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Monika Grütters: "Für die Digitalisierung von Sammlungsgut haben wir eine eigene Strategie erarbeitet"

Zur kulturpolitischen Aufarbeitung unseres kolonialen Erbes

Danke. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!

Man sagt, wenn ein Mensch stirbt, ist es, als würde eine ganze Bibliothek in Flammen aufgehen. Ich weiß nun, dass ich nur wenige der geheimen Bücher meines Vaters gelesen habe, bevor das Feuer sie verschlang …

Diese Worte stammen aus dem ebenso erschütternden wie lehrreichen Roman „Alle, außer mir“, in dem Francesca Melandri mit der verdrängten Geschichte eines Familienvaters die verdrängte Kolonialgeschichte Italiens erzählt.

Verdrängt und vergessen war das blutige Erbe der Kolonialzeit lange – viel zu lange! – auch hier in Deutschland.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Stimmt doch gar nicht! Das steht in allen Geschichtsbüchern! – Dr. Harald Weyel [AfD]: Was sagt denn Wossen Asserate dazu?)

Doch es bleibt unsere moralische Verantwortung, Unrecht und Ungerechtigkeit ans Licht zu holen und unsere koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten, nicht zuletzt auch kulturpolitisch.

Dazu hat sich die Bundesregierung mit dem Koalitionsvertrag klipp und klar bekannt; dafür habe ich bei der BKM ein eigenes Referat zur Aufarbeitung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten und einen eigenen Haushaltstitel eingerichtet, auch um zu zeigen, dass wir erst am Beginn stehen, dass es um eine nachhaltige, um eine lange Aufgabe geht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bin froh, dass wir uns über die Bedeutung dieses Themas über fast alle Fraktionsgrenzen hinweg einig sind, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)

Die Anträge, die wir heute beraten, nehme ich gerne zum Anlass, hier über einige der bisherigen Aktivitäten zu unterrichten. In den „Ersten Eckpunkten zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ haben Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände 2019 bereits Ziele und Schwerpunkte festgelegt. Für die Umsetzung haben wir gemeinsam eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet. Provenienzforschung, Digitalisierung und Restitution: Das sind ihre zentralen Handlungsfelder, übrigens immer unter Beteiligung der Herkunftsstaaten oder Herkunftsgesellschaften.

Darüber hinaus habe ich Mittel bereitgestellt, damit das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg künftig – und das tun sie seit zwei Jahren – Provenienzforschung zu Sammlungsgut eben auch aus kolonialen Kontexten fördern kann. 2020 hat außerdem die „Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland“ ihre Arbeit aufgenommen – eine ganz wichtige Einrichtung, damit Menschen aus den Herkunftsgesellschaften wissen, an wen sie sich im schwierigen Geflecht des deutschen Föderalismus wenden müssen, wenn sie Auskunft benötigen.

Voraussetzung kulturpolitischer Aufarbeitung ist, dass alle Museen ihre Bestände erforschen, und zwar proaktiv, nicht erst bei Rückführungsersuchen. Wir brauchen hier nämlich möglichst große Transparenz. Deshalb hat der Deutsche Museumsbund mit Unterstützung aus dem Kulturetat einen Leitfaden zum Umgang mit diesen Sammlungsgütern erstellt und gerade in der vergangenen Woche der Öffentlichkeit eine Aktualisierung zur Verfügung gestellt.

Auch zahlreiche von der BKM geförderte Einrichtungen, zum Beispiel das Deutsche Historische Museum, tragen natürlich schon lange zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit bei. Die Kulturstiftung des Bundes arbeitet dabei mit verschiedenen und, wie ich finde, wirklich beeindruckenden zivilgesellschaftlichen Initiativen zusammen. Auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz stellt sich in zahlreichen Projekten ihrer historischen Verantwortung, unterstützt, besonders bei der Provenienzforschung, von vielen auch aus den Herkunftsstaaten.

Für die Digitalisierung von Sammlungsgut haben wir 2020 mit Ländern und Kommunen eine eigene Strategie erarbeitet, die einen zentralen Zugang zu einschlägigen Beständen aus deutschen Museen und Einrichtungen vorsieht. Derzeit werden Einrichtungen für die Pilotphase ausgewählt. Und – das ist jetzt neu – für den Ausbau der Deutschen Digitalen Bibliothek, die hier die Umsetzung übernimmt, stehen bei der BKM bis zu 1,4 Millionen Euro für 2021/22 zur Verfügung. Damit übernimmt die BKM übrigens auch, damit es jetzt schnell geht, den Länderanteil, was nicht unbedingt Schule machen soll, aber hier der Bedeutung der Sache geschuldet ist.

Voran geht es auch beim Handlungsschwerpunkt Restitution. Das DHM hat die Rückgabe der Cape-Cross-Säule beschlossen – das haben Sie alle mitbekommen – und vorbereitet; sie ist nicht mehr in Deutschland. Die SPK hat darüber hinaus gerade ein großes Forschungsprojekt zu menschlichen Überresten in Ostafrika abgeschlossen und wird Rückführungen mit den Herkunftsländern besprechen. Auf unseren BKM-Vorschlag hin bereitet die Bund-Länder-AG eine deutschlandweite Abfrage zu menschlichen Überresten vor, damit wir sie in angemessener und sensibler Weise auch zurückführen können.

Auch im Humboldt Forum wird die Aufarbeitung des Kolonialismus natürlich eine wichtige, wenn auch nicht die einzige Rolle spielen. Das wird manchmal enggeführt. Die Dauerausstellung wird aber in enger Kooperation – auch hier – mit sehr vielen Herkunftsgesellschaften erarbeitet. Sie konnten das am Tag der offenen Tür erleben. Sämtliche in der Sammlung des Ethnologischen Museums befindlichen Benin-Bronzen – auch die spielen da immer eine zentrale, weil sehr symbolträchtige Rolle – sind mittlerweile digital erfasst und veröffentlicht. Mögliche Kooperationen bis hin zu Rückführungen werden im partnerschaftlichen Dialog mit der nigerianischen Seite besprochen, unter anderem – das wissen Sie – in der Benin Dialogue Group.

Francesca Melandri, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat bei den Recherchen für ihren eingangs zitierten Roman über die koloniale Vergangenheit noch mit hochbetagten Zeitzeugen sprechen können. Sie schreibt:

Als ich jung war

– sagte ihr einer von ihnen –

habe ich gegen dein Volk gekämpft, und heute kommst du zu mir nach Hause, um mir zuzuhören. Welch ein Glückstag! Nächsten Sonntag nach der Messe werde ich allen davon erzählen.

Meine Hoffnung ist, dass Aufklärung und Aufarbeitung, größtmögliche Transparenz bei Beständen aus kolonialen Kontexten und Offenheit gegenüber möglichen Rückführungen – auch bei uns in Deutschland bitte – den Weg bereiten für das Glück dieser Verständigung und der Versöhnung mit den Nachkommen der von Deutschen unterdrückten und ihrer kulturellen Schätze beraubten Menschen. Dafür werde ich mich weiterhin starkmachen. Ich danke allen, die uns dabei unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])