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Dr. Norbert Röttgen: "Das ist ein nationaler, grüner Sonderweg"

Rede zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Unter anderem ist ein Antrag der Grünen Teil der Debatte; die Kollegin Brugger hat dazu gerade gesprochen. Ich finde, es ist Sinn unserer Debatten, dass wir uns auch miteinander unterhalten und aufeinander eingehen, auch auf die unterschiedlichen Positionen. Darum will ich jetzt gar nicht so sehr die Position der CDU/CSU darlegen, sondern mich mit Ihrem Antrag beschäftigen.

Der Antrag ist auch deshalb interessant, weil er aus zwei ganz unterschiedlichen Teilen besteht, nämlich aus einem beschreibenden, analytischen Teil und aus einem Forderungsteil. Das Interessante an diesem Antrag ist, dass der Forderungsteil und der beschreibend-analytische Teil wenig miteinander zu tun haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich glaube, das ist das Ergebnis einer bestimmten Form der Kompromissfindung in Ihrer Fraktion. Man konnte sich nicht einigen und hat dann gesagt, dass die einen die Lage beschreiben – sehr realistisch – und die anderen die Forderungen stellen dürfen, grün-ideologisch. Das ist eine Form von Kompromissbildung, die ich nicht als Beispiel für eine europäische Kompromissbildung he­ranziehen möchte. Dieser Versuch ist auch ein bisschen billig. Darum mögen Sie nachvollziehen, dass ich mich mit diesem Antrag beschäftigen möchte.

Erstens zum beschreibend-analytischen Teil. Nicht jeden Satz, aber die Beschreibung kann ich unterstreichen. Ich will darum auch ganz kurz daraus zitieren. Sie sagen, Europa müsse mehr für die eigene Sicherheit tun, wir müssten mehr Verantwortung übernehmen, wir müssten handlungsfähiger werden, wir müssten die gesamte Bandbreite der politischen Möglichkeiten nutzen – also präventiv, zivil, politisch –, aber auch die militärische Handlungsfähigkeit Europas müsse gestärkt werden, die Instrumente müssten ineinandergreifen. Militärische Gewaltanwendung löst kein Problem. Aber sie muss eine Möglichkeit, Ultima Ratio in bestimmten Konfliktsituationen sein. Das stimmt, das ist richtig. Ich glaube, von der CDU/CSU bekommen Sie dafür volle Unterstützung. In Ihrer eigenen Fraktion, glaube ich, stimmt auch die Hälfte zu. Das ist ein Erfolg für die Geschichte der Grünen; das möchte ich anerkennen. Der beschreibend-analytische Teil ist also gut. Auch die Herausforderungen werden beschrieben – ich nenne die Stichworte –: China, Russland, Nordafrika, Mittlerer Osten, Iran, Saudi-Arabien und die USA.

Jetzt komme ich zu dem Forderungsteil. 38 Forderungen der Grünen werden aufgelistet. Da kann man nur sagen: Das ist das reine grüne Wunschkonzert; das hat mit der Realität in Europa gar nichts zu tun. Es ist keine neue Idee dabei, es ist auch kein Impuls dabei, sondern es sind die alten grünen Forderungen – was so weit okay wäre. Aber dabei stellt sich ein Problem. Sie haben richtig beschrieben: Europa muss entstehen, muss handlungsfähig werden, und um handlungsfähig zu werden, muss Europa einig werden. Wir müssen kompromissfähig sein, wir müssen aufeinander zugehen. Aber in Ihren Forderungen gehen Sie nicht einen einzigen Millimeter auf irgendjemanden in Europa zu. Darum ist Ihr grüner Forderungskatalog, der das gesamte europäische Umfeld ignoriert, ein Ausdruck genau des Problems, das Sie im ersten Teil beschrieben haben, aber keine Lösung, nicht an einer Stelle. Nicht eine der 38 Forderungen ist geeignet, irgendeines der Probleme, die Sie vorher eindrucksvoll beschrieben haben, zu lösen. Darum ist das leider ein sehr enttäuschendes Papier: Es ist abstrakt richtig, aber im Konkreten unfähig.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP] – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine sehr enttäuschende Rede, Herr Röttgen!)

Ich will an zwei Beispielen sagen, wo die Notwendigkeit für Kompromisse besteht. Sie sprechen in dem Papier davon, dass europäische Verteidigungsfähigkeit auch voraussetzt, eine europäische Rüstungsindustrie zu entwickeln, dass wir also zusammenkommen müssen. Das schreiben Sie im analytischen Teil. Im Forderungsteil sagen Sie klipp und klar: Waffenlieferungen an Saudi-Arabien sind unbefristet und kategorisch zu stoppen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Das kann man als Position vertreten – das finden Sie richtig –; der Punkt ist nur, dass das nichts mit der Politik von Frankreich und Großbritannien zu tun hat, sondern das glatte Gegenteil dessen ist, wie der Fall in beiden Ländern gesehen wird.

(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hat auch nichts mit einem gemeinsamen europäischen Standpunkt zu tun!)

Staatspräsident Macron erklärt: Der Mord an dem saudischen Journalisten Khashoggi ist die eine Sache; Waffenlieferungen an Saudi-Arabien sind eine ganz andere Sache, die damit nichts zu tun hat.

(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich teile die Meinung von Staatspräsident Macron nicht. Aber wir müssen uns mit den Realitäten auseinandersetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wenn wir Einigkeit wollen, dann setzt das auch in Deutschland Kompromissfähigkeit voraus. Das müssen die Grünen einmal verinnerlichen!

Sie schlagen vor, dass sich Deutschland für ein atomwaffenfreies Europa einsetzen soll.

(Beifall des Abg. Andrej Hunko [DIE LINKE])

Das heißt, sie wollen Frankreich und Großbritannien mitteilen, dass sie ihre Atomwaffen verschrotten, abschaffen sollen. Gleichzeitig gibt es ein Land in Europa, das sowohl europäisch wie asiatisch ist. Also gibt es in Russland weiter Atomwaffen, aber im Rest Europas nicht?

(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Absurd!)

– Das ist Ihre Position; Sie haben sie aufgeschrieben.

Meine Damen und Herren, wenn dieses Papier irgendwo in Europa gelesen werden sollte – ich glaube, die Aussicht darauf ist relativ bescheiden – oder wenn wir uns nur für einen Moment vorstellen, das wäre deutsche Regierungspolitik, würde das mehr als ein Kopfschütteln in ganz Europa auslösen. Man würde sagen: Deutschland kümmert sich überhaupt nicht mehr um seine europäischen Nachbarn. – Das ist ein nationaler, grüner Sonderweg, und der ist nicht europafähig, meine Damen und Herren. Das haben Sie in diesem Papier zum Ausdruck gebracht – zu meinem großen Bedauern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)