern natürlich auch um die Auswirkungen auf die Zulieferindustrie.

Aber in dieser Situation trotzdem bitte kühlen Kopf bewahren! Ihr Gesetzentwurf entspricht dem nicht. „Kühlen Kopf bewahren“ heißt, dass wir Politik und Wirtschaft trennen,

(Niema Movassat [DIE LINKE]: Sagen Sie das mal den Beschäftigten!)

dass wir als Politiker für die politischen Entscheidungen zuständig sind, dass es diesem Land auch in 10, 15 Jahren noch gut geht,

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: 1,5 Milliarden Förderungen!)

und dass die Wirtschaft betriebswirtschaftlich entscheidet.

(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Genau das ist das Problem!)

Nehmen Sie nur mal das Beispiel der Digitalisierung und Disruption! Bedenken Sie, was wir da für Veränderungen haben – im Bereich des Verlagswesens, im Bereich des Anlagenbaus, im Maschinenbau bis hin zum Bereich Elektro! Da werden ganze Geschäftsmodelle infrage gestellt, und die Unternehmer müssen entscheiden: Wie sieht das Geschäftsmodell der Zukunft aus? Das sind unternehmerische, betriebliche Entscheidungen. Da hat sich die Politik nicht einzumischen. Aber genau das machen Sie. Sie mischen sich ein. Allein die Debatte darüber ist nicht gut für den Investitionsstandort Deutschland.

(Ulli Nissen [SPD]: Unfug! Was sagen Sie den Menschen vor Ort, Herr Linnemann?)

Im Mittelstand und in energieintensiven Bereichen wird heute schon mehr abgeschrieben als investiert. Daher ist das, was Sie machen, falsch. Im Kern sorgt Ihr Gesetz dafür, dass nicht die Konzerne, sondern die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Leidtragenden sind. Wenn Sie sich so einmischen, werden nicht nur Werke geschlossen, sondern ganze Unternehmen ins Ausland verlegt. Dann sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirklich die Leidtragenden. Das sollten sie aber nicht sein.

Lassen Sie mich einen ganz anderen Punkt ansprechen, der in der sozialen Marktwirtschaft wichtiger denn je ist. Das ist die Verantwortung der Unternehmer gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern jenseits unternehmerischer Entscheidungen. Natürlich hat die Wirtschaft auch eine gesellschaftliche Verantwortung.

(Zuruf von der Linken: Ach was?!)

Es ist sicherlich zu kritisieren – auch dafür ist dieses Haus da –, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erst nach Tagen oder sogar Wochen aus Berichten in Medien erfahren, wie es um ihre Zukunft bestellt ist. Das ist nicht der Weg, den die soziale Marktwirtschaft vorsieht. Vielmehr muss es um Gemeinsamkeit gehen. Auch bei schwierigen Entscheidungen müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mitgenommen werden. Das ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil die Wirtschaft, wie im Corporate Governance Kodex festgelegt – ich bin froh, dass es in diesem Land einen Konsens dazu gibt –, eine gesellschaftliche Verantwortung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat. Sie muss also bei schwierigen Entscheidungen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitnehmen. Nicht zuletzt das ist es, worauf es ankommt. Meines Erachtens hat Siemens nun die Chance, das Gespräch zu suchen. Wir als Politiker können flankieren, moderieren und viele Gespräche führen. Aber am Ende dürfen wir uns nicht in unternehmerische Entscheidungen einmischen.

(Beifall bei der CDU/CSU)