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Volker Kauder Foto
(Quelle: Laurence Chaperon)

"Nicht kleinlich sein"

Volker Kauder im Interview mit der NOZ

Volker Kauder zu Entschädigung wegen Ernteausfällen: „Wir sollten in dieser Situation nicht kleinlich sein. Landwirte erzeugen unsere Lebensmittel und pflegen unsere Kulturlandschaft.“ Interview aus der Neuen Osnabrücker Zeitung. 

Herr Kauder, Landwirtschaft in der Krise. Muss es Hilfe für die von Missernte geplagten Bauern geben? 
Kauder: Wir erleben gerade eine außergewöhnliche Trockenheit. Der Norden Deutschlands ist stark betroffen. In dieser Ausnahmesituation ist es dringend notwendig, der Landwirtschaft zu helfen. Solche Forderungen unterstütze ich aus voller Überzeugung. Die Entscheidung darüber muss aber nicht sofort fallen. Ich halte den Vorschlag von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner für sinnvoll, erst Ende August über den Umfang der Hilfe zu entscheiden, wenn das Ausmaß der Schäden ermittelt ist. Der Kurs ist richtig, die Ernte abzuwarten und dann zu entscheiden, wie viel Geld fließen muss. 

Muss es eine Milliarde sein, wie der Bauernverband fordert? 
Kauder: Ich rede jetzt nicht von konkreten Beträgen, aber ich rate dringend: Wir sollten in dieser Situation nicht kleinlich sein. Die Landwirte erzeugen unsere Lebensmittel und pflegen unsere Kulturlandschaft.

Blicken wir auf die Krise der Union: Haben Sie sich vom Blick in den Abgrund erholt? 
Kauder: Sie meinen die wirklich heftige Auseinandersetzung in der Union über die Flüchtlingspolitik?  In den Abgrund habe ich dabei nicht geblickt, auch wenn die Situation sicher schwierig war. Aber entgegen mancher Behauptung stand die Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU nie auf dem Spiel. Wir wissen, nur gemeinsam sind wir stark.

Das Ende der Großen Koalition schien Ende Juni sehr nahe, weil CSU-Chef Seehofer im Asylstreit mit Rücktritt drohte. Wie oft kann ein Politiker so etwas machen? 
Kauder: Sie sehen, die Große Koalition steht und regiert weiter. Wir haben seitdem den Haushalt für das laufende Jahr verabschiedet und bereiten den Etat für 2019 vor. Wir nehmen Reformprojekte bei Pflege und Gesundheit in Angriff und wir werden ein Fachkräftezuwanderungsgesetz auf den Weg bringen. Die Große Koalition muss jetzt das tun, was die Menschen von ihr erwarten: Deutschland in unruhiger Zeit auf Kurs halten.

Der Ton war rau. Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle missbilligt speziell CSU-Zitate. Deren Chef Horst Seehofer wiederum verbittet sich eine „Sprachpolizei“. Wohin führt so etwas? 
Kauder: Ich habe in meiner juristischen Ausbildung gelernt, dass ein Gericht durch seine Urteile spricht. Leider  erleben wir jedoch, dass Verfassungsrichter sich immer wieder in aktuelle politische Debatten einmischen. Das halte ich nicht für richtig. Insofern ist die Kritik von Horst Seehofer am Verfassungsgerichtspräsidenten berechtigt. Aber es versteht sich von selbst, dass wir unsere Worte wägen sollten. Wir sollten darauf achten, was in unseren Formulierungen mitschwingt. 

Als Folge der CSU-Aggression hat sich eine Pro-Merkel-Bewegung, die „Union der Mitte“, gebildet. Verschärft sich in CDU/CSU der Flügelstreit? 
Kauder: Ich war viele Jahre CDU-Generalsekretär und weiß aus der Praxis: Die Union ist besonders stark, wenn sie geschlossen auftritt. Die verschiedenen Zirkel, die sich parteiintern bilden, stellen diese Geschlossenheit infrage. Andererseits verstehe ich das Bedürfnis, sich zu artikulieren und dies auch in Gruppen zu tun. Aber ich warne die Union davor, sich zu atomisieren. Noch sehe ich eine solche Gefahr nicht. Aber wenn sich die Werte-Union und andere konservative Kreise oder auch liberale Gruppen weiter ausdehnen, wäre das keine gute Entwicklung für die Union. 

Sie stellen sich nach der Sommerpause nach zwölfjähriger Tätigkeit als Fraktionsvorsitzender erneut zur Wahl. Rechnen Sie als Folge der Unruhe in der Union mit einem Dämpfer? 
Kauder: Ich glaube, dass ich noch Einiges beitragen kann zum Erfolg dieser Großen Koalition. Deshalb bewerbe ich mich erneut. Und ich bin recht zuversichtlich, dass ich wiedergewählt werde.

Sie verwirren ihre eigenen Leute, weil Sie an Tabakwerbung im öffentlichen Raum unbedingt festhalten wollen. Warum? 
Kauder: Es ist immer noch so, dass für erlaubte Produkte geworben werden darf. Solange Zigaretten nicht verboten sind, muss also auch Werbung grundsätzlich möglich sein. Tabakwerbung ist ohnehin schon sehr eingeschränkt worden – aus gesundheitlichen Gründen. Ja, ich weiß, wie gefährlich Rauchen ist. Und ich begrüße es sehr, dass junge Menschen heutzutage weniger rauchen. Aber ich will trotzdem nicht, dass die Union eine Verbotspartei wird. Wir setzen auf den mündigen Bürger, da müssen Verbote eine Ausnahme bleiben. Aber ich werde das Thema schon bald auf die Agenda der Unionsfraktion setzen, weil wir es nochmals in allen seinen Facetten diskutieren müssen: Gesundheit, Jugendschutz, Wirtschaft und Verbraucher.

Größter Brocken in der bisherigen Bilanz der Großen Koalition ist das 30-Milliarden-Euro-Rentenpaket. Zieht die Union mit, auch wenn SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil absehbar die Steuerzahler zur Kasse bittet? 
Kauder: In der Rentenpolitik haben wir klare Grundsatzabsprachen: Eine Rentenkommission soll sich um die langfristige Entwicklung der Alterseinkünfte ab 2025 kümmern. Kurzfristig kommen die dringend notwendigen Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente. Und die Ausweitung der Mütterente für Frauen, die Kinder vor 1992 geboren haben, ist abgemacht. Die Forderung der SPD, wonach das Rentenniveau bis 2025 nicht unter 48 Prozent sinken wird und zugleich die Beiträge zur Rentenversicherung nicht über 20 Prozent steigen werden, haben wir schon so im Koalitionsvertrag vereinbart. Das ist keine Belastung. Allerdings muss die wirtschaftliche Entwicklung so gut bleiben wie bisher.

Minister Heil kann sich Änderungen bei der Mütterrente vorstellen, er regt an, allen Müttern einen halben Rentenpunkt zuzusprechen – statt nur denen mit drei Kindern einen ganzen. Was halten Sie davon? 
Kauder: Im Koalitionsvertrag wurde ein zusätzlicher Rentenpunkt für Mütter vereinbart, die vor 1992 drei und mehr Kinder zur Welt gebracht haben. Natürlich werden wir über den Vorschlag von Minister Heil sprechen. Aber das Beste ist immer, sich an die Vereinbarungen zu halten.