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Detlef Seif: "Wir streben eine enge und freundschaftliche Partnerschaft an"

Rede zur Partnerschaft EU - Vereinigtes Königreich

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es lässt sich nicht mit Sicherheit vorhersehen, ob der Brexit für das Vereinigte Königreich längerfristig positiv ist oder zu einem großen Schaden im Lande führen wird. Eines ist aber gewiss: Das Land hat einen sehr steinigen Weg vor sich.

Vize-Premierminister Michael Gove hat die Wirtschaft Anfang der Woche darauf eingeschworen, dass es in den nächsten Jahren keinen reibungslosen Handel mit der Europäischen Union geben wird. Bisher hat man den Landsleuten in Partylaune wohlklingend gesagt: Make Brexit a success – mache den Brexit zum Erfolg –, get Brexit done – lasst es uns endlich durchziehen –, dann geht es uns besser.

Bereits Ende 2018 kam die britische Regierung in einer Wirtschaftsanalyse selbst zu dem Ergebnis, dass die Wirtschaftsleistung des Landes nach dem Brexit bei Zugrundelegung des Szenarios eines Freihandelsabkommen um 3,4 bis 6,4 Prozent schrumpfen wird. Das sind nicht nur für Ökonomen Hammerzahlen, verbergen sich dahinter doch Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche, politische und soziale Verwerfungen.

Es gibt jetzt schon einen deutlichen Abwärtstrend. Er könnte auch die innere Sicherheit des Landes berühren. Zum Beispiel ist in der Wirtschaft die Automobilbranche betroffen: Honda schließt 2021 sein Werk in Swindon. Nissan hat davon Abstand genommen, seinen Geländewagen im Vereinigten Königreich in Sunderland zu produzieren, und überlegt, seine Produktion ganz nach Japan zu verlagern. Toyota macht seinen Verbleib davon abhängig, ob jetzt Handelshemmnisse entstehen. Jaguar Land Rover streicht 4 500 Arbeitsplätze im Zuge des Brexits. Ford schließt im September 2020 sein Motorenwerk. Die Verlagerung der Opel-Astra-Produktion steht im Raum. BMW hat angekündigt, seine drei Werke im Land zu schließen, sollten Störungen in den Lieferketten entstehen. Meine Damen und Herren, Zulieferer und andere Unternehmen sind bereits abgezogen. Das ist ein starkes Ding. Das müssen wir uns vor Augen halten. Deshalb: Lassen Sie diese Schönrederei bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch der Zusammenhalt des Landes ist gefährdet. Selbst wenn man Schottland ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum verweigert: Im Prinzip ist die Krisensituation im Land vorhanden. Sinn Féin ist in der Republik Irland eine starke Kraft geworden. Sie setzt sich für die Wiedervereinigung Irlands ein. Was für Irritationen und Zentrifugalkräfte entstehen dort zurzeit? Diese hat doch niemand mehr unter Kontrolle.

(Beifall des Abg. Benjamin Strasser [FDP])

Meine Damen und Herren, auch in Richtung AfD, weil wir etwas anderes gehört haben: Wenn wir eines aus dem Brexit lernen müssen, dann das, gegen Fake News, falsche Informationen, und Populismus noch deutlicher und intensiver vorzugehen, als wir es bisher gemacht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Jürgen Braun [AfD]: George Orwell lässt grüßen!)

Wenn sich dieser Geist in den weiteren Verhandlungen fortsetzen sollte, dann sehe ich düster. Das bisherige Verfahren hat deutlich gemacht, was eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union bedeutet. Nahezu alle Bereiche sind betroffen. Wir sind eng miteinander verwoben und verzahnt. Das kann man nicht einfach auseinanderreißen.

(Zuruf von der AfD: Doch!)

Mit Ablauf der Übergangsfrist fallen Tausende Regelungen weg. Es ist ausgeschlossen, dass wir in der Kürze der Zeit auch nur annähernd ein zufriedenstellendes, umfassendes Abkommen finden können. Es muss deshalb das Ziel sein, so viel wie möglich zu vereinbaren. Dazu gehören Regelungen zu den wirtschaftlichen Beziehungen, zur Sicherheitspartnerschaft und zu den Themen, die von vorrangigem Interesse sind. Es ist schade, dass sich die FDP bei dem Punkt nicht beteiligt, weil ich weiß, dass wir insgesamt auf derselben Linie liegen.

(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Wir beteiligen uns mit einem eigenen Antrag!)

Aber wenn man jetzt EU-only festschriebe, würde man verhindern, dass in anderen Punkten, die vielleicht in die Zuständigkeit von Mitgliedstaaten fallen, Regelungen bis zum 31. Dezember 2020 ausgeschlossen wären. Und deshalb können wir uns diesem Ansatz leider auch nicht anschließen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Boris Johnson und seine Berater stellen auch jetzt schon Kernaussagen der Politischen Erklärung infrage. Eine Bindung an EU-Standards sei nicht sinnvoll. Das Vereinigte Königreich hat ja selbst hohe Standards. Warum sollte man sich dann irgendwie binden? Der Europäische Gerichtshof sollte im Wege einer Vorabentscheidung Berücksichtigung finden. Das Gericht solle nun keine Rolle mehr spielen.

Meine Damen und Herren, auch in Zukunft streben wir natürlich eine enge und freundschaftliche Partnerschaft an. Aber eines ist doch klar: Es geht nicht um jeden Preis. Deshalb müssen wir unseren britischen Freunden klarmachen, dass das Vereinigte Königreich nur dann einen breiten Zugang zum Binnenmarkt haben kann, wenn es auch unsere Standards einhält und wenn dadurch das Projekt Europäische Union nicht gefährdet ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)