Skip to main content

Alois Karl: Wohlstand zum Nulltarif wird es nicht geben

Rede zur nationalstaatlichen Souveränität bei EU-Corona-Hilfen

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Europa befinden wir uns in der Krise; das ist allenthalben bekannt. Wir fühlen mit Hunderttausenden von Kranken mit. Wir betrauern Tausende von Toten in allen Ländern Europas. Wir sind sicher, dass sich die Krise wieder lösen wird. Wir sind eine stabile Gesellschaft in Deutschland. Die Menschen üben Verzicht und zeigen gegenseitigen Respekt. Wir sind wirtschaftlich ein starkes Land, und zwar deshalb, weil wir in den letzten sechs Jahren ausgeglichene Haushalte auf den Weg gebracht haben, keine neuen Schulden gemacht haben, Rücklagen angelegt haben, Haushalte mit Überschüssen ausgewiesen haben und die Sozialversicherungssysteme wieder auf hervorragende Fundamente gestellt haben.

Viele Notmaßnahmen sind angelaufen; das wissen Sie. Wenn man alles zusammenzählt, die Hilfen und die Bürgschaften des Bundes und der bundeseigenen KfW-Bank, sind es mehr als 1,4 Billionen Euro.

Wir unterstützen geradezu auf jedem Gebiet – Familien und Alleinerziehende, Künstler, Solo-Selbstständige, Start-ups, größere und kleinere Unternehmungen –, und wir verschulden uns natürlich, sodass einem Haushälter fast schwindelig werden könnte. Wir wissen aber, dass wir uns gegen diese Pandemie und die wirtschaftlichen Folgen stemmen müssen. Wir sind ein exportstarkes Land. Jeder dritte Arbeitsplatz hängt mit dem Export zusammen. 60 Prozent unserer Exporte gehen nach Europa.

Wir wissen aber auch, meine Damen und Herren, dass es unvorstellbar ist, dass wir unseren deutschen Wohlstand künftig wieder haben werden, wenn es nicht auch den europäischen Partnern gut geht. Wohlstand zum Nulltarif wird es nicht geben. Unser Wohlstand hängt untrennbar mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in anderen Ländern zusammen.

Im letzten Jahr hatten wir Handelsüberschüsse von 276 Milliarden Euro, und der italienische Ministerpräsident wirft uns deswegen auch Egoismus vor; wir würden zu sehr auf eigene Vorteile schauen. Conte vergisst allerdings, dass wir in Europa der größte Zuschussgeber sind, dass wir die größten Haftungszusagen machen und dass wir auch in der jetzigen Situation gewillt sind, die Bewältigung der europäischen Krise mit zu finanzieren.

Der Antrag der AfD-Fraktion ist dagegen geradezu grotesk, geradezu beschämend, möchte ich sagen. Ihr Antrag ist in einem einzigen Duktus gehalten: keine europäische Hilfestellung unter deutscher Beteiligung, in der jetzigen Notsituation keine weiteren Kreditlinien, in der jetzigen Notsituation keine neuen Garantiefonds, in der jetzigen Notsituation keine Finanzhilfen, in der jetzigen Notsituation keine weiteren Ankäufe der Europäischen Zentralbank. Das zeigt das Bild der AfD. Es zeigt Ihr wahres Gesicht. Es ist entlarvend, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ihr Ansatz ist abgrundtief falsch.

Wir verschreiben uns schon einer europäischen Solidarität. Wir sind Europäer, und wir sind nicht Egoisten und nicht Egomanen. Wir wissen, dass wir in den letzten 60 Jahren gerade durch ein vereintes Europa die besten Jahre in der jüngeren Geschichte hatten. Anstelle von „Deutschland, Deutschland über alles“ singen wir lieber die Europahymne, in der es heißt: „Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein“, und wir haben viele Freunde in Europa.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Darauf sind wir stolz, und das möchten wir auch in den nächsten Jahren so halten. Wir haben anderen viel zu verdanken. Ich erwähne bloß beispielhaft den Marshallplan oder ERP-Darlehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere politische Ausrichtung ist eine europäische. Das ist die Philosophie, unsere Politik, das Credo und unser europäischer Kompass. Glücklicherweise sind wir vereint, in der Tat. Wir sind Europäer und keine Egomanen – ich habe das schon gesagt –, und Ihr Antrag, den Sie gerade noch einmal zum Schluss zusammengefasst haben, beinhaltet, dass wir eigenbrötlerisch tätig sein sollen, aber nichts mit Europa und mit unseren Partnern zu tun haben sollen.

Wir unterstützen die europäischen Finanzminister mit ihrem 500-Milliarden-Euro-Programm, das sie vorgeschlagen haben. Im Gegensatz zur AfD sind wir für die Reaktivierung des ESM mit mehr als 400 Milliarden Euro Ressourcen, die dort geparkt sind. Im Gegensatz zur AfD unterstützen wir einen neuen EU-Fonds SURE für die Kurzarbeiterregelung in anderen Ländern. Im Gegensatz zur AfD kommen wir auch der Europäischen Investitionsbank zu Hilfe, wenn ein neuer Garantiefonds aufgelegt wird. Dies bringt viele Milliarden mit geringen Garantiesummen und hohen Hebelwirkungen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir alle müssen wissen: Auch bei diesen Hilfsprogrammen profitieren ebenfalls wir Deutsche. Die Krise ist auch eine Chance für uns. In China gibt es ein Schriftzeichen, das „Chance“ und „Krise“ beinhaltet. Wir müssen diese Chancen, die uns gegeben sind, jedoch nutzen, auch mit unserem Geld.

Meine Damen und Herren, wir gehen Risiken ein; das wissen wir. Aber eines machen wir nicht, nämlich dass wir Risiken eingehen, bei denen wir in unbegrenzter Höhe und gesamtschuldnerisch haften. Bonds, ob sie Corona- oder Euro-Bonds oder sonst wie heißen, lehnen wir rundweg ab. Es würde nicht weiterhelfen, die Diskussion so zu führen, aber auch die Anträge der AfD helfen nicht weiter. Denn man darf Partner in Europa nicht dazu anhalten, wie Sie das schreiben, aus dem Euro auszutreten.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege.

 

Alois Karl (CDU/CSU):

Das ist doch das Gegenteil von europäischer Solidarität, und deswegen werden wir Ihren Antrag samt und sonders ablehnen. Ihr Antrag bedeutet, Pest oder Cholera zu wählen. Wir wählen natürlich keines von beiden. Wir wählen die politische Prosperität in Europa.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, bitte.

 

Alois Karl (CDU/CSU):

Wir wählen ein weiter zusammenwachsendes Europa.

Ich danke Ihnen herzlich. – Wir haben ein gutes Parlament, lieber Herr Präsident, –

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Das rettet Sie jetzt auch nicht mehr.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)