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Jürgen Hardt: "Auch die Industrie wird in Schwierigkeiten kommen"

Rede zur Vereinbarten Debatte zum G7-Gipfel in Kanada

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte dem Kollegen Hofreiter gegenüber meine Verwunderung zum Ausdruck bringen, dass der Repräsentant der Partei, die für den streitbaren Dialog in der Politik steht, ein Problem damit hat, dass Abgeordnete in ihren entsprechenden Gruppen über schwierige und wichtige politische Fragen intensiv diskutieren.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hättet ihr das mal gemacht!)

Das braucht man hier nicht als Schmierentheater zu diffamieren. Es ist schlicht und einfach lächerlich, dass die Grünen das als Schmierentheater bezeichnen.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahlkampf!)

Sie bringen hier ein Politikverständnis zum Ausdruck, das diametral dem entgegensteht, mit dem Sie groß geworden sind und mit dem Sie angetreten sind.

(Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte ergänzend zu dem, was eine Reihe von Vorrednern bereits gesagt hat, zwei Aspekte zur Diskussion über die Schlussfolgerungen aus dem G-7-Gipfel in Kanada beisteuern. Ich fand, es war ein Affront des amerikanischen Präsidenten, per Twitter im Flugzeug die Unterschrift zurückzuziehen. Aber was mich noch mehr beunruhigt hat, sind die Worte, die er gewählt hat: erst gegenüber Justin Trudeau – „dishonest & weak“; ich nehme den kanadischen Premierminister ausdrücklich in Schutz vor dieser Bezeichnung – und dann, wenig später, gegenüber Kim Jong Un, dem Diktator Nordkoreas, der Blut an den Händen hat, der seinen Halbbruder hat umbringen lassen, der einen General hat hinrichten lassen, weil er sich mit über 70 Jahren erlaubt hat, in einer Konferenz mit dem Präsidenten einzuschlafen. In Nordkorea sitzen Hunderte, Tausende, Zehntausende Menschen in Hungerlagern, nur weil sie zufälligerweise irgendwann mal an der falschen Stelle nicht den richtigen Besen geschwungen haben oder sich eine andere Nachlässigkeit, ein Versäumnis haben zuschulden kommen lassen. Den als jemanden zu bezeichnen, der „wundervolle Sachen für sein Land“ vorhat, finde ich, offen gesagt, hart an der Grenze dessen, was man noch irgendwie nachvollziehen kann. Das müssen wir auch sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich finde, auch das, was der amerikanische Präsident zum Thema Handelspolitik vorträgt, ist schlicht falsch und intellektuell nicht nachvollziehbar. Wir haben zwischen der Europäischen Union und Nordamerika, den USA, einen Handelsüberschuss, aber wir haben eine ausgeglichene Leistungsbilanz; denn den Handelsströmen von Gütern in Richtung USA, zum Beispiel deutsche Autos oder deutsche Maschinen, stehen zu einem Drittel Dienstleistungen – wir alle nutzen amerikanische Dienstleistungen in Massen, gerade im Bereich der Software und der IT – und zu zwei Dritteln Gewinne entgegen, die Amerikaner in Europa machen und nach Amerika transferieren; sonst würde das mit dem Wechselkurs zwischen Euro und Dollar auch nicht hinhauen.

Wenn der amerikanische Präsident jetzt sagt: „Die amerikanischen Bürger werden mit deutschen Autos überschwemmt“, so stelle ich nüchtern fest: Derjenige, der in Amerika ein deutsches Auto kauft, kauft ein Auto am oberen Ende der Preisskala. Er kauft es nicht, weil es billig ist, sondern weil er es gut findet, schick findet, weil es gut fährt – wie wir wissen, stimmt das. Der amerikanische Präsident beschreitet mit seiner Politik einen Weg, der dahin führt, dass der amerikanische Bürger für schlechtere Qualität mehr zahlen muss. Ob es dies ist, was seine Wähler von ihm wollten, wage ich zu bezweifeln.

Auch die Industrie wird in Schwierigkeiten kommen. Ein Vertreter eines amerikanischen international tätigen Unternehmens hat mir gesagt: Wir kaufen unseren Stahl in Südkorea. Wir kaufen ihn aber nicht in Südkorea, weil er der billigste ist, sondern weil die Qualität, die Liefersicherheit und die ganzen Dinge stimmen, die eine Rolle spielen, wenn man eine Maschine herstellt und pünktlich liefern muss. – Ich vermute, dass die amerikanische Stahlindustrie überhaupt nicht in der Lage wäre, die Importe aus Europa oder aus China durch Produkte mit gleicher Qualität und Lieferverlässlichkeit zu ersetzen, mit dem Ergebnis, dass zum Beispiel amerikanische Maschinenbauer, die in Amerika Maschinen bauen, im Zweifel mehr für ihren Stahl zahlen müssen als heute. Das schwächt Amerika, und wir müssen mit unseren Kollegen eine Diskussion darüber führen.

Was die Zölle angeht, haben wir die höchsten Zölle zwischen Europa und den USA im Bereich der Spirituosen: 82 Prozent auf schottischen Whiskey, Schwarzwälder Obstbrand und Elsässer Obstbrand. Ich kann also auch in der Zollliste die Dinge herauspicken, auf die die Amerikaner besonders hohe Zölle erheben. Aber wenn man es gewichtet vergleicht, liegt das Niveau der Zölle der USA auf europäische Industriegüter bei 2,82 Prozent und das Niveau der Zölle der EU auf US-Produkte bei 2,79 Prozent. Es ist also praktisch komplett ausgeglichen. Wir müssen bei unseren Terminen und Besuchen auf dem Hill, bei Kollegen im US-Kongress, immer wieder vortragen – dazu kann ich alle Fraktionen herzlich auffordern –, dass der Präsident schlicht und einfach Unsinn erzählt, wenn er die Handelssituation zwischen den USA und Europa beschreibt.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Frank Müller-Rosentritt [FDP])