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Roderich Kiesewetter: Der Schlüssel liegt in einem Dialog mit Russland

Völkerrechtswidrigkeit der Luftschläge vom 14. April 2018 gegen Syrien feststellen

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit sieben Jahren tobt ein fürchterlicher Krieg in Syrien. Mehr als 12 Millionen Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Über 1 Million Menschen sind verstümmelt, Hunderttausende umgekommen. Die schlimmste humanitäre Katastrophe seit 1945 – und kein Wort des Antragstellers dazu.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin entsetzt von der Art und Weise, wie hier versucht wird, in der Fokussierung auf ein Einzelthema internationale Probleme zu verdrängen und in einer Nabelschau eigene Befindlichkeiten auf den Tisch zu legen, die traurig sind.

(Zuruf von der AfD: Zur Sache!)

Traurig ist nämlich Folgendes: Am 14. April gab es ein Zeichen des Westens auf einer schwierigen völkerrechtlichen Grundlage,

(Lachen bei der AfD)

gegen ein verbrecherisches System, das 12 Millionen Menschen vertrieben hat, davon 7 Millionen Menschen außerhalb des eigenen Landes,

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Woher wollen Sie das wissen?)

ein verbrecherisches System, das Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung einsetzt,

(Karsten Hilse [AfD]: Wo sind die Beweise?)

und ein Russland hat die Beweisaufnahme verhindert – danke für die Brücke –,

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

indem es, als die internationale Kommission der Vereinten Nationen die Beweisaufnahme starten wollte, genau die Zeit abgewartet hat, bis sich die Giftstoffe verflüchtigt haben. So kann man keine Politik machen. Es ist dieses Hauses unwürdig, dass die Linke und die AfD geradezu einseitige – auf die AfD trifft es im wahrsten Sinne des Wortes zu – Anträge vorlegen, die nicht den Völkerrechtsbruch von Assad und auf keinen Fall die Stützung des Völkerrechtsbruchs durch Russland betreffen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Es ist mir aber auch ein Herzensanliegen, Lösungen aufzuzeigen. Keiner der Anträge der AfD und der Linken zeigt Lösungen auf. Ich danke den Grünen für die Perspektiven, die sie eröffnet haben. Die Lage, die wir haben, ist gekennzeichnet durch einen ins Stocken gekommenen internationalen Prozess. Der Friedensprozess, von den Vereinten Nationen durch de Mistura geführt, ist ins Stocken gekommen. Die Bundesrepublik Deutschland, die Bundesregierung unterstützt zwar kraftvoll de Mistura mit technischer Expertise, mit Personal und vor allen Dingen politisch flankierend. Aber wir müssen ehrlich sein: Dieser Prozess ist ins Stocken gekommen. Das Vakuum, das er hinterlässt – die internationalen Einrichtungen wie die Vereinten Nationen sind gelähmt –, führt zu regionaler Machtpolitik auf brutalste Art und Weise.

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Herr Kiesewetter, gestatten Sie eine Zwischenfrage eines Kollegen der AfD?

Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):

Ja, ich habe keine Scheu vor diesen Zwischenfragen.

Martin Sichert (AfD):

Herr Kiesewetter, Sie haben gerade von einer schwierigen völkerrechtlichen Grundlage geredet. Was ist denn diese schwierige völkerrechtliche Grundlage, die dann einen solchen Angriff legitimieren würde?

Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):

Lieber Herr Kollege, ich würde mir wünschen, dass wir der internationalen Schutzverantwortung, der Responsibility to Protect, gerecht werden könnten, die aber in diesem Falle nicht greift, weil die fünf Bedingungen nicht wirksam sind. Wir sind in einer Grauzone.

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Nein!)

Aber nichts zu tun, wäre noch heftiger gewesen. Aber der Punkt ist: Sie zeigen keine Lösungen auf. Ich zeige Lösungen auf. Die Union, die Regierungsfraktionen, selbst die Grünen zeigen Lösungen auf,

(Margarete Bause [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt aber!)

wie wir aus diesem Dilemma kommen können. Ich möchte Ihnen eine Lösung aufzeigen, nämlich dass wir nicht einseitig das Handeln des Westens anprangern und dabei in keinster Weise die Ursachen – die millionenfache Vertreibung der syrischen Bevölkerung, die Duldung des Völkermords und die Einsätze von Chemiewaffen – ansprechen. Da sind Sie einseitig und für mich kein Diskussionspartner.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Alexander Neu?

Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):

Nein, ich ermögliche ihm eine Kurzintervention,

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Bei der AfD drückt man ein Auge zu!)

weil ich glaube, dass ich mit meiner knappen Zeit den Gedanken, den ich ausführen will, sonst nicht ausreichend darlegen kann. Lieber Dr. Neu, ich freue mich auf Ihre Kurzintervention.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Der künftige Koalitionspartner freut sich!)

