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Florian Hahn: "Unser Mittelstand wird das Rückgrat für die Erholung aus der Krise sein"

Arbeitsprogramm 2021 der Europäischen Kommission

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kleinwächter, Sie machen es einem wirklich schwer, sich nicht auf Ihre Rede zu beziehen. Ich weiß ja nicht, was der Virus mit Ihnen gemacht hat,

(Fabian Jacobi [AfD]: Sie können nichts als persönliche Beleidigungen!)

aber ich sage Ihnen mal eines: Sie haben das Arbeitsprogramm der EU-Kommission als gegen die Menschen gerichtet bezeichnet, und Sie haben es als „Manifest der Niedertracht“ bezeichnet. Sie heulen mit den Opfern der Pandemie. Gleichzeitig wiederum verbreiten Sie, beispielsweise über Ihre Facebook-Accounts, Querdenker-Thesen, mit dem Satz: Masken bleiben sinnlos und gefährlich.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Ich persönlich? Ich habe nur einen Facebook-Account!)

Ich sage Ihnen eines: Der Einzige, der hier wirklich niederträchtig ist – der solche Politik macht –, sind Sie und nicht die Europäische Kommission.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die EU steht auch in diesem Jahr vor großen Herausforderungen, vielleicht sogar vor den größten seit ihrer Gründung. Seit dem 1. Januar 2021 ist das Vereinigte Königreich – mit der Ausnahme Nordirlands – nicht mehr Teil des EU-Binnenmarkts. Die Folgen werden für die Menschen in der EU und für die Wirtschaft von Tag zu Tag spürbarer. Gleichzeitig hält die Coronapandemie Europa auch in diesem Jahr im Würgegriff; wir alle leiden in erheblichem Maße darunter.

Zum Glück ist es unter der deutschen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr letzten Jahres – Gott sei Dank – gelungen, einige dicke Brocken abzuräumen. Ich denke da an den neuen Mehrjährigen Finanzrahmen. Ich denke da an den Corona-Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“, aber auch an das Handels- und Kooperationsabkommen mit dem Vereinigten Königreich, auf das man sich ebenfalls kurz vor Jahresende einigen konnte. Wo stünden wir heute, wenn diese Einigungen auf europäischer Ebene gescheitert wären! Deshalb danke ich der Bundesregierung unter der Führung unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel noch einmal ausdrücklich für das, was sie während der deutschen Ratspräsidentschaft geleistet hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da die EU unter der deutschen Ratspräsidentschaft Handlungsfähigkeit bewiesen hat, kann sie sich nun verstärkt auch anderen Prioritäten widmen, zum Beispiel, wie sie sich geopolitisch besser aufstellen kann. Das internationale Umfeld hat sich durch den Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Joe Biden entsprechend verbessert. Nutzen wir dieses Momentum, um das transatlantische Band wieder zu stärken! Das gilt beispielsweise in der Handelspolitik, für die die Europäische Kommission letzte Woche eine neue Strategie vorgestellt hat. Werben wir bei unseren amerikanischen Freunden zum Beispiel dafür, die längst überfällige Reform der Welthandelsorganisation gemeinsam anzustoßen!

Was das Arbeitsprogramm bei EU-Kommission für das Jahr 2021 angeht, möchte ich mich auf einige Anmerkungen beschränken, die mir wichtig erscheinen:

Erstens. Auch in ihrem neuen Arbeitsprogramm fokussiert sich die EU-Kommission auf den Klimawandel und die digitale Transformation sowie auf die damit einhergehenden gesellschaftlichen großen Herausforderungen. Zum zentralen Thema Klimaschutz kündigt sie das sogenannte „Fit für 55“-Paket an, mit dem das neue ehrgeizige EU-Klimaziel für 2030 angepackt werden soll. Das ist im Ansatz auch richtig, da der Klimawandel trotz Corona langfristig die größte Herausforderung für Europa und die Menschheit an sich darstellt. Aber die EU-Politik muss angesichts der Pandemiefolgen jetzt ganz besonders darauf achten, dass die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gestärkt wird, wirtschaftliches Wachstum möglich bleibt und Beschäftigung gesichert wird. Das gilt ganz besonders für unseren Mittelstand. Denn unser Mittelstand wird das Rückgrat für die Erholung aus der Krise sein. Deswegen müssen wir ganz besonders darauf achten.

Zweitens. Ein Thema, das sich die aktuelle portugiesische Ratspräsidentschaft auf die Fahne geschrieben hat, ist das soziale Europa. Zur Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte will die EU-Kommission einen Aktionsplan vorlegen, der Anfang Mai auf einem hochrangigen Sozialgipfel in Porto verabschiedet werden soll.

(Christian Petry [SPD]: Ist auch richtig so!)

Ohne Frage hat die europäische Sozialpolitik ihre Verdienste und Berechtigung, zum Beispiel im Bereich der sozialen Koordinierung, und natürlich ist und bleibt Konvergenz der sozialen Bedingungen innerhalb der Europäischen Union gerade vor dem Hintergrund der unterschiedlich starken Auswirkungen der Coronapandemie auf die Mitgliedstaaten ein wichtiges Ziel. Aber – das will ich auch sagen – gerade weil die Coronapandemie unsere Wirtschaft tief getroffen hat, rate ich dazu, es mit vermeintlichen sozialen Wohltaten nicht zu übertreiben; denn nachhaltige soziale Verbesserungen wird es nur mit wirtschaftlichem Wachstum und einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit geben. In diesem Zusammenhang: Wir in Deutschland haben ein funktionierendes System der Lohnfindung und der Fortschreibung von Mindestlöhnen. Wir sollten dieses bewährte System nicht ohne Not über Bord werfen.

Drittens. Lassen Sie mich betonen: Es gibt sehr wohl eine Vielzahl von Bereichen, in denen wir dringend ein Mehr europäischer Lösungen benötigen. In wichtigen Bereichen liegen bereits Ideen und Vorschläge vor, an denen weiter gearbeitet werden muss. Ich nenne zum Beispiel die Außen- und Sicherheitspolitik, die Digitalisierung, die Gesundheitspolitik sowie Migration und Asyl.

Hervorheben möchte ich bei den unerledigten Hausaufgaben insbesondere die Debatte über die Reform zur europäischen Migrations- und Asylpolitik. Aktuell sinkt zwar die Zahl neu gestellter Asylanträge in der EU stark. Wir müssen aber genau jetzt diese Phase nutzen, um endlich zu einer gemeinsamen tragfähigen Lösung in der europäischen Migrationspolitik zu kommen.

Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich sagen: In so herausfordernden Zeiten wie diesen braucht es ganz besonders ein starkes und ein geschlossenes Europa. Lassen Sie uns gemeinsam weiterhin daran arbeiten!

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)