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Dr. Volker Ullrich: Wir müssen uns der historischen Verantwortung stellen

Redebeitraf zur Aufarbeitung von kolonialem Unrecht

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war richtig und notwendig, dass wir heute im Bundestag die Debatte über die Aufarbeitung unserer kolonialen Geschichte geführt haben. Es gehört zum demokratischen Grundkonsens in diesem Haus, dass die Aufarbeitung geschichtlichen Unrechts unserem Land Würde zurückgegeben hat. Das galt für die Aufarbeitung des NS-Unrechts, für die Aufarbeitung der SED-Diktatur; aber es muss auch für den Teil der Geschichte gelten, der zu lange im Dunkeln geblieben ist, nämlich die Aufarbeitung des kolonialen Unrechts.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was steckt dahinter, wenn 1884/1885 auf der sogenannten Kongokonferenz der Kontinent Afrika beinahe wie ein Kuchen – das ist angesprochen worden – aufgeteilt worden ist? Nichts anderes als ein menschenverachtendes und rassistisches Weltbild. Dieses Welt- und Menschenbild hat zu Gewaltherrschaft in weiten Teilen Afrikas geführt, mit furchtbaren Verbrechen, mit einem Völkermord an den Herero und Nama, mit einer blutigen Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstands in Tansania. Diese Gräueltaten dürfen nicht vergessen werden. Wir müssen uns der historischen Verantwortung stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Es hat mich nicht nur empört, sondern auch bedrückt, wie die Redner der AfD hier agiert haben, indem sie quasi nur von „Schuldkult“ gesprochen haben.

(Dr. Marc Jongen [AfD]: Haben wir nicht!)

Kein einziges Wort der Empathie mit den Opfern. Das ist beschämend, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Teil dieser Aufarbeitung behandelt die Frage, wie man mit Kulturgütern umgeht. Kulturgegenstände sind Zeichen von Erinnerung, von Identität und Wertschätzung. Deswegen ist es richtig, dass wir diesen Teil, die Identität, auch den afrikanischen Staaten zurückgeben, denen er vor über 100 Jahren geraubt worden ist. Man muss auch sagen: „geraubt“. Denn selbst wenn die Kulturgegenstände – in Anführungszeichen – „hergeschenkt“ oder „verkauft“ worden sind, lag doch dem Erwerb eine strukturelle Ungleichheit gegenüber: da die Gewaltherrschaft und dort die Abgabe der Kulturgegenstände.

Deswegen brauchen wir einen gemeinsamen Dialog. Wir brauchen eine Provenienzforschung. Wir brauchen entsprechende Mittel, um diese Gegenstände zurückzukaufen und in einem gemeinsamen Dialog und Rückgabeprozess an die Herkunftsländer zu geben. Ich glaube, das ist nicht nur eine deutsche, sondern auch eine gesamteuropäische Verantwortung.

Dann müssen wir darüber sprechen, wie wir mit den afrikanischen Staaten insgesamt umgehen. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir nicht mehr von einer Politik für Afrika sprechen. Afrika ist ein Kontinent mit 54 Nationen und 30 Millionen Quadratkilometern. Es geht um einen Dialog und eine Politik mit den afrikanischen Staaten.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es geht um Augenhöhe, und es geht um Verständnis. Deswegen ist die Debatte so wichtig.

Wir müssen uns fragen: In welcher Welt wollen wir leben? Ich glaube, wir können nur in einer vernetzten Welt des Respekts und des Miteinanders leben. Da ist unsere ehrliche und offene Aufarbeitung der kolonialen Geschichte ein wichtiger Baustein, um diesen Respekt und dieses Miteinander weiter zu fördern. In diesem Sinne arbeiten wir an den Anträgen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)