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Markus Grübel: Unser Einsatz kommt gerade zur richtigen Zeit

Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Hartmann, ich glaube, Sie haben das Thema Freiheit nicht verstanden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der AfD – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist der beste Witz des Tages!)

Ich möchte nicht, dass in jeder Rede auf die AfD eingegangen werden muss.

Ich finde es gut, dass am letzten Mittwochabend so viele Menschen, auch politisch Verantwortliche – Volker Kauder, Annette Widmann-Mauz – bei der Veranstaltung „Berlin trägt Kippa“ waren. Es ist aber schlecht und besorgniserregend, dass das in Deutschland nötig ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Es ist gut, dass wir in den letzten zwei Sitzungswochen so häufig über Religionsfreiheit und Menschenrechte debattiert haben: über die Situation der Rohingya am Freitagmorgen zu bester Plenarzeit und über die Christenverfolgung am Donnerstagabend. Es ist aber besorgniserregend und schlecht, dass das nötig ist.

Das Menschenrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit wird weltweit zunehmend eingeschränkt oder komplett infrage gestellt. Ungefähr drei Viertel der Weltbevölkerung leben in Ländern mit Einschränkungen der Religionsfreiheit. Christen und Muslime sind aufgrund ihrer Gesamtzahl am häufigsten davon betroffen. Christen wurden 2015 in 128 Ländern bedrängt, diskriminiert oder sogar verfolgt – 2007 waren es noch 108.

Darum ist es gut und richtig, dass im Koalitionsvertrag das Thema aufgegriffen und die Stelle des Beauftragten für weltweite Religionsfreiheit geschaffen wurde, die beim BMZ angesiedelt ist.

Zu meiner Aufgabe gehört künftig auch, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, den Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit im zweijährigen Rhythmus fortzuschreiben. Der vorliegende Bericht aus dem Jahr 2016, über den wir heute sprechen, verzichtet weitgehend auf Gesamtbetrachtungen zu Staaten und vermeidet Handlungsempfehlungen. Der nächste Bericht der Bundesregierung sollte meiner Meinung nach dokumentieren, berichten, hinweisen, aber auch werten und Empfehlungen geben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich möchte diesen Bericht zusammen mit interessierten Abgeordneten, mit den Ressorts, mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften, mit engagierten Gruppen und Einzelpersonen sowie mit Wissenschaftlern erarbeiten. Beim Thema Religionsfreiheit fangen wir nicht bei null an. Schon 1999 hat die CDU/CSU-Fraktion eine Große Anfrage zur Christenverfolgung und zur Religionsfreiheit an die rot-grüne Bundesregierung gerichtet, und Volker Kauder macht regelmäßig Veranstaltungen und Termine und hält Reden zum Thema „Christenverfolgung und Religionsfreiheit“.

Im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gibt es seit Anfang 2016 den Arbeitsbereich „Religion und Entwicklung“. Die Strategie, die Religionen als Partner in der Entwicklungszusammenarbeit, zeigt vielfältige Maßnahmen auf. Auch im Auswärtigen Amt gibt es seit Ende 2016 den Arbeitsstab „Friedensverantwortung der Religionen“.

Sehr geehrte Damen und Herren, ganze Völker, ganze Religionsgemeinschaften sind sprichwörtlich vom Aussterben, von der Ausrottung bedroht. Unser Einsatz kommt gerade zur rechten Zeit und hoffentlich noch rechtzeitig. Nehmen wir eine Region, die im Brennglas zeigt, wie berechtigt unsere Sorge ist – ich habe sie gerade mit Minister Müller besucht –: den Nordirak. Ich erwähne etwa die Christen, die an der Wiege der Christenheit leben oder gelebt haben, die aramäischen, assyrischen, chaldäischen Christen, Urkirchen, die zum Teil die Muttersprache Jesu sprechen. Ich erinnere an die Religionsgruppe der Jesiden im Nordirak und in Syrien, die in besonderer Weise unter dem schrecklichen Wüten des IS gelitten hat. Die Jesiden leben heute in Flüchtlingslagern oder sind in viele Länder der Welt zerstreut; viele sind auch in Deutschland. Ich erinnere an die ebenfalls im Nordirak lebenden Mandäer und Schabak, an die Turkmenen.

Diese religiöse Vielfalt, dieses Mosaik, erinnert an das reiche Erbe der Region. Es ist ein Erbe der Menschheit. All diese Religionsgruppen wurden angegriffen, weil sie sich nicht dem IS beugen wollten. Sie haben viele Opfer zu beklagen, sind als Binnenflüchtlinge entwurzelt und in ihrem Fortbestand bedroht. Die Angriffe sind religiös begründet und auch so zu verstehen: als Versuch, Andersgläubige zu vernichten. Ich könnte die Aufzählung noch fortführen; Kai Gehring hat ja viele betroffene Gruppen aufgezählt.

Ganz konkret müssen wir uns aktuell die Frage stellen, wie es gelingen kann, dass in der Ninive-Ebene oder am Sindschar wieder Christen und Jesiden leben können. Wer garantiert ihre Sicherheit? Die irakische Regierung? Das wird den Christen und Jesiden aufgrund schlechter Erfahrungen nicht genügen. Die Weltgemeinschaft? Die Europäische Union? Was ist unser deutscher Beitrag? Wir müssen die Frage beantworten, wie ein Aussöhnungsprozess im Nordirak erfolgen kann. Die Benennung und Bestrafung der Haupttäter ist eine Voraussetzung für die Versöhnung. Wir müssen Lösungen finden, wie ein gutes Miteinander oder wenigstens friedliches Nebeneinander von Sunniten, Schiiten, Jesiden und Christen möglich ist. Wir müssen auch bereit sein, diese Maßnahmen zu bezahlen und dort zu investieren. Da reicht die aktuelle Mittelausstattung bei weitem nicht aus; das müssen wir bei der Haushaltsaufstellung bedenken.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat bei der Vorstellung des Berichts gesagt, dass religiöser Fanatismus Brandbeschleuniger in den Konflikten ist. Daher sage ich: Der Einsatz für Religionsfreiheit und Menschenrechte schafft Frieden und mindert Fluchtursachen.

Beim Propheten Jesaja lesen wir: Der Gerechte kommt um, doch niemand nimmt sich dies zu Herzen. Die Frommen werden dahingerafft, aber es kümmert sich niemand darum. – Kämpfen wir in allen Arbeitsbereichen dafür, dass Menschenrechte und Religions- und Gewissenfreiheit gestärkt werden und die Rufe der Verfolgten nicht ungehört bleiben wie zu Zeiten des Propheten Jesaja!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)