Ich möchte sehr deutlich Folgendes ansprechen: Der Schlüssel liegt in einem Dialog mit Russland. Russland verzettelt sich zurzeit in einem Krieg im Untergrund. Russland kann doch gar kein Interesse daran haben, über Jahre in eine Art Vietnam geführt zu werden. Wir können kein Interesse haben, dass Millionen Flüchtlinge nicht in die Heimat zurückkommen. Also muss der Friedensprozess so aussehen, dass wir Russland mit geeinter europäischer Stimme zeigen: Europa ist in der Lage, mit Expertise, mit Geld und mit Können Erhebliches für den Wiederaufbau zu leisten. Aber dafür stellen wir Bedingungen, nämlich dass Russland einem Friedensprozess zustimmt, einer Übergangsregierung zustimmt, einer internationalen Schutzverantwortung zustimmt und für Strukturen sorgt, die für einen Übergang geeignet sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kay Gottschalk [AfD]: Wer hat die denn destabilisiert? Das waren die Amerikaner!)

Unser deutsches Engagement: Wir sollten uns nicht verstecken. Wir haben in Jordanien, im Libanon und im Irak mit beeindruckendem Engagement – quasi wie drei Magneten um das böse Kraftfeld Syrien herum – mit UNIFIL, der IS-Bekämpfung aus Jordanien heraus und mit dem Engagement im Irak gezeigt, dass wir bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Wir haben auch mit der Unterstützung der Peschmerga, mit der Verhinderung des Völkermords an den Jesiden gezeigt, dass wir erfolgreich sind.

Unsere Aufgabe ist doch jetzt, das europäische wilde Durcheinander in ein Orchester zu bringen, in dem wir gemeinsam mit Frankreich – ich bin für die Debatte zu Deutschland und Frankreich, die wir heute gehört haben, sehr dankbar – eine Strategie entwickeln, die Europa eint, die einen Wiederaufbau möglich macht, die den politischen Prozess zustande bringt und dann mit weitem Blick die Rückkehr der Flüchtlinge ermöglicht. Deshalb sollten wir UNIFIL, Counter Daesh und die Mandate im Irak stützen und zusammen mit Russland eine Initiative starten. Dazu ist der Dialog erforderlich, weil Russland auf Dauer kein Interesse daran hat, sich dort zu verzahnen. Aber diese Frage generell zu leugnen, wie es hier Linke und AfD tun, halte ich für bedenklich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich habe noch neun Sekunden Redezeit und wäre bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen.

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Ihre Zwischenfrage, bitte.

Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE):

Ich finde es wirklich immer süß, wenn versucht wird, Tatsachen dadurch zu entkräften, dass man behauptet, dass es angeblich eine Querfront von links nach rechts gibt. Ich kann Ihnen versichern: Die gibt es nicht.

(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Wenn man die Anträge liest, dann sind die fast deckungsgleich!)

Erste Anmerkung.

Zweite Anmerkung, Kollege Kiesewetter.

Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):

Zwischenfrage!

Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE):

Sie haben gerade die RtoP angesprochen, die Schutzverantwortung. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Es gibt diese Schutzverantwortung nicht als internationale Norm. Das hätten zwar die Grünen und einige bei den Sozialdemokraten ganz gerne, aber es gibt sie nicht als Norm – weder völkergewohnheitsrechtlich noch in der UN-Charta. Insofern ist es abwegig, mit dem Argument der Schutzverantwortung eine völkerrechtsfragwürdige Argumentation zu liefern. Das ist völlig daneben. Schauen Sie sich noch einmal das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages an. Sie lernen daraus, vielleicht auch für die Zukunft. Der Autor hat ja nicht nur seine Meinung wiedergegeben, sondern er hat den aktuellen Stand der Völkerrechtsdebatte reflektiert.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD)

Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):

Das war keine Frage; aber ich möchte trotzdem erwidern. Sie haben mir nicht zugehört. Ich habe gesagt: Ich wünsche mir, dass die Schutzverantwortung greift. Das ist nämlich eine Weiterentwicklung internationalen Rechts

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Nein!)

als Folge von Ruanda, Srebrenica, von vielen anderen Geschehnissen, wo wir kaum handeln konnten. Und es war dieses Haus, das im Jahre 1999, vor fast 20 Jahren, über seinen Schatten gesprungen ist mit einer rot-grünen Regierung, die damals gesagt hat: Wir können den Völkermord an den Kosovaren nicht eskalieren lassen.

(Karsten Hilse [AfD]: Damit haben Sie sich versündigt!)

Wenn die internationale Gemeinschaft durch die Vetomächte gelähmt wird, dann müssen wir zeigen, dass wir selber Handlungsfähigkeit kreieren. Und wenn es um Menschlichkeit geht, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir Zeichen setzen. Am 14. April ist kein Mensch gestorben.

In diesem Sinne danke ich Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der AfD: Unglaublich!)