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Dr. Saskia Ludwig: Europa ist eine Notwendigkeit, nicht immer geliebt, aber die richtige Antwort auf jetzige und zukünftige Herausforderungen

Redebeitrag in der aktuellen Stunde zur Absage der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte FDP, die Partei der Freiheit und der großen Diplomatie – ich denke da an Herrn Genscher – will mit dem Holzhammer anstatt mit dem Florett beim Thema Rechtsstaatlichkeit vorgehen. Das finde ich schon spannend.

Ich bin in der DDR geboren und aufgewachsen, in einer Familie, die mir Respekt vor anderen Lebensentwürfen beigebracht hat und Mut, für das Richtige einzustehen – und das zu einer Zeit, wo es wirklich gefährlich war, eine eigene Meinung jenseits der offiziellen Verlautbarungen zu haben, einer Zeit, wo allein die Äußerung des Wunsches, andere Länder außer sozialistische sehen zu wollen, dazu führte, nicht das studieren zu können, was man gern wollte.

1982 – da war ich 14 Jahre alt – wurde Helmut Kohl, später Kanzler der Einheit, Bundeskanzler. 1986 – da war ich gerade 18 – traten Spanien und Portugal der Europäischen Gemeinschaft bei. Und schon damals, als Jugendliche, wollte ich gerne Teil dieses freien und rechtsstaatlichen Europas sein.

Ich war 21, als Außenminister Genscher damals in der Botschaft in der Tschechei verkündet hat, dass die diejenigen, die in Freiheit gehen wollten, ausreisen durften. Und wir wissen, dass das der Anfang vom Ende der DDR war. Dafür bin ich Herrn Genscher auch heute noch sehr, sehr dankbar.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich freue mich auch, dass der FDP hier im Haus zu wenig über Europa geredet wird. Ich möchte nicht alles wiederholen, was meine Kollegen zu Recht im Vorfeld gesagt haben. Ich begreife die Aktuelle Stunde zu Europa nicht als Pflichtveranstaltung, sondern gerade als eine echte Gelegenheit. Auch wenn ich die letzte Rednerin zum letzten Tagesordnungspunkt bin, ist es doch meine erste Rede in diesem Hohen Haus.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der AfD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insofern erlauben Sie mir einen etwas anderen Blick auf die Debatte. Ich möchte Europa eher aus meinem Wahlkreis heraus betrachten. Ich weiß nämlich, nachdem ich mit vielen diskutiert habe, dass die Menschen gerade im 30. Jahr der Wiedervereinigung wirklich Europa leben und erleben möchten. Und das gehörte zu jenen Freiheitsträumen, die wir damals, 1989/90, hatten. Wir haben dieses neue Europa in den ersten Jahren voller Hoffnung gewollt und begrüßt.

Dazu gehörte durchaus auch die Osterweiterung der EU. Gerade Polen und die damalige CSSR waren für die Bürgerrechtsbewegung in der DDR von sehr großer Bedeutung – und nicht zu vergessen die besondere Bedeutung Ungarns bei der Öffnung des Eisernen Vorhangs.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!)

Es wird relativ wenig daran erinnert, was für eine große Leistung auch gerade die karitativen Organisationen damals in Ungarn leisteten. Ich weiß es nämlich persönlich, weil die Malteser mich damals empfangen haben, als ich es noch vor dem Mauerfall geschafft hatte, in Ungarn anzukommen. Natürlich war es aus heutiger Sicht völlig richtig und notwendig, dass diese Länder im Zuge des EU-Beitritts erhebliche Hilfen und Unterstützung erhalten haben.

Gerade als Bürgerin aus den neuen Bundesländern habe ich allerdings in den vergangenen Jahren mit einigem Unbehagen die politischen Entwicklungen in Europa verfolgt.

(Johannes Schraps [SPD]: Ich auch!)

Wir haben – neben dem Brexit – leider auch so einige Skepsis gegenüber der jetzigen EU bei unseren östlichen Freunden hervorgerufen. Antwort darauf sollte aber nicht finanzielle Erpressung sein, sondern Vertragstreue und Diplomatie. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der FDP, ein weiteres Verschärfen des Tones wird garantiert nicht zu einem guten Ergebnis führen.

