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Monika Grütters: "Die rückhaltlose Aufklärung und Aufarbeitung hat auch in Zukunft höchste Priorität"

Rede zur Aufarbeitung des NS-Kunstraubs

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute einen Antrag über die Fortsetzung der Aufarbeitung des NS-Kunstraubs, einer besonders perfiden Variante des NS-Terrors. Hinter jedem entzogenen, geraubten Kunstwerk steht das individuelle Schicksal eines Menschen. Das anzuerkennen und darüber aufzuklären, ist Deutschland – und das sind wir – den Opfern der nationalsozialistischen Terrorherrschaft und deren Nachkommen schuldig.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb bin ich sehr dankbar für den Antrag der Koalitionsfraktionen, der dazu beiträgt, genau diesem Anliegen die verdiente Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Die Washingtoner Konferenz 1998 war ein Meilenstein bei der Aufarbeitung des perfiden NS-Kunstraubs. Die Washingtoner Prinzipien, die daraus hervorgingen, haben mit ihrer Formulierung der „gerechten und fairen“ Lösungen weltweit Maßstäbe gesetzt, an denen die Bundesregierung sich auch in Zukunft messen lassen muss und natürlich messen lassen will. Wir können dabei keine Wunder bewirken – das haben wir mittlerweile gelernt –, doch, so hat es die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright, übrigens selbst Nachfahrin von Holocaustopfern, bei der Eröffnung der damaligen Washingtoner Konferenz 1998 formuliert:

Wir können alles in unserer Macht Stehende tun, um Dunkelheit durch Licht, Ungerechtigkeit durch Fairness, Konflikt durch Konsens und Unwahrheit durch Wahrheit zu ersetzen.

Unwahrheit durch Wahrheit ersetzen: In diesem Sinne habe ich die jährlichen Mittel für die Provenienzforschung während meiner Amtszeit versechsfacht. Für 2020 sind dafür rund 11 Millionen Euro vorgesehen. Auch die Strukturen zur Aufarbeitung des NS-Kunstraubs haben wir verbessert und die Gründung zum Beispiel des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste mit Sitz in Magdeburg auf den Weg gebracht, also eine zentrale Anlaufstelle für die Umsetzung der Washingtoner Prinzipien geschaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ungerechtigkeit durch Fairness ersetzen: In diesem Sinne haben Bund, Länder und Kommunen mit der Beratenden Kommission ein Hilfsangebot für die Fälle geschaffen, in denen eine Verständigung offensichtlich sehr schwierig ist. Die Geschäftsstelle dieser Beratenden Kommission bleibt beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, ihr Aufgabenbereich ist aber organisatorisch vom DZK getrennt. Wir werden sie im Übrigen personell deutlich besser ausstatten, um dadurch einmal mehr ihre Unabhängigkeit vom Deutschen Zentrum zu stärken.

Dass alle mit Bundesmitteln geförderten Kultureinrichtungen den Wünschen auf Anrufung dieser Beratenden Kommission vonseiten potenzieller Anspruchsteller nachkommen – alle, betone ich –, halte ich angesichts der immensen Verantwortung Deutschlands für die Aufarbeitung des NS-Kunstraubs für selbstverständlich. Zuwendungsbescheide und Zuweisungsschreiben aus unserem Haus werden deshalb immer – schon seit einem Jahr tun wir das – um eine entsprechende Auflage ergänzt. Ich würde es sehr begrüßen – und fordere Sie alle auf, das in Ihren Wahlkreisen und in Ihrer Arbeit immer wieder zu betonen –, wenn auch die Länder eine solche Regelung für die in ihrer Zuständigkeit befindlichen Kultureinrichtungen fänden; das tun bisher nämlich nur zwei. Ich glaube, dass wirklich alle Museen, die sich einer solchen Anrufung durch Nachfahren jüdischer Opfer gegenübersehen, dieser selbstverständlich nachkommen sollten; mit welchem Ergebnis die Beratende Kommission das am Ende auch immer beschließt. Dass bei den jüdischen Opfern immer noch der Eindruck herrscht, manche Museen würden sich einer solchen Anrufung verweigern, ist schlichtweg nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Restitutionsgesetz, insbesondere für den privaten Sektor – das wird immer wieder gefordert –, gestaltet sich juristisch wirklich schwierig. Unser Haus prüft derzeit, welche Möglichkeiten es dafür gibt, übrigens in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesjustizministerium. Aber unabhängig davon appelliere ich immer wieder an private Besitzer, die wir namentlich nicht ausmachen können, an Sammler und Einrichtungen, im Sinne der Washingtoner Prinzipien ihrerseits freiwillig Kunstwerke zurückzugeben, wenn sie wissen, dass sich solche in ihrem Besitz befinden. Gott sei Dank haben einige sehr spektakuläre Fälle dieser Art vorbildhaft stattgefunden.

Ungerechtigkeit durch Fairness ersetzen: Das heißt auch, Menschen, die selbst oder deren Vorfahren unvorstellbares Leid erfahren mussten, nicht allein zu lassen auf dem Weg zu „gerechten und fairen Lösungen“. Aufarbeitung darf nicht an bürokratischen Hürden scheitern, und das föderale System in Deutschland ist undurchsichtig genug. Deshalb wird von uns derzeit ein Helpdesk eingerichtet, also eine zentrale Stelle für Anspruchsteller, damit sie Orientierung und Unterstützung finden.

Konflikt durch Konsens ersetzen – ich komme zum Ende –: In diesem Sinne stehen aufrechte Demokratinnen und Demokraten zusammen, wo immer es darum geht, die Erinnerung an die barbarischen Verbrechen der Nationalsozialisten wachzuhalten. Darüber aufzuklären, wie Millionen Menschen und im Übrigen auch die Würde des Menschen der Verachtung und der Vernichtung preisgegeben wurden, kann sensibilisieren für die unterschätzten Wegbereiter totalitärer Ideologien: für Verharmlosung und Relativierung des Holocaust, für die Verrohung der Sprache, für das Schüren von Vorurteilen und Ressentiments, für das Schweigen aus Gleichgültigkeit oder Feigheit. Die rückhaltlose Aufklärung und Aufarbeitung des NS-Kunstraubs in Deutschland hat deshalb auch in Zukunft höchste Priorität in der Kulturpolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Dabei hoffe ich weiterhin auf Ihre Unterstützung, liebe Kolleginnen und Kollegen – frei nach Madeleine Albright in der Hoffnung, dass wir Licht ins Dunkel bringen, wenn wir Unwahrheit durch Wahrheit, Ungerechtigkeit durch Fairness und Konflikt durch Konsens ersetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Bettina Stark-Watzinger [FDP])