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Alexander Dobrindt: Wir stehen auf der Seite der Solidarität

Redebeitrag zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir brauchen Europa als Wachstumsgaranten. Deswegen, lieber Herr Weyel, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, was Sie versuchen hier bezüglich der Politik Deutschlands gegenüber Europa darzustellen. Sie reden jetzt in dieser Phase darüber, dass es eine Antisubsidiaritätsorgie gebe, Sie reden von Veruntreuung von Steuergeldern. Das ist ja alles in der Tradition dessen, was man in den letzten Tagen gehört hat. Ihr Kollege Gottschalk spricht von Deutschland als Melkkuh Europas.

Ich kann Ihnen nur sagen: Es macht einen entscheidenden Unterschied, ob der Nachbar in Schwierigkeiten geraten ist, weil er seine Lohntüte verzockt hat oder weil er durch eine Katastrophe betroffen ist, die er nicht selbst verschuldet hat. Genau dieser Unterschied macht dann auch aus, ob wir solidarisch sind oder ob wir skeptisch gegenüber unserem Nachbarn sind. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir stehen auf der Seite der Solidarität. Es macht für uns eben einen Unterschied. Ich will Ihnen an dieser Stelle sagen: Wer in dieser entscheidenden Phase Europas davon spricht, dass Deutschland die Melkkuh ist, weil wir uns finanziell engagieren, der muss aufpassen, dass er nicht zum Rindvieh in diesem Parlament wird, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Jan Korte [DIE LINKE]: War jetzt nicht so schlecht!)

Wir brauchen ein Europa im Aufschwung. Wenn Europa im Abschwung ist, kann Deutschland nicht in einen Aufschwung kommen. Deswegen ist es umso bedeutender, dass wir jetzt in unserer Ratspräsidentschaft nicht nur ein Paket zur Bewältigung der Krise schnüren, sondern dass wir vor allem auch eine Agenda für den Aufbruch schnüren.

Zu dieser Agenda für den Aufbruch gehört natürlich, dass wir über ein souveränes Deutschland und über ein souveränes Europa reden, dass wir über Innovationen in Deutschland und in Europa reden, dass wir die Widerstandsfähigkeit Europas stärken bzw. – so nennt es die Bundeskanzlerin – dass wir an einem starken Europa bauen. Das ist uns übrigens schon einmal gelungen: in unserer letzten Ratspräsidentschaft 2007. Ich darf mal daran erinnern: Damals war Europa auch in einer politischen Krise. Der europäische Verfassungsvertrag war gescheitert, weil die Bevölkerung ihn in Referenden abgelehnt hat. Damals haben wir mit der Berliner Erklärung den Weg aus der Krise gewiesen.

Heute steht Europa vor noch größeren Herausforderungen. Unsere Ratspräsidentschaft muss die Agenda des Aufbruchs bringen mit Souveränität, mit Wachstum, ja, natürlich auch mit ökologischem Wachstum; auch das gehört dazu. Wir müssen den Willen haben, als Europa ein aktiver Spieler auf der Weltbühne zu sein und nicht der Spielball zwischen den Machtzentren.

Ein aktiver Welthandel gehört natürlich dazu. Ja, Wettbewerb und Partnerschaft gehören gleichermaßen dazu. Dazu gehört, den internationalen Austausch auch im Bereich der Wirtschaft zu aktivieren und zu pflegen. Aber es gehört nicht dazu, einseitige Abhängigkeiten zu bestimmten Regionen der Welt zu akzeptieren.

Deswegen ist es ein besonders wichtiges Signal dieser Koalition, dass wir die Souveränität in unserem Paket zur Krisenbewältigung stark betont haben, unter anderem hinsichtlich der Versorgung mit Medikamenten, der Versorgung mit medizinischen Produkten. Da Deutschland und Europa zu stärken, die Produktion wieder mehr bei uns zu beheimaten – auch das ist eine Aufgabe. Ich bin Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sehr dankbar, dass er mit der Impfallianz gemeinsam mit Frankreich, Italien und den Niederlanden dafür gesorgt hat, dass wir zukünftig Zugriff auf circa 300 Millionen Impfdosen haben, wenn der Impfstoff wirkt und zur Verfügung gestellt wird. Auch das ist ein wichtiger Beitrag für eine europäische Souveränitätsoffensive, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Natürlich geht es auch um Sicherheit. Es geht auch um Schlüsseltechnologien. Es geht um künstliche Intelligenz. Es geht um Quantencomputer. Es geht darum, dass wir in Europa auf eigenen Beinen stehen können. Es geht darum, dass wir die Abhängigkeiten reduzieren. Deswegen, Frau Bundeskanzlerin, lautet unsere dringende Bitte, das Thema Souveränität auch zu einem Schwerpunkt unserer Ratspräsidentschaft zu machen.

Meine Damen und Herren, das Geld, um das es geht und das angesprochen worden ist, muss in die Modernisierung der europäischen Staaten fließen und darf nicht zur Verlängerung von maroden Haushalten führen. Das ist ein Teil unseres Projektes. Lieber Martin Schulz, ich darf Sie an dieser Stelle ansprechen, weil Sie in Ihrer Rede despektierlich über die sogenannten sparsamen Vier gesprochen haben. Ich habe keinen Zweifel an Ihrer europäischen Kompetenz und Ihrer langen Erfahrung in Brüssel und in Europa. Aber ich glaube, dass man sehr vorsichtig damit umgehen muss. Nicht alles, was da von diesen Vieren vorgeschlagen wird, hat unsere Zustimmung, erst recht nicht meine Zustimmung. Aber dass man diejenigen, die versuchen, sich für solide Finanzen in Europa einzusetzen, pauschal als Reichtumseparatisten diffamiert, das ist der falsche Weg; denn das spielt genau denjenigen in die Hände, die entweder Dauerschulden wollen oder die raus aus Europa wollen. Das ist nicht unser Ziel.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, noch einen Punkt an dieser Stelle, weil auch er dazugehört. Wir haben in den vergangenen Wochen ein Urteil des Verfassungsgerichtes zum Handeln der EZB bekommen. Dies spielt – das muss es auch – bei den weiteren Beratungen eine große Rolle, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Brüssel. Das Verfassungsgericht hat sich nicht nur mit den Finanzen auseinandergesetzt, sondern auch mit der zentralen Frage des Verhältnisses der Mitgliedstaaten gegenüber der Europäischen Union. Meine Bitte, Frau Bundeskanzlerin, ist – auch das muss angesprochen werden –: die Reaktion Brüssels, die Reaktion der Europäischen Union und die Reaktion der europäischen Institutionen auf ein Gerichtsurteil des Bundesverfassungsgerichts. Ich fordere mehr Sensibilität ein. Überheblichkeit der europäischen Institutionen in Bezug auf ein Urteil des deutschen Verfassungsgerichts ist nicht akzeptabel. Wenn ein EZB-Ratsmitglied sagt, das Urteil sei lächerlich, und die Kommission möglicherweise mit einem Vertragsverletzungsverfahren droht, dann kann man nur sagen: Ein Europa der Akzeptanz braucht Argumente und weniger Arroganz.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)