Gerade in Krisenzeiten – wie ganz aktuell – brauchen wir ein starkes und gemeinschaftlich agierendes Europa. Wir müssen den Menschen gerade in diesen Zeiten die Vorteile der EU aufzeigen und dürfen nicht wie die Linken agieren. Ich glaube, einer von ihnen ist gerade noch da. Schön, dass Sie noch bis zum Ende durchhalten! Schönen Gruß an die Kollegen und an Herrn Dehm!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der AfD und der FDP)

Mit Sozialismus sollten wir den Leuten jetzt gerade weiß Gott nicht Angst machen. Vielmehr gehört dazu, dass wir die regionalen Sorgen und Nöte unserer Bürger in die europäischen Institutionen tragen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Diejenigen, die Sparsamkeit anmahnen, sollten wir nicht „geizige Vier“ nennen. Und dass die Linken sich jetzt hier als die Gralshüter der Demokratie aufspielen, obwohl sie uns vor über 30 Jahren eingebrockt haben, dass wir auch heute noch finanzielle Lasten zu tragen haben, finde ich hoch erstaunlich.

Wie wird Europa in meinem Wahlkreis sichtbar? An die AfD: Es gibt weiß Gott nicht nur diese abstrusen Projekte, von denen Sie sprechen. Ich möchte Ihnen nur mal zwei nennen, wo Europa wahnsinnig wichtig ist:

Erstes Beispiel: das Thema Umwelt- und Klimaschutz, ganz konkret die Wasserknappheit. Ich habe bei mir im Wahlkreis den Seddiner See, der einen dramatisch gesunkenen Wasserspiegel hat. Nach Expertenaussagen fehlen dem Gewässer circa 1,3 Millionen Kubikmeter Wasser, und das allein durch die hohe Verdunstung in den letzten drei Jahren. Wir haben in Brandenburg Seen, die hauptsächlich vom Grundwasser gespeist sind. Das macht das eigentliche Problem deutlich, das sich damit verbindet, dass wir eine extreme Absenkung des Wasserspiegels haben.

Die Wasserknappheit ist zwar jeweils ein regionales Thema, aber wir können es nur europäisch lösen. Nur gemeinsam können wir dieses existenzielle Problem angehen, und hierfür brauchen wir die EU.

Zweites Beispiel: die Entwicklung der Region Lausitz. Wir haben endlich einen Kohlekompromiss: Kohleausstieg bis 2038, verbunden mit den CO2-Zielen der EU. Was aber unlauter ist und wieder Verunsicherung bringt, ist die Debatte, die jetzt vonseiten der Grünen aufgemacht wird, nämlich diesen Kompromiss wieder aufschnüren zu wollen und über den Kohleausstieg 2030 zu debattieren. Das ist unlauter. Die Strukturmittel und auch die Zeit bis 2038 brauchen wir für den Strukturwandel und auch für die Sicherheit der Arbeitsplätze vor Ort. Auch das ist eine gemeinsame Kraftanstrengung, die wir allein nicht schaffen, sondern nur mit der EU zusammen. Dafür brauchen wir die EU. – Alle Themen, die ich genannt habe, wurden und werden übrigens auch im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft angesprochen und geklärt.

Nicht zu vergessen ist die gelebte Menschlichkeit.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Letzter Satz.

 

Dr. Saskia Ludwig (CDU/CSU):

Erlauben Sie mir noch eine kleine Anmerkung. – Ob die Oderflut in Brandenburg, das Erdbeben in Griechenland – man vergisst es manchmal – oder jetzt aktuell die medizinische Betreuung von französischen Coronapatienten: Wir helfen einander, wir respektieren unsere Ansichten, wir sind ein Europa. Und nur so funktioniert Partnerschaft.

Europa ist eine Notwendigkeit, nicht immer geliebt, aber die richtige Antwort auf jetzige und zukünftige Herausforderungen. Und ich bin froh, dass Deutschland in dieser herausfordernden Zeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)